Posted on Juli 28, 2017
28.07.2017 Hertha BSC II – Club Italia 1980 Berlino 9:0 (5:0) / Stadion auf dem Wurfplatz / 650 Zs.
Die schönsten Spiele sind ja die, von denen man gar nicht weiß, dass es sie überhaupt gibt. Ich jedenfalls sitze am 28.07. an meinem freien Ferienfreitag entspannt bei der Oma am Mittagstisch, lasse mir einen leichten Schmorbraten mit Rotkohl und Klößen sowie ein Berliner Kindl schmecken, als plötzlich ihr uraltes Telefon im Flur schellt. Am anderen Ende der Leitung: mein Vater. Als aufmerksames Familienoberhaupt weiß er natürlich, dass ich heute einen Termin mit seiner Mutter habe. Schön, dass er nun seiner Chronistenpflicht nachkommt und mich darauf hinweist, dass heute Abend ein kurzfristig einberufenes Testspiel zwischen Hertha BSC und Club Italia im Amateurstadion stattfinden wird. Er habe sich entschieden, dem Spiel einen Besuch abzustatten, auch weil es keinen Eintritt zu berappen gilt. Die schönsten Spiele sind ja die, für die man nichts bezahlen muss!
Da ich den Club Italia mit Thomas Hässler an der Seitenlinie in dieser Saison eh besuchen wollte und auch das Stadion am Wurfplatz, wie der Spielort offiziell heißt, noch nicht gekreuzt habe, sage ich genauso spontan zu, wie ich von der Partie überhaupt erst erfahren habe.
Bei angenehmen 23 Grad betreten beide Mannschaften um 18.00 Uhr das Feld. Die Zeugwarte der Clubs haben ganze Arbeit geleistet und so wird gleich blau-weiß gestreift (Hertha) auf blau-weiß halluzinierend ineinander verdreht (Italia) treffen und der geneigte Zuschauer weiß plötzlich, warum man heute nichts bezahlen muss. Kannste eh nicht erkennen, wer wer ist. Und an die armen Menschen daheim, die noch schwarz-weiß Fernseher ihr Eigen nennen, denkt ohnehin schon lange niemand mehr.
Hertha BSC lässt heute die U23 auflaufen und verstärkt diese mit Spielern der ersten Mannschaft, die auch morgen beim großen Testspiel gegen den Liverpool FC keine Rolle spielen werden. Man muss kein großer Hertha-Insider sein, um zu erkennen, dass die Zeichen bei Sinan Kurt, Genki Haraguchi und Valentin Stocker deutlich auf Abschied stehen, wenn sie heute bei diesem nichtigen Kick gegen den Landesligisten ihre Knochen hinhalten müssen.
Nach sechs Minuten spielt es schon keine Rolle mehr, dass man die Mannschaften aufgrund ihrer Trikots nicht auseinanderhalten kann. Es hat sich in der optischen Wahrnehmung die relativ einfache Lösung ergeben, dass die eine Mannschaft, die Fußball spielen kann und angreift, die Hertha ist und die hoffnungslos unterlegenen Statisten, die den Ball aus dem eigenen Netz holen, dem Club Italia angehören. Nach Toren von Haraguchi und Kade steht es schnell 2:0 und auch aufgrund eines weiteren Lattentreffers in der Anfangsphase bahnt sich für die kleinen Italiener hier ein Debakel an.
Die drei Profispieler werden zu den auffälligsten Akteuren auf dem Platz und ragen aus einer technisch versierten und athletisch starken Herthatruppe heraus. Auf der anderen Seite gibt der Club Italia, offenbar ohne „Icke“ angereist, ein erbärmliches Bild ab. Der Torwart lässt bereits nach zehn Minuten einen Abwehrspieler die Abschläge vom Boden ausführen, da er bei den ersten Rückpässen nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, dass er seine Füße ausschließlich zum darauf Stehen nutzen kann. Im Mittelfeld geht jeder Zweikampf verloren, Bälle werden kläglich verstolpert, Fehlpass reiht sich an Fehlpass. Klar, dass ein Siebtligist das Tempo eines verstärkten Regionalligisten nicht mitgehen kann, aber etwas mehr Qualität hatte ich mir dann von dem selbsternannten Aufstiegsaspiranten und künftigen Big-Player-Berlins dann doch erhofft.
Nach elf Minuten erhöht Stocker auf 3:0 und bis zur Halbzeit haben Haraguchi (35.) und Stocker (37.), auf Vorlage des jeweils anderen, eine komfortable 5:0 Führung heraus geschossen. Die beiden letzteren Treffer fallen übrigens kurz nachdem Herthas Panzu Ernesto de Angelo das Kunststück fertig gebracht hatte, den Ball aus fünf Metern am leeren Tor vorbeizuschießen und so für gellendes Gelächter innerhalb der schwarzen Community auf der Tribüne sorgen konnte (29.). Nach einer halben Stunde nimmt Pál Dárdai erste Wechsel vor und bringt u.a. seinen Sohn Palko in das Spiel. In der Pause setzt sich das Wechselspiel dann munter fort und so verlassen auch die alles überragenden Stocker und Haraguchi das Feld.
In der zweiten Halbzeit bleibt das Gefühl bestehen, dass Hertha immer dann spielend leicht zu Torerfolgen kommt, wenn das Tempo etwas angezogen wird. Oder etwas banaler: Wenn Hertha will, dann klingelt es. Die Spieler des Club Italia trotten mit hängenden Köpfen und erbärmlicher Körpersprache ihren viel zu schnellen Gegenspielern hinterher. Sinan Kurt, der durchspielen muss und daher vermutlich noch weiter vom Bundesligakader entfernt ist als Stocker und Haraguchi, erhöht per Abstauber auf 6:0. Zografakis, Beyer und Fuchs schrauben das Ergebnis in die Höhe, doch keinem Hertha-Akteur mag es letztlich gelingen, für ein zweistelliges Ergebnis zu sorgen.
Neben Sinan Kurt spielt ansonsten lediglich Herthas Torwart durch, der sich aktuell im Probetraining für die U23 befindet. Luis Maria Zwick, gebürtiger Berliner, blickt auf immerhin 13 Einsätze in der schottischen Premiership für den Dundee FC zurück, saß aber bei unserem Schottland-Besuch im Dezember 2015 leider, wie so oft in seiner Karriere, im Tynecastle Stadium zu Edinburgh nur auf der Bank. Dennoch eine interessante Personalie, wie ich finde.
Beim Spaziergang zum S-Bahnhof Olympiastadion erfreut mich eine wunderbare Anti-Hertha-Schmiererei auf dem Gehweg. Scheiß Hertha BSC! Und so setze ich in der schönen Gewissheit, dass dieser Bericht nicht zu Hertha-positiv daherkommt und ich das Amateurstadion niemals besuchen werden muss, wenn solch geistige Hungertruppen wie Babelsberg, Cottbus oder LOK zu Gast sind, einen Haken hinter diesen gelungenen spontanen Freitag. /hvg
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