Posted on April 24, 2018
24.04.2018 SC Wiener Neustadt – Austria Lustenau 2:2 (1:1) / Wiener Neustädter Stadion / 750 Zs.
„Es is zum Krenreibn“, denke ich mir, als endgültig feststeht, dass niemand mit mir das Vorspiel – oder besser gesagt die „Vorspiele“ – vor dem Auswärtsspiel in Darmstadt besucht. So muss ich Wien und Znojmo als Solonummer bestreiten. Hoolger werde ich erst am Freitag in Aschaffenburg treffen, er braucht die Tage davor um den Fortbestand seiner Präventionsgruppe zu sichern. Da ich in meiner Urlaubsplanung für 2018 nicht beachtet habe, dass es bei Nadjuschka Veranstaltungen gibt, die nur in den geraden Jahren stattfinden, muss sie leider ebenso passen. Mein Vater, frisch pensioniert, bricht sich nach dem Spiel VSG Altglienicke – Chemie Leipzig den Fuß. Auf der Suche nach dem richtigen Abfahrtsgleis während der Umbaumaßnahmen am U-Bahnhof Alexanderplatz war er umgeknickt. Eine weitere Hiobsbotschaft: das FAC Team für Wien hat sein Spiel schon am gestrigen Montag gegen Ried (2:4) ausgetragen und so bleibt als relevantes Spiel nur noch Wiener Neustadt gegen die Austria aus Lustenau übrig. Als Alleinreisender kommt also eine unattraktive Spieloption hinzu und das in der optionsreichen Stadt Wien und seinem Umland. Gut, das FAC Team und das dazugehörige Stadion sind auch keine Wonne, aber der Club hat wenigstens einen geilen Namen und das Stadion liegt in Wien.
Diese Wiener Neustadt führt auch zu einem mittelschweren Skandal am Infoschalter des ÖPNV am Flughafen Wien-Schwechat, denn auf die Frage, ob ich in die ominöse Neustadt mit einer Tageskarte der Wiener Linien fahren kann, gibt sie mir nur die angewiderte Antwort: „Dies ist schon Niederösterreich!“. Ich hebe nur entschuldigend die Arme, denke „FAC you“, zahle den Mehrbetrag und setze mich in den Zug in Richtung meines Hotels in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs. Dort werde ich weitaus freundlicher empfangen und kann schon deutlich vor der Eincheckzeit in mein Zimmer.
Da im Rahmen des Union Sommertrainingslagers 2014 in Wien zu tropischer Hitze die typischen Touri-Ziele abgeklappert wurden, kann ich mich am heutigen Tag auf das Wesentliche konzentrieren. Da erst um 18:30 Uhr im gar nicht mal so attraktiven Stadion Wiener Neustadt der Anpfiff ertönt, möchte ich vorher noch die Naturarena Hohe Warte (First Vienna FC) und den Wiener Sport-Club Platz besichtigen (oder neu„deutsch“: spotten).
Die Naturarena liegt in Döbling (19. Bezirk) und um dorthin zu gelangen, laufe ich durch den Karl-Marx-Hof. Diese Wohnanlage wurde 1930 fertiggestellt und galt damals als Antwort auf die fehlenden, oder zumindest sehr kleinen und schlecht ausgestatteten Arbeiterwohnungen. So verfügten die Wohnungen der Höfe über Wasserentnahmestellen und WCs, was sonst nicht üblich war zu dieser Zeit. Die Siedlung gilt mit 1100 Metern als das längste zusammenhängende Wohngebäude der Welt. Nachdem FUDU in Sheffield die Siedlung „Park Hill“, welche heute als der größte denkmalgeschützte Gebäudekomplex Europas gilt, von außen gespottet hat, kann Fetti heute also ein weiteres Kreuz hinter architektonische Superlative machen.
Das Stadion liegt, wie der Name schon sagt, auf der Hohen Warte (Höhe rund 220 Meter), dies heißt für mich, dass es erst einmal bergauf geht. Die Temperatur ist für den April, den ich sonst so kenne, recht warm und so komme ich ins Schwitzen. Zusätzlich ist ein Blick von oben eher unspektakulär, weil begrünte Bäume und Sträucher einen Einblick von oben verhindern. Da es aber am Ende des Rundwanderwegs natürlich auch wieder nach unten geht und die Tore der Arena, dank stattfindender Bauarbeiten am Stadiondach, offen stehen, kann ich noch einen Blick ins Innere werfen. Noch nie hat Stahlrohr majestätischer gewirkt, wie auf der Böschung der Naturtribüne, dazu eine etwas brüchig wirkende Haupttribüne, schöne freistehende Flutlichtmasten, viel Grün und im Hintergrund der Radarturm. Da glüht die SD-Karte und ich überlege, ob FUDU-Tours eine Bildagentur eröffnen sollte und auch eine Idee für den Namen kann ich anbieten: Wie wär’s mit fettyimages?
Danach heißt es kurz mal für Gemüsesuppe, Original Wiener Chili con Carne und zwei Gösser ins Bistro einkehren, bevor ich die Bahn in Richtung des 17. Bezirks besteige.
Am S-Bhf Hernals schnell orientiert und nach kurzem Weg entlang der Hauptstraße sieht man hinter den wunderschönen Altbauten schon einen Flutlichtmast des Wiener Sport-Club Platz. Kurz darauf habe ich den „SPAR-Markt“ erreicht, der sich im Vorderhaus des Stadions befindet und so in die Hintertortribüne integriert ist. Das Eingangstor steht offen und schon stehe ich auf der Stehplatz-Gegengrade. Ja, dieses Stadion ist so schön wie in Günters Geschichten! Vier mit Patina überzogene Tribünen in verschiedener Größe und Bauart, architektonisch echt chaotisch, aber genauso schön. Ich hinterlasse noch einen Fetti auf einem Wellenbrecher auf der Friedhofstribüne, besuche noch die Keramikabteilung, vor der sich kein Stadionklo in Tschechien verstecken muss und nur kurz darauf sitze ich bereits in der Bahn Richtung Florisdorf. Von dort geht es weiter mit dem Regio in Richtung Wiener Neustadt.
Auf dem Weg hätte ich wetten können, gemessen an dem Stadionerlebnis, dass es der Wiener Sport-Club ist, der Pleite ist. Aber tatsächlich ist es die First Vienna. Dem deutschen Pokalsieger von 1943 geht es aktuell nicht gut, so wurde er in der laufenden Saison von der drittklassigen Regionalliga Ost in die fünftklassige 2. Landesliga versetzt und übernimmt dort den Platz der zweiten Mannschaft. Grund ist der Tod des Investors Martin Kristek und die damit einhergehende Insolvenz.
Eine Stunde vor Anpfiff komme ich an, passiere auf dem halbstündigen Weg zum Stadion touristische Highlights wie den Reckturm, die Erlöserkirche, die Mariensäule und den Liebfrauendom. Wirklich hübsch, hätte ich so von einer Neustadt in Niederösterreich nicht erwartet.
Am Stadion angekommen folgt die erste Enttäuschung, die Spielstätte heißt nicht mehr „Teddybären- und Plüsch Stadion“, sondern wird jetzt von einer steierischen Brauerei gesponsert. Die augenblickliche Recherche ergibt, dass das Stadion seit der Rückrunde an jedem Spieltag einen anderen Sponsorennamen trägt, bisher unter anderem „Scherz-Kogelbauer TZ-Baumanagement-Arena“, „#wirsindanders-Arena“ und „The Power Company-Stadion“.
Das Stadion kann natürlich nicht mit dem bereits am heutigen Tage Gesehenem mithalten. So gibt es eine überdachte Haupttribüne, gegenüberliegend eine Gegengrade mit unüberdachten Steh- und Sitzplätzen, die heute aber geschlossen ist und, wenn es denn welche gibt, den Gästen vorbehalten ist. Sichtbar dahinter befinden sich ein Einkaufszentrum und ein Parkhaus. Hinter dem einen Tor gibt es einen Graswall und hinter dem anderen einen Grünstreifen und etwas zurückgesetzt der Umkleidetrakt und den Imbiss. Das Stadion ist nicht bundesligatauglich und so müsste der Klub bei einem Aufstieg in die Landeshauptstadt nach St. Pölten umziehen. Daher soll bis Frühjahr 2019 ein bundesligataugliches Stadion an anderer Stelle errichtet werden. Finanziert werden soll es durch den Verkauf des Areals des aktuellen Stadions, hier sollen 400 Wohnungen entstehen.
Der erste Weg geht natürlich zum Bierstand, wobei sich der Zapfer präventiv für’s steirische Bier entschuldigt, haben halt keine städtische Brauerei. Das sehe ich als „Deitscha“ entspannt, die Hauptsache ist, dass ich kein Bier aus der Heimat im Ausland trinken muss, so wie es in Italien durchaus gängig ist, ich erinnere mich mit Grauen an „Lübzer“ in Monza und „Hacker-Pschorr“ in Modena.
Auf dem Grünstreifen, strategisch günstig in der Nähe des Zapfers, haben sich die drei Gästefans aus Vorarlberg positioniert. Zusätzlich in deren Nähe zwei SKBs, die verzweifelt nach ihrer Berechtigung suchen. Etwas dahinter, am Sockel einer Statue, stehen die örtlichen Grantler älteren Semesters. Die restlichen Zuschauer und einige Tauben befinden sich mit mir auf der Haupttribüne.
Die Haupttribüne trägt den Namen KR (Kommerzialrat) Friedrich Schmid-Tribüne, dieser ist Gründer der Firma BAUMIT (Grüße nach Jablonec nad Nisou!), welche auch der aktuelle Brustsponsor ist. Bei den Gästen hatte der (Viertelfinal-)Pokalheld und Ex-Unioner Daniel Ernemann bis 2017 einige Jahre zu tun (Spieler, Spielertrainer, Trainer) und aktuell ist der ehemalige Deutschland-Legionär Gernot Plassenegger Trainer. Dieser hat scheinbar die Mannschaft gut eingestellt, denn kaum habe ich meinen Platz eingenommen und einen Schluck getrunken, steht es schon 1:0 für die Austria aus Lustenau. Torschütze ist in der zweiten Minute Jodel Dossou (Jahödeldidü!). Danach wird die Heimmannschaft stärker, ohne erst einmal groß gefährlich zu werden. Gerade der Torjäger der Wiener Neustadt, Hamdi Salihi, hat einige gute Szenen und so ist er es, der nach einem geblockten Schuss an der Strafraumgrenze den Ball ins Eck schlenzt. Dies ist sein 18. Saisontreffer, damit ist er aktuell allerdings nur Zweiter im Kampf um die Torjägerkanone, denn sein Konkurrent Chappi (SV Ried) traf gestern dreimal und steht bei 20 Treffern. Kurzzeitig ist dadurch mal kurz Stimmung in der Bude, ansonsten steht am anderen Ende der Tribüne eine Handvoll Anhänger, die mich mit den übliche Melodien und Texten à la „…unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz…“ und „ ….schießt ein Tor für uns“ langweilen. Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit ist die Heimmannschaft besser, hat noch einige Chancen, aber es bleibt beim 1:1.
In der Halbzeitpause gibt es dann Neues aus der Kategorie C(ateringverlierer). Denn merke dir, depperter Piefke: eine Knacker mit Gebäck, ist übersetzt nicht mehr als eine kalte Bockwurst mit Schrippe. Recht widerlich, aber mit „Puntigamer“ lässt es sich einigermaßen gut herunterspülen und so geht in dieser Kategorie der Titel, auch mangels weiterer Anwärter, dieses Mal an mich.
Nach dem kulinarischen Schock wird auch die Heimmannschaft geschockt, denn in der 54. Minute geht die Austria wieder in Führung. Canadi haut den Ball per direktem Freistoß unter die Latte. Kurz danach wechselt die Heimmannschaft einen weiteren Stürmer ein und kann so nochmals den Druck erhöhen und fünf Minuten später geht Grucic mit der Hand im Strafraum zum Ball – Elfmeter! Natürlich tritt Salihi an und verwandelt eiskalt (19. Saisontor). Zwischen der 60. und 70. Minute wird das Spiel intensiv geführt, beide Mannschaften wollen den Führungstreffer, Lustenau ist auch mal wieder näher dran, aber Dorn vergibt eine 100%ige Chance und trifft nur das Außennetz. In den letzten 20 Minuten hat die Wiener Neustadt noch beste Chancen (76., 80.), aber die Luft ist irgendwie raus. Der Ex-Neustädter Sandro Djuric dann ebenfalls, denn er schafft es innerhalb der letzten drei Spielminuten zwei taktische Fouls zu begehen und fliegt mit der gelb-roten Karte runter. Dann ist Schluss, die Gästespieler, einige haben scheinbar familiären Bezug zu Wien, plauschen noch mit ihren Angehörigen; Plassenegger schwatzt mit den drei Gästefans.
Nach dem Spiel überklebe ich noch ein Dynamo Dresden Pickerl, während ich zum Bahnhof hetze. Den Zug (21:11 Uhr) schaffe ich locker, aber mein primäres Ziel: den Bahnhofsshop (schließt um 21:00 Uhr) erreiche ich erst um 20:56 Uhr und erst nach kurzer Diskussion darf ich noch ein „Egger Bier“ kaufen. Im Zug entdecke ich in einer liegengeblieben Zeitung, dass Ex-Unioner Markus Kernal und Brieffreund von Heinzi beim Schlusslicht der 1. Fußball-Landesliga (dem ASV Spratzern) nach nur sieben Spielen entlassen wurde.
Zusätzlich gibt es noch die Meldung, dass ab Freitag am Praterstern öffentliches Trinken verboten ist. Als wenn dies nicht schon schlimm genug wäre, muss ich einer Konversation – mutmaßlich – zwischen einer jungen Musikerin und ihrer Lehrerin beiwohnen. Der nachvollziehbaren Schwärmerei der Schülerin von Metallica und ihres Wunsches, die Band einmal live zu erleben, kann die Alte nur „Warum können sie nicht zu Hause bleiben? Warum müssen es alle wie die Rolling Stones machen?“ entgegnen und auch den Enthusiasmus gegenüber Pearl Jam kann sie nur bedingt teilen. Sie mag nur die erste Platte, der Rest sei nur langweilig. Ich merke, wie desinteressiert ich an Menschen und deren Meinung bin, deshalb will ich mich nicht einmischen, obwohl ihnen meine Meinung bestimmt gut getan hätte. Nach diesem Erlebnis überlege ich kurz, dem Praterstern und den dortigen Kampftrinkern einen Besuch abzustatten, lass es dann aber doch lieber sein. Am Wiener Hauptbahnhof angekommen, hole ich mir als Schlummertrunk noch ein 16er Blech und gehe, passend zum morgigen Reiseziel, etwas angetschechert ins Bett. /hool
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