831 831 FUDUTOURS International 26.04.24 03:18:08

03.02.2018 Montpellier Hérault SC – Angers SCO 2:1 (1:1) / Stade de la Mosson / 9.594 Zs.

Gerade einmal 27 Minuten nach Abfahrt in Nîmes rollt unser Zug bereits in Montpellier ein. Niemand von uns hat sich mit der Stadt auseinandergesetzt oder gar intensiv darüber belesen, was es hier zu besichtigen und zu erleben geben wird.

Zunächst einmal überrascht die rege Betriebsamkeit rund um den Hauptbahnhof. Man mag gar von Großstadthektik sprechen und ein erster Hauch Berliner Aggressivität liegt in der Luft, als uns fünf Obdachlose mit Dosenbier davon abhalten wollen, Fotos vom Bahnhofsgebäude zu schießen. Fetti schüttelt verständnislos den Kopf. Trinken in der Öffentlichkeit? Bier? Was für Proleten!

Nach dem Check-In in das „Hôtel Colisée-Verdun“, welches nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt liegt und aus dessen Fenstern man – bezogen auf den Preis – einen wirklich angenehmen Palmenblick erhält, hebt sich FUDU schnell von dem Pöbel ab und genießt eine kurze Rotwein-Käse-Brotzeit auf dem Hotelzimmer. Im Anschluss eilen wir über den imposanten „Place de la Comédie“ in die Touristeninformation, in der uns Estelle überaus herzlich empfängt. Mit guten Deutschkenntnissen hat sie uns schnell erklärt, was wir in den kommenden Stunden in Montpellier unbedingt gesehen und erlebt haben müssen und uns nahezu im Vorbeigehen ein 24-Stunden-Ticket für die Straßenbahn aufgequatscht. Jede Wette, dass wir einen bärtigen Typen zumindest danach gefragt hätten, ab wie vielen Fahrten sich eine solche Karte gegenüber Einzelfahrscheinen lohnt oder ob man nicht eh auch alles zu Fuß schaffen könnte, aber die hübsche Estelle spielt bereits wieder mit ihren Locken, nachdem sie unser Kleingeld im Schubfach verstaut und uns neben dem Stadtplan auch zwei Tageskarten ausgehändigt hat. Merci, Chérie!

Eine weitere sinnvolle Frage wäre übrigens die nach der Taktung der Straßenbahnen gewesen, wie sich unmittelbar im Anschluss herausstellt. Um das Stadtviertel „Antigone“ zu besichtigen, welches in lediglich 900 Metern Entfernung zu verorten ist, werden wir jedenfalls nicht 20 Minuten auf die nächste Tram warten. In dem Quartier tobte sich der katalanische Architekt Ricardo Bofill Ende der 1970er Jahre aus und schuf eine römisch-monumentale Sozialbausiedlung im neoklassizistischen Stil. Aha. Oder Stalinbauten im Westen halt, wie FUDU ostblockig kommentieren wird.

Einige Minuten später haben wir den Altstadtkern Montpelliers erreicht und schlendern durch typische französische Gässchen. Immer wieder ein schönes Gefühl, ohne Erwartungen an irgendwelchen Orten eingetroffen zu sein und dabei dann und wann echte Volltreffer gelandet zu haben. Noch gerade eben vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir „La Promenade du Peyrou“ – der höchstgelegene Punkt Montpelliers mit Triumphbogen, Aquädukt, Statue Louis‘ XIV und wunderbarem Ausblick auf die umliegenden Stadtviertel. Überraschend schön hier und mit Blick auf den heranrückenden Anpfiff im fünf Kilometer entfernten „Stade de la Mosson“ sind wir über den Fahrkartenkauf dann doch dankbar. Anders wäre man hier wohl nicht von der (E)Stelle gekommen.

Montpellier-Hérault SC 1974. Nach einigen Umbenennungen und Fusionen ist dieser etwas sperrige Name zu Stande gekommen, aber alles ergibt seinen Sinn. Montpellier ist die Hauptstadt des Départements Hérault der Region Occitanie, welche wiederum erst 2016 durch den Zusammenschluss der Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées entstanden ist. Der Hérault (oder okzitanisch: Erau) selbst ist ein 148 Kilometer langer Fluss der Region, womit nun alle Unklarheiten beseitigt sein sollten. Und für mich selbst stellt dies auch ein Quantensprung an Fachwissen dar, hatte ich bisher zu Montpellier lediglich Bezugspunkte über ein Super-Nintendo-Spiel namens „Kick Off 3“, in welchem ich als Kind wegen der wunderschönen Vereinsfarben Blau und Orange häufig den HSC anwählte. Damals gültiger Rufname übrigens: „Monte Pille“.

Seit der WM 1998 fasst das „Stade de la Mosson“ 32.939 Zuschauer. Zuvor hatten 9.439 weniger Menschen Platz in dem Stadion. Die Erweiterung wurde mit wenig Feingefühl für den optischen Gesamteindruck vorgenommen und man entschloss sich, der Gegengerade das Dach zu nehmen und lieblos zwei weitere Ränge aufzuschichten, die nun in ihrer Betonklotzoptik den Rest des Stadions überragen. Da auch der aktuelle Bürgermeister Montpelliers dies alles andere als überragend findet, werden gegenwärtig Stadionneubaupläne vorangeschoben. Zur Saison 2022/23 soll die neue Heimat mit Namen „Stade Louis-Nicollin“ (→ Präsident von 1974 bis zu seinem Tod im Jahre 2017) im 20.000 m² großen Neubaugebiet Cambacérès fertiggestellt sein. Man darf gespannt sein.

Heute empfängt der Sensationsmeister von 2012 als aktueller Tabellensechster den abstiegsgefährdeten Sporting Club de l’Ouest aus Angers zum Stelldichein. Nachdem wir auf dem Stadionvorplatz einen leckeren Merguez-Snack mit Pommes und ein kleines Bier für 2,50 € genossen haben, fällt mir beim Blättern durch das Stadionheft neben Giovanni Sio auf Heimseite auch Gästestürmer Baptiste Guillaume ins Auge. Auch den kennt man doch irgendwoher?!?

Für gerade einmal 15€ nehmen wir Platz auf dem untersten Rang des Gegengeradenmonsters. Das Stadion ist gähnend leer und nur die kleine, aber feine Fanszene Montpelliers zu unserer Rechten wird das Spiel (dauerhaft positiv) akustisch begleiten. Spätestens nach drei Minuten sollten dann aber auch alle anderen Anwesenden hellwach sein, denn der Außenseiter aus Angers lässt mit einer Doppelchance, vereitelt durch Querlatte und Schlussmann, aufhorchen. Auch in Folge bleiben die Gäste gefällig und suchen ihr Heil im Abstiegskampf offensichtlich in der Offensive. Nach 20 Minuten holt der auffällige Stoßstürmer Toko Ekambi einen Strafstoß heraus, den er souverän selbst verwandeln kann. Mit noch mehr Rückenwind in den Segeln entwickelt Angers eine gute Idee nach der nächsten und bleibt erfrischend agil und ballsicher, ganz zur Freude der 16 mitgereisten Anhänger aus dem Nordwesten der Republik (Distanz: 773 Straßenkilometer mit Maut, 874 ohne).

Baptiste Guillaume. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Einmal in den Wutbürger-Modus verfallen, kommt man nicht umhin, zu sagen, dass Baptiste Guillaume mir einen Euro schuldet. Der Skandal von Strasbourg! Und seit diesem Tage grinst mich Baptiste ein jedes Mal schäbig an, wenn ich in seinem Becher Rührei zubereite. Heute fehlt von ihm auf dem Platz und auf der Bank allerdings jede Spur. Zurecht. So ein Eierkopf!

Die Heimmannschaft kommt gut eine halbe Stunde lang nicht ins Spiel. Die Fans hinter dem Tor supporten weiter durchgängig, doch aus dem Rest des Publikums mischt sich bereits der eine oder andere Pfiff dazu. Linksverteidiger Nicolas Cozza wird in der 36. Minute zum Bauernopfer und gegen Junior Sambia ausgetauscht. Trainer Michel Der Zakarian (Der Fuchs!) löst die viel zu defensive Fünferkette in der Abwehr auf und schafft so endlich Anspielstationen im Mittelfeld. Eine taktische Maßnahme, die überraschend schnell Früchte trägt. Plötzlich gelingt es Montpellier, zu mehr Ballbesitz zu kommen und Angers erstmals in eine passive Rolle zu drängen. Etwas Glück gehört sicher auch dazu, wenn dann mit dem ersten Torschuss, der zudem auch noch zwei Mal abgefälscht wird, der Ausgleich gelingt (Lasne, 42.), doch kann man hier ruhig auch von einem guten Kniff des Trainers sprechen. Oder zumindest von der Bereitschaft, den selbst getätigten Fehler der viel zu defensiven Aufstellung, rechtzeitig zu korrigieren.

In der Halbzeitpause schwinge ich mich endlich einmal wieder zum Cateringverlierer auf. Angesichts der sackigen Kälte auf der zugigen Gerade und in Ermangelung alkoholischer Getränke entscheide ich mich für einen Stadionkaffee. Und, um auf eine Benotung auf einer allgemein anerkannten Skala zu verzichten, sei nur so viel gesagt: Das war der wohl schlechteste Kaffee, den ich jemals außerhalb der Kaffeevergewaltigungskultur in Kackeland vorgesetzt bekommen habe.

Im zweiten Spielabschnitt wirft der andere Cateringmitarbeiter weiter fleißig Baguette, Kartoffelchips und Wechselgeld über mehrere Reihen durch das Publikum. Lange Zeit stellt dies das Unterhaltsamste dar, da auf dem Rasen doch ordentlicher Leerlauf eingekehrt ist. Angers geht in Deckung, Montpellier schiebt sich den Ball zu, das Spiel plätschert ereignislos dahin. Gerade die Gäste sollten sich darüber ärgern, dass ihnen ihr Faden gerissen ist, hatten sie hier schließlich eine halbe Stunde lang eine beeindruckende Leistung auf den Platz bringen können. Als die Heimmannschaft das erste Mal Tempo aufnimmt, kann gleich eine entscheidende Lücke gerissen werden. Eine wirklich schöne Kombination krönt Mbenza in der 71. mit einem sehenswerten Abschluss zum 2:1. Der wohl verdiente Lohn für gefühlte 80% Ballbesitz und Angers möchte man zurufen: Selbst Schuld! Drei Minuten später wird es dann laut im weiten Rund und die knapp 9.500 Zuschauer feiern das Gründungsjahr des Herzensclubs singend. Wir, wenig emotionalisiert durch diesen Anlasskitsch, sehen nur noch einen Abschluss der Gäste in der 85. Minute, die hier in der zweiten Halbzeit in völliger Lethargie ein Spiel regelrecht abgeschenkt haben.

Der Straßenbahnshuttle zurück in die Innenstadt ist hervorragend organisiert. Beim „SCO“ wird auf der gut neunstündigen Rückfahrt sicherlich ganz schön viel „Anger“ an Bord sein, doch keines der sozialen FUDU-Schweine erklärt sich bereit, den Nordfranzosen in Sachen „Anger-Management“ zur Seite zu stehen.

Stattdessen besteigt man am nächsten Morgen gut gelaunt den TGV nach Marseille. Angekommen am wunderschönen Bahnhof St. Charles steht für den Schurken sogleich die Weiterfahrt zum Flughafen an, während ich noch einen Tag Aufenthalt auf mich zukommen sehe. Leider führt ein herrenloses Gepäckstück zunächst dazu, dass der Busbahnhof geräumt und vorerst abgesperrt werden muss. Dem Schurken rennt die Zeit etwas davon, doch letztlich erweist sich das Gepäckstück schnell genug als ungefährlich, sodass der Bus den Flughafen gerade noch rechtzeitig erreichen kann. Während dem Schurken in der Sicherheitsschleuse eine Dose Thunfisch abgenommen wird, sitze ich bereits am Hafen von Marseille und genieße abnorm teures Bier. Nachdem ich die Stadt besichtigt und sogar eine Straße gefunden habe, in der man mir keine Drogen verkaufen will, bin ich am Montag auch bereits in Düsseldorf gelandet und habe am Abend ein 1:1 bei Arminia Bielefeld gesehen. In Berchtesgaden verebbt gerade der Applaus für den Vortrag des Schurken über Recyclingbeton. Nächstes Jahr wird der kleine Torsten-Per dann schon Acht. An den Kindern sieht man ja, wie die Zeit vergeht. Aber bei uns bleibt hoffentlich alles beim Alten! /hvg