842 842 FUDUTOURS International 27.04.24 04:05:54

23.03.2019 FC Eisenach – SG SV Borsch 1925 1:1 (1:0) / Wartburgstadion / 95 Zs.

21.03.2019 Weimar
Nachdem ich den altehrwürdigen „Lindenberg“ zu Weimar bereits am 22.08.2015 gekreuzt habe, kann ich mich anlässlich meiner Tour de Thüringen dieses Mal komplett auf die Stadt einlassen, ohne dass mich der Fußballsport ablenkt. Standesgemäß darf ich in der Villa des „Schurken“ residieren, die gerade eben pompös genug war, um einst der Kreisverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit ein zu Hause zu bieten. Derart sicher gebettet und dementsprechend ausgeschlafen hole ich am Donnerstag das nach, was ich 2015 gänzlich verpasst habe und verschaffe mir einen Überblick über die Schönheiten Weimars. Schnell kann die „Kulturstadt“ auf ganzer Linie überzeugen. Der strahlende Sonnenschein trägt seinen Teil dazu bei, dass Rathaus, Herderkirche, Anna-Amalia-Bibliothek, Stadtschloss, Herz-Jesu-Kirche und das Deutsche Nationaltheater – inklusive dem davor befindlichen Goethe-Schiller-Denkmal – in allerbestem Licht erscheinen. Und wenn Euch dann der „Schurke“ auch noch herzzereißende Geschichten über Goethe und seiner geliebten Charlotte erzählt, dann wird es auch um Euch geschehen sein. Es bleibt kein Höschen trocken, wenn der „Schurke“ referiert, wie Charlotte mit einer brennenden Kerze im Fenster die Abwesenheit ihres Ehemannes signalisierte, um den Dichter aus seiner schäbigen Gartenlaube zu sich nach Hause locken zu können. Wohl dem, der solche Sichtachsen hat!

Richtig romantisch wird es dann aber erst auf dem „Historischen Friedhof Weimar“, auf dem der „Schurke“ eine weitere gefühlsduselige Episode zum Besten geben kann. Hier liegen – neben den bereits genannten großen Persönlichkeiten Weimars – auch Carl August (Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach) und seine russische Ehefrau Maria Pawlowna begraben. Da Frauen nun einmal anspruchsvoll sind, war diese Beerdigung von besonderen Begleitumständen geprägt. Ihr Wunsch war es nämlich, auf russischem Boden nach orthodoxen Bräuchen beerdigt zu werden, doch da Carl August seiner Liebsten auch nach dem Tode nahe sein wollte, konnte er auch diesem Wunsch auf höchstkreative Weise nachkommen. Flugs wurde russische Erde aus der Heimat Marias herangekarrt und eine russisch-orthodoxe Kirche auf dem Friedhof errichtet. Die Mausoleen der beiden wurden unterirdisch miteinander verbunden und schwupps waren die beiden Turteltäubchen trotz unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen auch post mortem unzertrennlich geworden. Also, wenn dieser Absatz keine gänzlich neue Leserschaften erschließen wird…

Ich hingegen erlebe meinen persönlichen unvergesslichen Weimar-Moment in der „Altweimarische Bierstube“ am Goethebrunnen. Während ich gemütlich in der Sonne am Frauenplan (einer der bedeutendsten Plätze Weimars – Goethes Wohnhaus in der Nachbarschaft sei Dank) sitze, mein lokales „Ehringsdorfer“ genieße und ein traditionelles Auswärtsschnitzel speise, nähert sich schnellen Schrittes ein Rentnerehepaar. „Entschuldigung, dürfen wir uns hier zu Ihnen setzen“, fragt er. Ich schaue mich um und stelle augenrollend fest, dass ich nahezu der einzige Gast des Lokals bin und sich um mich herum schätzungsweise 784 leere Tische befinden. „Nein, sind Sie bescheuert, oder was?“ ist in etwa das, was mir just in diesem Moment durch den Kopf geht, aber meistens sorgt irgendein vermaledeites Sozialarbeiter-Gen in mir dafür, dass das, was in Folge dem Mund entweicht, mit diesen ehrenwerten Gedanken nur wenig gemein hat und sich dann zu meinem persönlichen Nachteil auswirkt. „Nein. Setzen Sie sich doch bitte einfach an einen der freien Tische“, antworte ich zu meiner eigenen Überraschung. Das „schmale Handtuch“, wie das altehrwürdige Haus im Volksmund genannt wird, scheint mich irgendwie zu inspirieren. „Aber bei Ihnen scheint so schön die Sonne!“, setzt der Senior noch einmal nach, doch mit einem „ja, deswegen sitze ich ja auch hier“, erkläre ich die unangenehme Situation für beendet, während die Dame ihrem grantelnden Heinz am Arm packt und in den Schatten zieht. Endlich die eigenen Bedürfnisse über die der anderen gestellt – da wächst die Brust des schmalen Handtuchs!

22.03.2019 Eisenach
Am Freitagmorgen verlasse ich um kurz nach 11.00 Uhr das wunderschöne Weimar in Richtung Eisenach. Für horrende 15,90 € könnte man in einer Stunde mit der Bimmelbahn dorthin gelangen, oder aber man nimmt einen Euro mehr in die Hand, gönnt sich ab Erfurt eine dekadente Überfahrt im ICE und spart 15 Minuten Fahrzeit. Die Preispolitik der „DB“ macht es möglich, dass Fetti langsam aber sicher die Bodenhaftung verliert. Regionalbahn fahren ist schon lange unter seinem Niveau!

Der Weg vom Bahnhof Eisenach zu meiner Pension bereitet mich dann auf das vor, was in den nächsten Stunden so auf mich zukommen wird. Jeder gottverdammte Stromkasten, jede einzelne Laterne und jeder Mülleimer ist hier mit widerlicher Nazi-Propaganda beklebt. „FCKANTIFA“, „Nazizone“, „Abrakadabra Antifa ins Arbeitslager“, „unser Kampf bleibt National“, „Nationaler Aufbau“, „NS Zone“, „Die Identitären“, „Patrioten Propaganda“ – nur, um die Bandbreite der bedrückenden Sticker-Slogans und der Graffiti-Schmierereien grob anzudeuten.

Mit einem einigermaßen beklemmenden Gefühl in der Brust habe ich nach einem 40-minütigem Spaziergang meine Ferienwohnung am Stadtrand erreicht. Hier empfängt mich ein Schnurrbart im Blaumann, der gerade im Garten arbeitet und den Check-In mit einem eleganten Smalltalk begleitet. „Du kommst aus Berlin? Ost oder West?“. Meine diplomatisch geschickt gewählte Antwort, dass ich in Ostberlin lebe, scheint ihn zu beruhigen. Er lässt es sich nun jedenfalls nicht nehmen, mir von seinem Militärdienst in Hennigsdorf und Oranienburg zu berichten und dass sich erst neulich wieder irgendein „Westler“ über die Toilette auf halber Treppe beschwert hätte. Im Wohnzimmer liegt ein Meisterwerk der politischen Hauptverwaltung der Nationalen Volksarmee zur Lektüre bereit. Der geneigte Eisenachbesucher darf sich hier „Vom Sinn des Soldatenseins“ überzeugen, wobei das Kapitel VI des „Ratgeber für den Grenzsoldaten“ über den Klassenfeind und seine Absichten von meinem Gastgeber offenbar besonders häufig quergelesen wurde. Flucht in die Vergangenheit. Auch nicht immer eine absolute Gewinnerstrategie.

Nach all den gewonnenen Eindrücken ringe ich mit mir, ob ich die Wohnung überhaupt noch einmal verlassen mag, kann mir dann aber glücklicherweise einen Ruck geben, der Innenstadt eines Blickes zu würdigen. Hier kann Eisenach einiges wieder wettmachen und punktet durch seine historischen Bauten und dem schönen Marktplatz mit Rathaus und Georgienkirche auf ganzer Linie. Johann Sebastian Bach erblickte 1685 in Eisenach das Licht der Welt. Dort, wo heute das „Bachhaus“ auf 600² Ausstellungsfläche dem bekanntesten Sohn der Stadt gedenkt, ist er jedoch womöglich gar nicht geboren worden. Der historische Irrtum über das Geburtshaus Bachs besteht seit Mitte des 19. Jahrhunderts und hält sich dank einer Schautafel am Museum bis heute. Dabei geht man mittlerweile davon aus, dass Bach die ersten 10 Jahre seiner Kindheit nicht in diesem Haus, sondern in irgendeinem der umstehenden Häuser in einem Umkreis von ca. 100 Metern verbracht haben muss. Damit scheidet das „Schmale Haus“, welches am Johannisplatz steht, als potentielles Geburtshaus natürlich aus, ist aber dennoch von besonderer Bedeutung für die Stadt. Es ist nämlich nur 2,05 Meter breit, ist somit das schmalste bewohnte Fachwerkhaus Deutschlands und verfügt gar über eine eigene Internetpräsenz. Urlaub in Deutschland. Da kann man was erleben.

Trotz der recht schönen Ablenkung fallen die anhaltenden Schmierereien derart schwer ins Gewicht, dass ich von einer Einkehr in eine Gaststätte mit Wartburgblick absehe. Wer weiß, auf wie viele Wutbürger in ostdeutsch karierten Shorts man hier treffen würde. In der Tat hat mich die ganze Nazischeiße im Stadtbild derart in die Knie gezwungen, dass ich mich freiwillig dazu entscheide, mich in meine Ferienwohnung zurückzuziehen und mir mein Abendessen selbst zu „kochen“. Heute gibt es also rucksackgelagertes Formfleischschnitzel aus Pforzheim, einen Snacksalat vom „Nahkauf“, zwei-drei „Wartburg Export“ und der Bericht aus Stendal entsteht. Na, Prost Mahlzeit!
Da kann Fetti nur den Kopf schütteln. Arbeit im Urlaub? Ist doch kein Auswärtsblog hier…

23.03. Eisenach
Am Samstag zeigt sich aber recht schnell, dass gestern Abend keine verkehrte Entscheidung getroffen worden ist. Die „White Power“-Sudelei an der Bahntrasse ist schon ekelhaft genug, aber als kurz darauf ein Jugendlicher seiner Mutter gegenüber auf offener Straße ungeniert von „dreckigen Juden“ spricht, ist für mich das Maß des Erträglichen genaugenommen bereits wieder voll. Wie soll das erst nachher beim Fußball werden? Ich kämpfe gegen größer werdende Rückzuggedanken an und gehe aus dieser Schlacht wohl nur als Sieger hervor, da ich die Wartburg zumindest einmal gesehen haben möchte und ich aktuell nicht davon ausgehe, in meinem Leben jemals freiwillig nach Eisenach zurückzukehren. Plötzlich erkennt man wie von Geisterhand hinter jeder Sonnenbrille mit Kurzhaarfrisur eine Nazifresse und auch die „Zecken umklatschen“-Aufkleber sowie die eingeschmissenen Scheiben des „Eisenacher Aufbruch“ tragen nicht unbedingt zum verbesserten Wohlbefinden meinerseits bei. Ich bin zwar weit davon entfernt, zu behaupten, dass jeder Eisenacher ein Nazi ist, aber offenbar gibt es doch verdammt wenige Menschen, die sich aktiv einsetzen und wenigstens das Straßenbild retten. Ist es zu viel verlangt, dass ein paar engagierte Menschen all die Sticker überkleben oder entfernen? Gibt es keine jungen Menschen, die in der Lage sind, eine Sprühdose zu bedienen und zumindest die schlimmsten Ausfälle zu übermalen? Wie dem auch sei, im Wald hat man dann schließlich seine Ruhe und kann sich von den innerstädtischen Strapazen erholen. Dennoch hat es mir die Laune verhagelt und nach gut 45 Minuten Fußweg reicht es mir dann trotz eher schlechter Aussicht, ein Foto der Wartburg aus sicherer Entfernung zu schießen und dann wieder umzukehren. Ist vielleicht doch besser, so wenig Menschen wie möglich zu treffen.

Um 12.15 Uhr fährt in der selbsternannten Automobilstadt endlich der erste „Wartburg“ an mir vorbei und ich bin mit dem abgebrochenen Burgbesuch bereits wieder soweit versöhnt, dass ich auch dem Fußballspiel eine Chance geben mag. Mein Fußweg führt also weiter in Richtung „Wartburgstadion“, in dessen unmittelbarer Nähe auch der FSV Eintracht Eisenach sein zu Hause hat. Die Sportanlagen beider Vereine sind malerisch zwischen Hörsel und Michelsbach in der Katzenaue gelegen und auf einem wunderbaren Ascheplatz knödeln Geflüchtete miteinander. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein.

45 Minuten vor Spielbeginn decke ich mich im „REWE“ mit einem frischen „Wartburg Export“ ein und erkunde dank eines offen stehenden Tores die Spielstätte. Das Stadion wurde 1955 eröffnet und fasste einst bis zu 20.000 Zuschauer. Der Zuschauerrekord stammt aus dem Jahre 1967, als bei einem Länderspiel der B-Elf der DDR gegen Ungarn 14.000 Menschen in das Stadion gepilgert waren. Der Eisenacher Fußballclub hieß damals BSG Motor und spielte zeitweise immerhin in der zweithöchsten Spielklasse der DDR. In der Nachwendezeit startete der Verein als SV, später als FC Wartburgstadt Eisenach bis in die Thüringenliga durch. Nach der Fusion mit zwei weiteren Eisenacher Vereinen nannte man sich im Jahre 2011 in FC Eisenach um und erzielte mit dem Aufstieg in die Oberliga 2013/14 den größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte. Das Spiel gegen den 1.FC Lokomotive Leipzig mit 1.620 Zuschauern ist hier vielen in besonderer Erinnerung geblieben.

Während in den 1990er Jahren die Stehstufen in den Kurven und auf der Geraden abgerissen und begrünt worden sind, sind die alte hölzerne Haupttribüne und der Sprecherturm mit den dazugehörigen Maueranlagen aus Naturstein der Nachwelt erhalten geblieben. Auf der begrünten Gegengeraden, auf der sich dank ihrer Weitläufigkeit und rudimentär erhaltener Treppenanlagen die einstigen Größendimension des Stadions erahnen lassen, stehen heute einige Parkbänke in blau und weiß, von denen man die Spiele Landesklasse-Kicker entspannt verfolgen kann. Ob die Bänke offiziell zu den 139 Sitzen unter den insgesamt 4.500 Plätzen des Stadions zählen, ist jedoch nicht überliefert.

Als ich von meinem Toilettengang in der „Werner-Aßmann-Halle“ der Handballer des ThSV Eisenach zurückkehre, ist das offen stehende Tor des benachbarten Stadions verschlossen worden. Am Haupteingang werde ich freundlich begrüßt und dann mit 4 € zur Kasse gebeten. Dadurch, dass ich bereits beim Fotografieren aufgefallen bin, habe ich dem FC Eisenach von 2011 die Tageseinnahmen gerettet, ansonsten wäre das Schlupfloch wohl unentdeckt geblieben, wie der Kassierer ehrlich zugibt. „Dein Bier hast Du ja schon ausgetrunken, habe ich gesehen, aber trotzdem muss ich noch in Deinen Beutel schauen, damit du nichts dabei hast, um irgendwelche Menschen zu töten“, sagt er erst und händigt mir erst nach der Taschenkontrolle eine formschöne Kino-Abrisskarte aus, die er „extra noch aus der Metro geholt“ hat, um mir eine Erinnerung an den Stadionbesuch zu verschaffen. Netter Mensch.

Ich lasse mich mit einem kühlen Stadionbier in einem schönen Plastikbecher mit FC Eisenach Logo auf dem Grashügel der Gegengerade nieder. Das Publikum ist in etwa 100x angenehmer, als ich es erwartet hatte. Schon jetzt hat sich der Besuch des „Wartburgstadion“ ausgezahlt und über die anderen geschilderten Eisenach-Eindrücke etwas hinweggetröstet.

Nach 13 Minuten verzeichnen die Gäste aus Borsch die erste Großchance, doch Bittorf scheitert mit einem sehenswerten Flugkopfball am glänzend aufgelegten Keeper Ivan Renić, der eigentlich nur die Nummer 2 des FCE ist. Der etatmäßige Stammkeeper Hristo Kovachev sitzt heute verletzungsbedingt lediglich auf der Bank, doch bei diesem Vertreter muss einem nicht Angst und Bange werden. Außerdem sind diese beiden Personalien eine gesonderte Erwähnung wert, weil sich außer ihnen 31 deutsche Vornamen auf dem Spielberichtsbogen befinden. Bei all den Sebastians, Pauls, Roberts und Christians wird einem ja ganz schwindelig…

Nach 15 Minuten deutet sich bereits der erste Wechsel an. Gästekapitän Kraus ist angeschlagen, ganz zum Ärger der Wechselspieler, die vom Co-Trainer nun zum Warmmachen animiert werden müssen. „Echt? Jetzt schon? Wir wollten uns noch ein bisschen sonnen!“, äußert einer der Aufgescheuchten und zeigt so, dass er bis in die Haarspitzen motiviert ist. Wenige Minuten später kann der gute Mann doppelt aufatmen: Der Fernschuss des Eisenacher Kiesel rauscht knapp über das Tor und Kraus signalisiert, dass er doch weiterspielen können wird.

Nach 25 Minuten fällt das erste Tor des Tages. Eine kurz ausgeführte Ecke überrascht die Gäste, die den flachen und scharf hereingespielten Ball an den kurzen Pfosten nun nicht mehr vernünftig verteidigen können. Galozy und sein Gegenspieler Schel aus Borsch ringen um den Ball und irgendeiner der beiden drückt das Spielgerät im Infight über die Linie. Tendenz: Eigentor.

In Folge neutralisieren sich beide Mannschaften im Mittelfeld, ohne dass es weitere nennenswerte Höhepunkte zu verzeichnen gibt. Sicherlich ein Erfolg für die Hausherren, die dem amtierenden Landesklassenmeister und Tabellendritten hier gut Paroli bieten können. In der 41. Minute kann der FC Eisenach das Ergebnis beinahe in die Höhe schrauben, doch leider scheitert Kraiczi letztlich an der Latte, nachdem er sich im Zweikampf schön behauptet und einen Gegenspieler abgeschüttelt hatte.

In der Halbzeit kann sich Fetti endlich über die erste Thüringer Rostbratwurst des Urlaubs hermachen, nachdem man in Erfurt noch die Dreistigkeit besessen hatte, im Gästeblock lediglich Currywurst anzubieten. Dazu gibt es ein weiteres kühles Bier und schon kann man frohen Mutes in den zweiten Durchgang starten, welchen der Gästetrainer mit der knackigen Ansage „einfache Bälle spielen, die schwierigen können wir nicht!“ eröffnet.

Seine Spieler leisten ihm Folge und gewinnen Oberwasser. Gerade einmal 60 Sekunden sind gespielt, als sich der auffällige Bittorf auf der rechten Seite gleich gegen zwei Gegenspieler durchsetzen kann, in den Strafraum eindringt und den Rückpass mustergültig an den Mann bringt. René Metzler hat keine große Mühe, den Ball zum 1:1 einzuschieben. In Folge drückt der Gast, lässt Ball und Gegner laufen und schiebt immer wieder an, ohne jedoch gute Abschlussgelegenheiten kreieren zu können. Bis zum Schlusspfiff riecht es permanent nach Auswärtssieg, doch fehlt den Gästen aus Borsch letztlich die finale Überzeugung. So muss sich das fußballerisch bessere Team schlussendlich mit einem Remis begnügen, was die Eisenacher mit den gut 100 Zuschauern im Rücken sichtlich erleichtert zu feiern wissen. Ich verlasse die Spielstätte gut gelaunt und doch einigermaßen erleichtert, dass es auch im Eisenach-Bericht zumindest an einer Stelle eine uneingeschränkte Reiseempfehlung geben wird. Das „Wartburgstadion“ ist in jedem Falle einen Besuch wert!

Als ich wieder vor meiner Ferienwohnung angekommen bin, werkelt der Schnurrbart im Blaumann erneut im Garten herum. Heute reinigt er gemeinsam mit seinem Sohn einen Grill und hübscht die Terrasse auf. „Wir wollen heute grillen, magst Du mit hinterkommen?“, fragt er mich. „Hinterkommen“ ist auch so ein Wort, das ich seit 10 Jahren nicht mehr gehört habe. Erinnerungen an mein Praktikum im DDR-Erzieherinnenkollektiv werden wach, aber die tun hier jetzt nichts zur Sache. „Wo kriege ich denn jetzt auf die Schnelle etwas zum Grillen her?“, halte ich für eine durchaus relevante Gegenfrage, die aber nicht nötig gewesen wäre. Wir Ossis halten eben zusammen und so erhalte ich eine herzliche Einladung zu Bier und Fleisch auf’s Haus, die ich – in der Hoffnung, dass es nicht politisch werden möge – dankend annehme. Für eine halbe Stunde verschwinde ich auf dem Zimmer und bereite mich mental auf alle Eventualitäten vor. Gedanklich erstelle ich eine Liste mit Tabuwörtern, die zum sofortigen Abbruch des Grillabends führen würden. Flüchtlinge, Merkel, Kuscheltierwerfer, Gutmenschen, so etwas. Damit ich nicht komplett ohne Mitbringsel dastehe, schnappe ich mir die gestern Abend übrig gebliebenen Auberginen in Tomatensoße in formschöner Konservendose, atme tief ein und wage mich dann in das Abenteuer ‚Grillabend in Westthüringen‘.

Die beiden freuen sich wirklich aufrichtig und ehrlich, als ich wieder im Vorgarten aufschlage. Die Auberginen kennen sie nicht und essen sie nicht. Hätte ich damals schon gewusst, dass „Eierfrucht“ die deutsche Bezeichnung für dieses fremdländische Gemüse ist, hätte ich eventuell bessere Vermarktungsmöglichkeiten gehabt. Aber offenbar habe ich ihnen bereits mit meiner bloßen Anwesenheit einen großen Gefallen getan und schon lassen sie erste gastfreundliche Taten folgen. Keine 30 Sekunden später kriege ich ein gekühltes tschechisches in die Hand gedrückt und die ersten Steaks und Würste werden kredenzt. Der Herr des Hauses erzählt, was seit 1990 in seinem Leben alles schiefgegangen ist, nachdem er sich damals das Haus für 60.000 D-Mark gekauft hat. Das Haus gegenüber steht seit 10 Jahren leer, seine Nachbarn sind alle arbeitslos und leben von Hartz IV, während die „schweren Westler“ alle Blöcke im Viertel aufgekauft haben. Und die Spare Ribs aus dem „Kaufland“, die kann man auch vergessen, weil die „Amis“ immer alles zu süß würzen. Der gute Mann geht auf die 70 zu und ich hätte ihn gut 20 Jahre jünger geschätzt. Eine gewisse Schwere liegt in der Luft, sein Gesicht ist von Traurigkeit gezeichnet, der Blick geht melancholisch in die Leere. Im Verlauf der nächsten beiden Stunden wird er nicht eine Anekdote erzählen, die positiv konnotiert ist. Hier kann man Sozialstudien anfertigen – oder sich einfach über die Herzlichkeit und Gastfreundschaft von Vater und Sohn freuen und darüber, dass irgendwann ein schöner Abend zu Ende geht, ohne dass die Tabuliste zum Einsatz kommen musste. Am Ende verabschiedet er mich mit einem freundlichen Händedruck und einem „Schön, dass Du da warst“.

Und ich meine, dass ich sogar ein kleines Lächeln in seinem Gesicht gesehen habe. Gut, dass Fetti und das schmale Handtuch zu Besuch waren. In Eisenach hat man ja offenbar sonst nichts zu lachen… /hvg