106 106 FUDUTOURS International 11.05.24 05:28:54

19.04.2019 SV Tasmania Berlin – Berliner SC 1:0 (0:0) / Werner-Seelenbinder-Sportpark / 185 Zs.

Alle Jahre wieder, stirbt das Jesuskind. Man verzeihe mir diesen gotteslästerlichen Einstieg, aber mit religiösen Feiertagen kann unsereins nun einmal einfach nichts anfangen. Jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Da gibt es schon andere Gründe, die man sich konstruieren muss, um sich auf Karfreitag, Ostermontag und Co zu freuen. Angefangen damit, dass sich gut 80% der zugezogenen Provinzler plötzlich daran erinnern, dass progressives Großstadtleben nicht immer erfüllend ist und sich diese dann genötigt fühlen, für einige Tage Karriere gegen Familien- und Kirchenbesuch in der Heimat einzutauschen. Für mich besteht die Freude an Feiertagen dieser Art in erster Linie schlicht und ergreifend darin, nicht arbeiten zu müssen und dass in Berlin dieser christliche Quatsch das Leben derjenigen, die eben auch dann nicht in die Kirche gehen wollen, wenn es im Kalender steht, nicht komplett zum Erliegen bringt. So habe ich am Karfreitag meinen Spaß damit, dass der gottlose Berliner Fußballverband den Mut aufbringt, einige Spiele in der Verbandsliga anzusetzen. Auch Fetti ist hellauf begeistert, verknüpft die Tradition mit der Moderne und ruft die für heute gültige Parole aus: Egal ob FUDU-Ferkel oder Jesus, niemand sollte groundlos sterben!

Trotz des Feiertages öffnet mir gleich der erste Späti auf dem Weg zum Ostkreuz die Pforten. Halleluja. An der Stelle, an der sonst die „Berliner Pilsner“ stehen, herrscht heute aber gähnende Leere im Kühlschrank. Offenbar habe ich es hier mit einem Integrationsprojekt zu tun, anders kann ich es mir nicht erklären, warum mich der freundliche Muselmann hinter der Theke derart perfide an die Karwoche gemahnt. In dieser soll sich der gemeine Christ schließlich an das Leid, Sterben und den Tod Jesu Christi erinnern und der Karfreitag ist nun einmal ein gebotener Fasten- und Abstinenztag, möchte er mir vielleicht noch erklären, aber da hat Fetti längst seine Auferstehung gefeiert und zum 30 Cent teureren „Schultheiss“ gegriffen. Soll ja keiner länger leiden, als nötig.

Der „Boxi“ ist an diesem sonnigen Freitag deutlich leerer als sonst, was die oben genannte Theorie der temporären Rückzüge auf angenehme Art und Weise untermauert. Weniger schön ist die zweite Validierung dieser Hypothese, die Fetti angesichts des anstehenden Auswärtsspiels in Fürth am morgigen Karsamstag zu spüren bekommen hatte. Wenn sich zu viele Menschen auf einmal in die selbe Richtung bewegen, kann das bei „Die Bahn“ (!) schon einmal die Preise versauen. Eines ist schon jetzt klar: Wenn Fetti morgen um 4.28 Uhr in den einzig finanzierbaren Fernzug des Samstags steigen wird, wird er jeden einzelnen Südwestaffen, der von Berlin in Richtung Dorfkirche aufbricht, in Gedanken ans Kreuz nageln…

Plötzlich weckt mich eine übermotivierte Studentin aus meinen misanthropischen Träumen, indem sie mir mit einem Klemmbrett vor der Nase herumfuchtelt. Ich habe den Bahnhof Ostkreuz bereits in Sichtweite und muss mir jetzt so knapp vor dem unbehelligten Erreichen meines Ziels irgendetwas Besorgnis erregendes über die Bebauung der Rummelsburger Bucht anhören. Als ich meine Unterschrift verweigere, versucht sie, mich „emotional zu catchen“, wie sie es in ihrem „irgendwas-mit-Medien“-Studiengang womöglich unlängst gelernt hat. Geschickt stellt sie die tollkühne These: „Aber Du lebst doch sicherlich auch gerne hier!“ in den Raum, welche ich allerdings wahrheitsgemäß mit „Naja, geht so!“ beantworten und mit dieser grundsoliden Ehrlichkeit sämtliche weitere Bemühungen ihrerseits niederschmettern kann.

Beschwingt von diesem Dialog ist die Vorfreude auf das heutige Spiel in der Berlin-Liga bereits ins Unermessliche gewachsen, als ich am S-Bahnhof Hermannstraße die Ringbahn bereits wieder verlasse. In der Emser Straße zeigt sich Fetti nur kurz durch die markige Losung „Mopped fahrn und wichsen!“ irritiert, findet dann aber auch zu Fuß den Weg in den „Werner-Seelenbinder-Sportpark“, ohne öffentliches Ärgernis zu erregen.

Am 27. Spieltag empfängt der SV Tasmania Berlin als aktueller Tabellenzweiter den nur um zwei Rängen schlechter platzierten Berliner SC zum Spitzenspiel. Für 7,00 € Eintritt erhält man eine formschöne Eintrittskarte und das Stadionmagazin „Tas Spiegel“. Auf den Schokoladenosterhasen, den man bei sonnigen 21 Grad Celsius im Turnbeutel schmelzen lassen könnte, verzichtet Fetti dankend und organisiert sich anstatt dessen lieber ein schmackhaftes Hacksteak für zwei Euro und ein erstes Stadionbier.

Der „Werner-Seelenbinder-Sportpark“ ist für Fetti kein Neuland. In einem Testspiel vor gut 13 Jahren errang der glorreiche 1.FC Union Berlin an Ort und Stelle an einem Mittwochabend ein überzeugendes 1:1. Heute sind exakt 20 Zuschauer mehr erschienen, als an diesem unvergesslichen Tag im August 2006. Klar, dass der Gastgeber bei diesem Andrang auch Sicherheitsgedanken nicht gänzlichen außen vor lassen darf und so teilt man heute die beiden mit Stehstufen und einigen Sitzschalen ausgestatteten Tribünen auf den Längsseiten in „Heim“ (links) und „Gast“ (rechts) auf.

Auf der Heimseite beziehen die Fanclubs „Tasmanische Teufel“ und die „Tasmaniacs“ Stellung. Unterstützt werden die aktiven Supporter der Neuköllner heute von einigen Freunden von Tennis Borussia und Fetti, noch nachhaltig traumatisiert vom Wasserballspiel vor gut einer Woche, zieht es umgehend in den Gästeblock. Hier füllen sich die Traversen zusehends, obwohl nur wenige Zuschauer wahrhaftig mit dem Berliner SC sympathisieren. Vielmehr ist es die Sonneneinstrahlung, die für den steigenden Beliebtheitsgrad des Gästeblocks sorgt, während TeBe also einmal mehr auf der Schattenseite des Lebens steht.

Der Stadion-Animateur spielt noch eben schnell die komplette Bandbreite öffentlich-rechtlicher WM- und EM-Popgülle aus der Event-Hölle des Weltfußballs ab und schon kann er „least but not last“ Referee Marcel Richter begrüßen, der kurz darauf die Begegnung anpfeift und die Zuschauer von allen erlittenen akustischen Qualen erlöst.

Es folgen optische Qualen. Zwar darf man den Auftakt der Gäste in die Partie durchaus gelungen nennen, doch nachdem sich Tasmania nach gut 15 Minuten endlich gefunden und Struktur in das eigene Spiel gebracht hat, ist Schluss mit der Herrlichkeit des Berliner SC. Wohlwollend mag man ab diesem Zeitpunkt vielleicht von einem ausgeglichenen Spiel im Mittelfeld sprechen, etwas weniger gönnerhaft darf getrost von einem ziemlich dürftigen Berlin-Liga-Gerumpel gesprochen werden. Schön sind da nur die „Ra-Ra-Ra Tasmania“ und „Tasmania Fantastica“ Gesänge aus dem Heimbereich, während die Wärme nach 26 Minuten bereits zwei Akteure zu längeren Verletzungspausen in die Knie gezwungen hat. Tieftraurig stimmt Fetti, dass beim Berliner SC Trainerlegende Wolfgang Sandhowe schmerzlich vermisst wird. Nach 43 Minuten stehen genau zwei mittelmäßige Torschüsse der Heimmannschaft auf dem Notizzettel, bei den Gästen ist nach den euphorischen Anfangsminuten in der Offensive rein gar nichts mehr passiert. Einen einzigen echten Aufreger hat die Partie kurz vor dem Pausenpfiff dann aber doch noch zu bieten, allerdings verwehrt der Schieds Richter den Gästen den Elfmeterpfiff, der zumindest im Rahmen des Möglichen gewesen wäre. So geht die erste enttäuschende Hälfte des vermeintlichen Spitzenspiels torlos zu Ende.

In der Halbzeit kann man sich nun endlich dem „Tas Spiegel“ zuwenden. Hier erfährt man, dass sich der SV Tasmania Berlin, der 1973 neu gegründet wurde, durchaus mit Stolz auf seinen Vorgängerverein SC Tasmania 1900 bezieht. In dem Heft wird die Bundesligasaison 1965/66 jedenfalls lang und breit thematisiert. 81.524 Zuschauer waren damals zum ersten Heimspiel gegen den KSC gekommen, um einen 2:0 Sieg erleben zu können. Wie die Saison sportlich endete, dürfte jedem Fußballfreund in Deutschland bekannt sein. Am Ende der Saison hatte sich der Zuschauerschnitt übrigens auf 19.400 eingependelt. Der damalige Negativrekord (827 gegen Borussia Mönchengladbach) stellt in der Neuzeit wohl eher eine Orientierungsmarke für die kommende Oberligasaison dar, sollte der Aufstieg aus der Berlin-Liga gelingen: 827 Zuschauer im Schnitt im Seelenbinder-Sportpark – das würde in diesem kleinen und engen Stadion schon Freude bereiten…

Der „Tas Spiegel“ erklärt heute darüber hinaus die Gründe für das sportliche Desaster und hat auch ein humoriges Interview mit dem damaligen Mannschaftskapitän Hans-Günter „Atze“ Becker zu bieten. Trainer Fritz Mauruschat habe damals in seiner Nachbarschaft gewohnt und ihn einst gefragt, ob er einen „anständigen Menschen mit zum Training nehmen könne“, woraufhin „Atze“ geantwortet haben soll: „Ja, kennen Sie denn einen?“. Außerdem lernen wir, dass „Atze“ nach dem Abstieg ein Angebot von Eintracht Braunschweig ausschlug, um seine Arbeitsstelle beim Eichamt Berlin nicht zu verlieren. Schon neigen sich die fünfzehn Pausenminuten, die deutlich unterhaltsamer waren als das Spiel, dem Ende entgegen und Fetti lässt sich von der Atze vom Eichamt das Kaltgetränk für den zweiten Spielabschnitt bis über den Strich füllen.

Gerade einmal sieben Minuten sind gespielt, als Gästestürmer Max-Fabian Woelker aus fünf Metern kläglich versemmelt. „Solche Chancen kommen nicht wieder“, hört man aus der Altherrenriege, die es mit dem Berliner SC hält. Irren ist menschlich und so vergehen wieder nur sieben Minuten, ehe Woelker urplötzlich erneut alleine vor Keeper Schelenz auftaucht, doch auch der zweite Versuch aus gleicher Distanz endet ohne Torerfolg. Tasmania-Verteidiger Mehmet Okan Kirli, der – vorsichtig formuliert – nicht ganz austrainiert wirkt, war zwei Mal nicht hinterher gekommen. Der freundliche Herr mit Sparta-Lichtenberg-Jacke hat genug gesehen und verlässt den Sportpark. Aktuell weisen die Lichtenberger zwar lediglich einen Punkt Vorsprung auf „Tas“ auf, dennoch scheint man sich aufgrund des Gesehenen seiner Sache an der Fischerstraße nun sicher zu sein. Von diesen Tasmanen dürfte keine echte Gefahr ausgehen…

Der Gast bleibt in Folge die gefährlichere Mannschaft. Nach 67 Minuten wird auf Heimseite endlich Nicola Thiele eingewechselt, der in seinen bisherigen von FUDU begleiteten Auftritten (08.04.2018 , 16.06.2018) stets überzeugen konnte. Thiele findet schnell ins Spiel und so dauert es auch nicht mehr lange, bis er maßgeblich am ersten gelungenen Angriff der Heimmannschaft beteiligt ist. Jetzt kommt noch mal Leben auf das Spielfeld und auch auf den Rängen tut sich etwas. Zur 75. Minute hat FUDU noch einmal Zuwachs bekommen – man kann den beiden sicherlich vieles vorwerfen, nicht aber, dass sie kein Gefühl für Timing hätten. Während unsereins 75 beschwerliche Minuten lang mit Rumpelfußball gequält wurde, kommt manch einer eben lieber kurz vor knapp und greift im Vorbeigehen die Rosinen ab.

In der 81. Minute vergibt Gästestürmer Önal die nächste und letzte einhundertprozentige Torchance für den BSC. Kurz darauf schlägt die große Stunde der Tasmanen. Eine völlig verunglückte Flanke sorgt zwar zunächst für einen Wutausbruch eines Seniors, der abwinkt und mit sich mit dem Begleitkommentar „Man, man, man, was für ein Niveau hier“ anschickt, den Sportplatz zu verlassen, doch noch beim Herausgehen wirft er einen flüchtigen Blick über die Schulter zurück auf den Rasen. Tatsächlich gelingt es Thiele, den vermurksten Ball irgendwie in die Gefahrenzone zu verlängern, in der Romario Hartwig völlig frei steht und den Ball geistesgegenwärtig in das Tor schieben kann. „Tas“ feiert seine mehr als schmeichelhafte Führung selbstkritisch halbherzig.

Natürlich reichen den Nachzöglingen die bescheidenen 15 Minuten Anwesenheit auch, um beide Ex-Unioner spielen sehen zu können. Erst wird auf Seiten des Berliner SC Kiyan Soltanpour eingewechselt, einige Minuten später folgt in den Neuköllner Farben Kiminu Mayoungou. Mehr gibt es heute zwar nicht mehr zu sehen, dennoch hält auch der effiziente Flügel FUDUs die letzten vier belanglosen Spielminuten aus und verschwendet seine Zeit mit mir, ehe Richter das Spiel für beendet erklärt.

Die After-Show-Party steigt heute in zwei Etappen. Zunächst wird kieznah im „Schiller’s“ angestoßen, später am Abend gesellt sich der „Fackelmann“ voller Fürth-Vorfreude dazu. Im „Abgedreht“ verköstigt man einige Getränke, darunter auch ein unfiltriertes mit dem vielversprechenden Namen „Wilder Mann“. „Der spritzige helle Sachse“ weiß zu gefallen und so vergehen die Stunden bis zur Abfahrt gen Franken aufgrund des Tanzverbots am Karfreitag eben im Sitzen und nach der Feier des höchsten Fests der Christenheit wird man dann ja auch endlich wieder die Gläser erheben und sich ein köstliches, ausgiebiges Mahl gönnen können… /hvg