Posted on August 17, 2019
17.08.2019 Berlin United FC – FSV Spandauer Kickers 1:2 (0:1) / Sportanlage Westend / 60 Zs.
Stefan Teichmann ist nicht nur Architekt und Immobilienmakler, sondern auch Visionär und bodenständig. Seit anderthalb Jahren investiert er viel Zeit und Geld, um Berlins Fußball-Landkarte endlich um einen Verein zu bereichern, der Hertha BSC und dem 1.FC Union Berlin in naher Zukunft das Wasser abgraben kann. Den „Club Italia 1980 Berlino“ hatte er im vergangenen Sommer in „Berlin United FC“ umbenannt und als erste Maßnahme einer fancy New Yorker Agentur die Domain der neuen Club-Website abgekauft. Öffentlichkeitswirksam wurde kolportiert, dass der kommende Big Player des NOFV hierfür stolze 1.500 € aus dem Ärmel schütteln konnte – nicht schlecht für einen Siebtligisten, dessen Konkurrenz für ähnliche Summen womöglich die gesamte Spielzeit durchfinanzieren musste.
Der Aufstieg mit Thomas „Icke“ Hässler an der Seitenlinie gelang in Folge mit spielerischer Leichtigkeit. Klar, dass es da nicht lange auf sich warten ließ, bis sich der Clubeigner mit seriösen Entwicklungsplänen an die Öffentlichkeit wandte, um Sponsoren für die Berlin-Liga mit kühnen Visionen zu ködern.
Nun ist also zu lesen, dass der Berlin United FC bis 2025 Aufstiege bis in die 3. Liga anpeilt, um 2026 in die zweite aufzusteigen und spätestens 2031 erstklassig spielen zu können. Und wenn man da schon einmal angelangt ist, dann kann man natürlich für die Spielzeit 2033/34 auch direkt das Ziel mit ausrufen, in der Champions League mitmischen zu wollen. Im eigenen Stadion – mit einer defensiv geplanten Kapazität von 80.000 – das bis dahin sicherlich irgendwo auf Berliner Stadtgebiet einen Platz gefunden hat. Bei erwarteten 100.000 Mitgliedern zu diesem Zeitpunkt dürfte es jedoch sehr schwer werden, dann auch Eintrittskarten für die Topspiele zu erhalten. Haben wir hier etwa einen ersten kleinen Planungsfehler von Herrn Teichmann offen gelegt?
Vermutlich hat jeder erwachsene Mensch, der sich im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten befindet, an dieser Stelle bereits Bauchschmerzen, während jeder Fußballfan, der in seiner Jugend steile „Anstoß 3“-Karrieren hingelegt hat, vielleicht auch ein wenig Empathie für Stefan T. empfindet. Hat ja damals schließlich auch geklappt – mit Pulle Pfullendorf und 120.000 enthusiastischen Fans im Rücken ganz Europa erobern!
Ferner moniert Teichmann, dass man in Madrid und Paris nur Kopfschütteln ernten würde, spräche man dortige Fußballfans auf „Hertha“ an. Andersherum würden aber etliche Berliner Kinder mit Paris St. Germain- oder Real Madrid-Klamotten über die Schulhöfe schlendern. Es sei endlich an der Zeit, eine Fußballmarke zu etablieren, die man europaweit mit der Hauptstadtregion in Verbindung bringen und stolz zur Schau tragen würde. Hierfür ist Berlin allein aber nun wirklich viel zu klein, weswegen Teichmann, der Fuchs, nicht nur die stinkende Hauptstadt, sondern auch noch die gesamte tote Region drumherum emotional mit ins Boot holen mag, um das große Projekt mit viel Rückenwind anzuschieben. Nur folgerichtig also, dass das neu geschaffene Vereinslogo nicht nur der Berliner Bär, sondern auch der stolze Brandenburgische Adler ziert.
Bei FUDU schlägt diese Marketingkampagne jedenfalls ein wie eine Bombe. Nachdem man den ersten Spieltag der Berlin-Liga (United siegte auf dem Weg in die Champions League mit 2:1 bei Eintracht Mahlsdorf) aufgrund des Pokalspiels des 1.FC Union in Halberstadt noch verpasst hatte, gibt es nun kein Halten mehr. Wir (ich aus Berlin kommend, er aus Brandenburg – Teichmanns Plan geht voll auf!) müssen dringend auf die „Sportanlage Westend“ – bevor hier das große Bundesliga-Tamtam angekommen oder der Verein in die Insolvenz geschlittert ist!
Nun sind wir also angesichts der seltsamen Anstoßzeit von 14.15 Uhr um 13.40 Uhr am S-Bahnhof Westend verabredet, was für mich alten Autisten, der sich unheimlich gerne zur halben oder vollen Stunde trifft, schon einmal schwer auszuhalten ist. Noch größer ist dann die Hürde, in Westberlin lebend über die Straße zu kommen. Ein Hoch auf die Verkehrsplaner der 60er-Jahre, die auch hier vergessen haben, dass Menschen manchmal ohne Auto unter dem Hintern von A nach B wollen. Am Westend kulminiert das ganze prä-Ölkrise-Planungsdesaster in seiner schönsten Form und so kann man sich nicht nur über die A100 erfreuen, die eine Ebene tiefer für Verkehrslärm sorgt, sondern auch über den Spandauer Damm, der als Hauptverbindungsstraße zwischen Charlottenburg und Westend ebenfalls mehr als ordentlich befahren und nur schwer passierbar ist. So dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich unsere beiden tapferen FUDU-Helden, die bedauerlicherweise nicht den selben Ausgang des S-Bahnhofs gewählt haben, endlich in die Arme schließen und gemeinsam in das Abenteuer Berlin-Liga starten können.
Für einen Obolus in Höhe von 4,00 € erhält man nach kurzem und gut ausgeschildertem Fußweg Einlass auf die „Sportanlage Westend“. Dazu reicht der mondäne Berlin-Ligist anstelle einer Eintrittskarte ein rotes Armband. Ein besserer Testballon für derlei VIP-Chichi, als der Besuch der gut betuchten FUDU-Schweine, ist auch wahrlich nur schwer vorstellbar. Wenn 2025 die echten VIP in das neu errichtete Stadion zu Westend strömen, wird der Berlin United FC (dank uns!) darauf vorbereitet sein. Unsere Armbänder passen jedenfalls wie angegossen und berechtigen uns, auf einem Grashügel Platz zu nehmen und zunächst einmal den C-Jugendlichen von Oranje Berlin dabei zuzuschauen, wie sie sich nach allen Regeln der Kunst von Eintracht Mahlsdorf abschlachten lassen.
Die Champions League ist für Berlin United aktuell jedenfalls so weit entfernt, dass sich die ersten Männer mit ihrem Einsatz so lange gedulden müssen, bis die pubertierenden Bengel hier mit ihrem Gebolze fertig geworden sind. Drei Tore hat die Eintracht in kürzester Zeit bereits in unserer Anwesenheit erzielt, wobei der bemitleidenswerte Mahlsdorfer Junge mit Brille (#14) drei weitere Hochkaräter fahrlässig ausgelassen hat. In der 49. Minute des Vorspiels ist die Ekstase bei FUDU dann nicht mehr abzuwenden, als es auch endlich diesem Kind gelingt, den Ball über die Torlinie zu drücken. Die nachträgliche Recherche ergibt, dass Mahlsdorf das Spiel mit 14:1 für sich entscheiden konnte und exakt ein Name taucht im offiziellen Spielberichtsbogen auf. Es ist Tommy K., der Junge mit der 14. Seinen Weg solltet ihr verfolgen – wir denken, aus dem wird nichts.
Mit stolzen 25 Minuten Verspätung kann Schiedsrichter Benjamin Buth endlich das Hauptspiel des heutigen Nachmittags eröffnen. Bei Berlin United bietet Trainer Fabian Gerdts (Zitat Teichmann: „Der Mini-Nagelsmann“), der seit Beginn dieser Saison anstelle des geschassten Hässler an der Seitenlinie steht, personell einiges auf, was im Berliner Fußball Rang und Namen hat. In der Startformation finden sich so Mayoungou, Banze, Turhan und Rockenbach da Silva wieder, auf der Bank nehmen u.a. Niendorf und Kruschke Platz. Verzichten muss Coach Gerdts heute lediglich auf die verletzten Thiemo-Jérôme Kialka und Philip Malinowski, sowie auf den überraschend zum BFC Preußen (neuer Chefcoach: „Icke Hässler“) abgewanderten Ex-Herthaner Lennart Hartmann. Unter dem Strich gibt es jede Menge Oberliga- und Regionalligaerfahrung in den Reihen des ambitionierten Berlin-Ligisten zu bewundern, dank Kialka und Rockenbach gesellen sich sogar einige Einsatzminuten in der zweiten und ersten Fußball-Bundesliga dazu.
All diese illustren Namen nutzen einem aber natürlich rein gar nichts, wenn sich in den Reihen des Gegners ein Altinternationaler aus Äquatorialguinea befindet. So lautet die Erkenntnis des heutigen Tages, die den favorisierten Gastgebern nach gut einer halben Stunde zu dämmern beginnt.
Bis hierhin hat United lediglich eine Torchance produziert, die von Banze aus fünf Metern per Volleyschuss kläglich versiebt wurde. In Folge bieten die Spandauer Kickers rund um ihren Jesus-Christ-Superstar Kote López (aufmerksame Leser erinnern sich vielleicht an dieses oder dieses Spiel – und auch hier könnte er mit von der Partie gewesen sein…) nicht nur Einsatz, Kampf und Leidenschaft, sondern überraschen ihrerseits mit attraktivem Offensivspiel, wann immer sich die Möglichkeit hierfür bietet.
Nach 25 Minuten scheitern die „SpaKis“ erst per Kopf an United-Keeper Büchel und in Person von Kote López im Nachschuss an der Unterkante der Querlatte, doch nur drei Minuten später ist der Bann gebrochen. Jesucristo Kote López, genannt „Jhohny“, wird von Tastan per gelupften Direktpass aus dem Mittelfeld mustergültig bedient und verwandelt mit einem trockenen Linksschuss ins lange Eck. So eiskalt bleibt man vor dem Tor nur, wenn man ein Länderspiel in der Vita stehen hat. Am 11.08.2010 durfte der damals 19-jährige Kote López für Äquatorialguinea gegen Marokko aufdribbeln, aber all das ist Schnee von gestern. Heute steht es 0:1 – und allein das reicht aus, um dafür zu sorgen, dass die 60 Zuschauer Bauklötze staunen und die United-Töle wie ein Schlosshund zu heulen beginnt.
Bis zum Halbzeitpfiff haben die Spandauer Kickers in einem ereignisarmen Spiel alles im Griff. Wann immer Berlin United in Ansätzen seine erhoffte Klasse abruft und in vielversprechende Positionen vordringt, werfen sich die Kickers in jeden Zweikampf und in jeden Schuss aus der zweiten Reihe. Jeder abgeblockte Ball wird gefeiert wie ein eigener Treffer, jeder gewonnene Zweikampf löst regelrechte Motivationsbrandreden in den eigenen Reihen aus und mehr braucht es in den 45 Minuten auch nicht, um dem hoch gehandelten Staffelfavoriten den Schneid abzukaufen. Mit ein wenig Glück wäre eventuell sogar noch ein Ausbau der Führung möglich gewesen, doch Engst und Tastan verpassen es in der Schlussphase der ersten Halbzeit, das Ergebnis in die Höhe zu schrauben.
In der Halbzeitpause erfahre ich, dass ich den Vorverkauf für das Auswärtsspiel des 1.FC Union Berlin bei Bayer 04 Leverkusen verpasst habe und nun ohne Eintrittskarte dastehe. Ach, wie schön war es doch früher, als man dank seiner Auswärtsdauerkarte einfach Karten für alle Spiele beinahe Frei Haus zugestellt bekam. Nun muss ich mich wohl oder übel daran gewöhnen, alle 14 Tage aktiv werden zu müssen, um weiterhin überall dabei sein zu können. Ein weiteres kleines Puzzleteil, das sich in den Gesamttenor unserer Halbzeitgespräche einfügt. Die Vorfreude auf die Bundesliga ist doch deutlicher geringer als die Sorge über all den Zirkus, der da in den kommenden Wochen und Monaten (und Jahren?) auf uns zukommen wird…
Da kann für’s Erste nur ein Sucukbrot Trost spenden. Das freundliche Team am Grill besteht aus exakt zwei Menschen, von denen einer die Bestellung aufnimmt und der andere das Grillgut aushändigt. Fehlt eigentlich nur noch ein Dritter im Bunde, der unser Geld entgegen nehmen mag, aber der Teufel steckt auf dem Weg in die Champions League bekanntermaßen immer im Detail. So freut sich FUDU heute bereits über das zweite Geschenk des Tages, hatte doch die 1.C von Oranje Berlin eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie mit einem Fußball eh nichts anfangen kann. In Vorbereitung auf den Besuch des Neffen schien dieser im Turnbeutel meiner heutigen Reisebegleitung jedenfalls deutlich besser aufgehoben…
Nachdem FUDU also dem türkisch-arabischen Imbissteam die Wurst und den Holländern den Ball geklaut hat, gerät man kurz in Sorge, ob man nun eventuell vom Schiedsrichter ausge-Buht werden wird, aber Benjamin tut nicht mehr, als das Spiel mit einem beherzten Pfiff wiederzueröffnen. Hier bleibt der erwartete und viel zitierte „Ruck, der durch die Mannschaft geht“ auf Seiten Uniteds aus und so dümpelt das Spiel gut 20 Minuten einigermaßen leblos vor sich hin. Die gelbe Karte für Murat Turhan nach 77 Minuten, der mit einer plumpen Schwalbe einen Foulelfmeter für seine Farben herauszuschinden versuchte, darf dann getrost als sinnbildlich für die Einfallslosigkeit des Favoriten betrachtet werden. Drei Minuten später vergibt United eine Zufallschance nach Strafraumgeflipper, woraufhin die Spandauer Kickers, bislang völlig zufrieden mit dem bisherigen Spielverlauf und der Konzentration auf die eigene Defensive, zum ersten ernsthaften Konter des zweiten Abschnitts ansetzen. Der lange Ball aus der Verteidigung landet in den Füßen von Dominik Dampke, der zielstrebig in den Strafraum zieht und dort von Mayoungou attackiert wird. Geschickt spitzelt dieser dem Angreifer in letzter Sekunde den Ball vom Fuß, doch Buth entscheidet zur Überraschung vieler auf Elfmeter und schickt Mayoungou mit glatt Rot für die vermeintliche Notbremse zum Duschen. „Jhony“ lässt sich nicht zwei Mal bitten und verwandelt den Elfmeter so eiskalt, wie man ihn nur verwandeln kann, wenn man ein Länderspiel in der Vita stehen hat…
Fassen wir die Ausgangslage zusammen: 81 Minuten sind gespielt, der Gast ist mit einem Mann in Überzahl, führt mit 2:0 und hat bis dato keine echte Torchance für die favorisierten Hausherren zugelassen. Alles deutet also darauf hin, dass die Entscheidung in diesem Spiel bereits gefallen ist, doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Erst wird Turhans Kopfballtreffer nach Rockenbach-Freistoßflanke wegen einer Abseitsstellung zurecht nicht anerkannt (84. Minute). Weniger klar ist es gut zwei Minuten später, als Brinckmann im Anschluss einer Schöffel-Flanke abermals per Kopf erfolgreich ist, allerdings auch dieser Anschlusstreffer wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung nicht anerkannt wird. Plötzlich stehen die Kickers mit dem Rücken zur Wand und die angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit spielen ihnen alles andere als in die Karten. Nach einer langen Flanke auf den zweiten Pfosten kann Yesiltepe den Ball tatsächlich zum 1:2 über die Linie drücken (90+2), doch mit etwas Glück überstehen die Kickers die letzten drei Minuten der Nachspielzeit schadlos. United-Keeper Büchel handelt sich im Nachgang der Partie noch eine rote Karte wegen einer Schiedsrichterbeleidigung ein und fertig ist der gebrauchte Nachmittag für den Champions-League-Aspiranten.
Die beiden Eastend-Boys von FUDU verlassen den Platz ohne Westend-Girls an der Hand. Berlin United geht mit ebenso hängenden Köpfen und mit null Punkten und zwei gesperrten Spielern aus der Partie. Wer weiß, vielleicht verblasst der Traum vom Durchmarsch in die Oberliga ebenso schnell wie der geklebte Fetti, den der „Hoollege“ hier irgendwann einmal bei einem Besuch des Club Italia (R.I.P.!) an den Laternenmast angebracht hat. Der 1.FC Union Berlin ist da schon einige Schritte weiter: Morgen startet man in die erste Bundesligasaison der Vereinsgeschichte. Die DFL hat für diesen besonderen Tag den größtmöglichen Hurensohn als Gegner ausgesucht und so wird man also mit einem „Ostderby“ gegen „Leipzig“ in die Saison 2019/20 starten.
Nächste Woche Sonntag werden wir dann den Spandauer Kickers bei einem Heimspiel Besuch abstatten. Zwei Bundesligaspiele werden dann bereits hinter uns liegen und man darf sehr gespannt sein, ob sich der 1.FC Union Berlin zu diesem Zeitpunkt noch mehr Hoffnungen auf eine Champions-League-Teilnahme machen darf, als Berlin United… /hvg
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