578 578 FUDUTOURS International 15.05.24 17:10:47

04.01.2019 Granada CF – Albacete Balompié 1:1 (0:0) / Estadio Nuevo Los Carménes / 11.991 Zs.

Da sitzen wir nun also in San Roque La Línea auf spanischem Boden und warten auf den Zug der „renfe“ (→ Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles), der uns in 3 Stunden und 59 Minuten Fahrzeit nach Granada befördern soll. Die Wartezeit auf das spanische Geschoss lässt sich auch gut nutzen, um sich von dem Pennälerhumor der schrulligen Rezeptionistin des „Hotel Bristol“ in Gibraltar erholen zu können. Kleine Kostproben der letzten Stunden gefällig? „Haben Sie einen Stadtplan?“ – „Ja, habe ich, haben Sie denn auch einen?“, „Könnten Sie unsere Koffer einschließen?“ – „Ja, das kann ich, aber ich gebe sie euch vielleicht nicht wieder!“, „Können Sie etwas für uns drucken?“ – „Nein, ich kann das nicht, aber unser Drucker schon!“.

Puh, was haben wir gelacht. Doch immerhin war FUDU mit allen Anfragen erfolgreich und so kann man sich nun mit den am 27.12. gebuchten und im „Hotel Bristol“ gedruckten Zugtickets zu je 30 € etwas Frischluft zuwedeln. Gut zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges und vor Öffnung des ersten Bierchens des Tages verspürt Fetti einen leichten Harndrang und so begibt er sich auf die Suche nach einer Bahnhofstoilette. Fehlanzeige am Gleis, Fehlanzeige im Bahnhofsgebäude. Eine klare Misserfolgsgeschichte, wäre er auf seiner Expedition nicht zufällig auf einen unscheinbaren weißen Zettel in einem Schaukasten gestoßen. Dieser sorgt nun dafür, dass Fetti etwas aufgeregt zu seinen wartenden Freunden zurückkehrt. „Meine Sprachkenntnisse sind nicht die besten, aber ich glaube, ich habe gerade herausgefunden, was Schienenersatzverkehr auf Spanisch heißt!“.

Noch fünf Minuten bis zur planmäßigen Abfahrt. Keinerlei Durchsagen am Gleis, keine Anzeigetafeln im Bahnhofsgebäude. Reemplazo de rieles. Das klingt gar nicht gut. Noch drei Minuten bis zur Abfahrt. Ein Bahnhofsvorsteher schleicht aus seinem Kabuff und sieht dabei aus, wie einer dieser alten Männer, die auf gar keinen Fall auch nur ein Wort Englisch sprechen, aber eben auch wie einer, die helfen, wo sie nur können. Heraus kommt dabei eine Konversation, die sich dann in etwa so anhört: Tren. Granada? – No. Bus, Bus, Bus! Vamos! – gefolgt von wilden Handbewegungen und schnellen Schritten, die uns zielstrebig auf einen Bahnhofsvorplatz führen und den Weg in den richtigen Bus weisen. Noch eine Minute bis zur Abfahrt. Muchas Gracias, Señor!

Kaum haben die Lümmel von der letzten Bank Platz genommen, rollt der Bus auch schon los. Enttäuscht über den Ausfall der mit Vorfreude erwarteten Zugfahrt, aber hochzufrieden darüber, dass man das mit dem Schienenersatzverkehr so geschickt mitbekommen hat, befindet sich FUDU in einem ordentlichen Gefühlschaos. Niemand weiß, wohin uns dieser Bus bringen und wie lange die Fahrt dauern wird. Wir haben Harndrang, Bier im Beutel und soeben festgestellt, dass der Bus über keine Bordtoilette verfügt. Puta madre. Der internationale Gerichtshof für Menschenrechte wird zeitnah kontaktiert!

So bleibt das Bier eben im Beutel, die Beine werden übereinandergeschlagen und ein kleines Nickerchen verspricht Hilfe gegen den Blasendruck. Irgendwann sieht Fetti erste Goldfische vor seinen Augen schwimmen und schmiedet bereits Notfallpläne, in denen Tupperware® eine Rolle spielt. Zwei (!!!) gottverdammte Stunden nach Abfahrt halten wir endlich vor einem Bahnhof, der offenbar in Antequera Santa Ana zu verorten ist. Hier scheint unsere Reise zunächst einmal beendet und noch bevor wir klären können, ob wir in einen anderen Bus umsteigen oder endlich Zug fahren dürfen, erleichtern sich zwei FUDU-Schweine im Palmendickicht der Bahnhofsperipherie. Klar, dass 30 Sekunden später irgendein Hilfsschüler in Neonweste auftaucht und uns zur Rede stellt. Meine Sprachkenntnisse sind nicht die besten, aber ich glaube, ich habe gerade herausgefunden, was ‚warum pisst ihr Assis vor den Bahnhof und geht nicht einfach drinnen auf die Toilette?‘ auf Spanisch heißt.

Im Hintergrund winkt uns der „Fackelmann“ herbei. Er hat investigativ herausgefunden, dass wir auch die letzten 111 Kilometer der Reise mit einem Bus zurücklegen müssen. Das Beutelbier ist mittlerweile warm geworden, es gibt wieder keine Toilette an Bord und so wird man wegen dieser doppelten Verneinung auch die nächsten 90 Minuten auf Getränke verzichten müssen. Kurz vor Erreichen unseres Ziels prägen zu unserer Überraschung plötzlich schneebedeckte Hänge die Landschaft und ebenso überrascht werden wir letztlich von unserer Ankunftszeit in Granada sein. 19.40 Uhr. Fünf Minuten vor Plan. So lob‘ ich mir Schienenersatzverkehr.

Trotzdem verbleiben nur noch eine Stunde und 20 Minuten bis zum Anpfiff des heutigen Spitzenspiels der „Segunda División“. Das Hotel liegt stolze 10 Kilometer vom Busbahnhof entfernt. Grund genug, wieder einmal den Taxijoker zu ziehen und sich gemütlich vor die Haustür des „Abades Nevada Palace“ kutschieren zu lassen. Es handelt sich hierbei schließlich um ein **** Hotel (Nein, hier versteckt sich kein Schimpfwort – FUDU hat tatsächlich erstmals ein Hotel mit vier Sternen gebucht…), da muss die Anreise selbstredend ebenso elitär vonstatten gehen. Der Check-In in der Riesenlobby im Stile einer auf Hochglanz polierten Shopping Mall geht problemlos über die Bühne, der gesundheitlich etwas angeschlagene „Fackelmann“ erhält das Quarantäne-Einzelzimmer, der „Hoollege“ und ich beziehen das Doppelzimmer. Macht insgesamt 100,80 €, bitte.

Der erste Blick in die Suite überzeugt. Ein Zimmer mit gefühlt 30m², schicken Ledersesseln, freundlichen Fensterfronten und einem High End Bad aus dem Musterkatalog. Klassenfahrts-Doppelstockbetten waren gestern, ab sofort geht es bei FUDU etwas gediegener zu! Blöd nur, dass allein dieses Zimmer laut Aushang normalerweise 300 € die Nacht kosten würde, würde es das Hotel in der Nebensaison nicht über die bekannten Buchungsportale verramschen müssen. Sollte man sich also doch nicht all zu sehr an diesen Standard gewöhnen, sonst droht vermutlich bereits im nächsten Urlaub Ungemach.

Einige Stockwerke unter uns sammeln wir den „Fackelmann“ ein. Es ist 20.30 Uhr und bereits vom Hotelparkplatz kann man die schönen Flutlichtmasten des „Estadio Nuevo Los Carménes“ erkennen. Hopperfreundlich gelegen ist er also auch noch, der „Abades Nevada Palace“. Wirklich ein schönes und nicht zu verachtendes Attribut für einen Vier-Sterne-Schuppen.

Fünf Minuten später halten wir unsere Eintrittskarten zu je 25 € für die Haupttribüne in den Händen, haben das Stadioncatering als irrelevant bewertet und auf den roten Sitzschalen Platz genommen. Der „Hoollege“ ist heute aufgrund meines entleerten Akkus zum Kamerakind erklärt worden und fertigt erste Aufnahmen an. Gemeinsam zittern wir dem Anstoß entgegen – nicht etwa aus Vorfreude, sondern aufgrund der klimatischen Bedingungen. Die schneebedeckten Hänge, die wir aus dem Bus gesehen haben, lassen sich womöglich damit erklären, dass wir uns hier in unmittelbarer Nähe der Sierra Nevada befinden. Das höchste Gebirge der iberischen Halbinsel (3482 Meter) trägt jährlich von November bis Mai eine Schneedecke und der Wintersportort Sol y Nieve lädt zum fröhlichen Skifahren ein. Dem Spanier an sich ist nichts vorzuwerfen, kommuniziert er doch bereits mit der Namensgebung des Gebirges mehr als deutlich, dass es hier abends auch mal sackig kalt werden könnte. Sierra Nevada heißt übersetzt schließlich soviel wie „schneebedecktes Gebirge“ – hat sich halt nur leider nicht bis nach Ostdeutschland herumgesprochen. Wo fahren wir hin? Spanien. Ist ein warmes Land! Packste ’n dünnes Nicki ein und jut is…!

Es ist der 20. Spieltag in der „Segunda División“. Obwohl heute der Tabellenführer den direkten Verfolger aus Albacete empfängt, dessen verheißungsvoller Namenszusatz „Balompié“ übrigens nicht mehr bedeutet als „Fußball“, kommen bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt nur 11.991 Zuschauer in das „Estadio Nuevo Los Carménes“. Die Stimmung wird in den ersten Minuten dank des Schiedsrichters Franco etwas Würze erhalten, weil dieser gleich drei vermeintliche Foulspiele gegen die Heimmannschaft ungeahndet lässt. Den ersten Abschluss verzeichnet Granada dann nach 12 Minuten – ganz genau beobachtet von dem alten Mann neben uns, der zwar in der ersten Reihe und somit lediglich fünf Meter vom Spielfeld entfernt sitzt, aber sicherheitshalber noch sein Fernglas mitgebracht hat. Mit Hilfe des Binokulars lassen sich sicherlich prima die Nasenhaare des traurig dreinschauenden Ordners zählen, der hier zwei Meter vor uns mit dem Rücken zum Spielfeld sitzt und das Spitzenspiel leider nur akustisch vernehmen kann.

Auf dem Rasen bestimmen Kampf, Krampf und viel Stückwerk die Partie, ehe Granadas Abwehrmann Germán Sánchez für den ersten Aufreger sorgt. Als letzter Mann erwischt er Albacetes Angreifer Rey Manaj mit einem hohen Bein übel im Gesicht und erhält von Schiedsrichter Franco für diesen Anschlag lediglich die gelbe Karte. Der getroffene Manaj bleibt zunächst regungslos auf dem Feld liegen und kann erst nach minutenlanger Behandlung mit einer Trage von selbigem befördert werden. Mit einer mutmaßlich schwereren Gehirnerschütterung ist für den 21-jährigen Albaner, der einst als hoffnungsvolles Inter-Talent galt und seit mehreren Jahren in alle Richtungen verliehen wird, das Spiel bereits zu Ende. Ein als Papst verkleideter Typ mit Megaphon versucht derweil die träge Anhängerschaft Granadas zu animieren, doch lange Zeit bleibt das Niveau der Partie zu dürftig, als dass hier auch nur irgendwer aus dem Sattel gehen würde. Erst in der Nachspielzeit sorgen Vadillo mit seinem Direktschuss und Vico mit dem Nachschuss aus Nahdistanz an den Querbalken in Kooperation für einen ersten spielerischen Höhepunkt. Auf der Videowand des Stadions wird ein „Uyyy“ eingeblendet, damit der geneigte Stadionbesucher weiß, wie man emotional auf vergebene Großchancen zu reagieren hat und dann bittet der fahrige Schiedsrichter Franco auch bereits zum Pausentee.

In der zweiten Halbzeit verlassen wir unsere Premium-Plätze und machen es uns hinter der letzten Reihe des Unterrangs stehend gemütlich. Wir tun es den beiden spanischen ADHS-Kids vor uns gleich und adaptieren deren Strategie. Ein bisschen hüpfen, ein bisschen hin- und herrennen, ein bisschen vor dem kalten Wind verstecken. Neben diesen sinnhaften Maßnahmen weiß uns aber auch das Spiel im zweiten Abschnitt zu erwärmen. Nach 51 Minuten wehrt Albacetes Keeper Nadal eine scharfe Hereingabe an den Fünfmeterraum so ab, dass diese einem Angreifer Granadas direkt vor die Füße fällt, doch kann Defensivspieler Gentiletti den guten Linksschuss noch gerade eben so von der Linie kratzen. Granada investiert nun mehr in das Offensivspiel, kommt zu diversen schnellen Torabschlüssen, lässt sich jedoch durch einen Konter nach gut einer Stunde beinahe übertölpeln. Die Lattenunterkante verhindert ein Kopfballgegentor nur knapp, aber nur drei Minuten später ist es dann doch so weit. Flanke von der rechten Außenbahn, Flugkopfball Jérémie Bela, 0:1!

Der kleine Fanblock Granadas hinter dem Tor antwortet mit nun lauter werdendem Support. Ebenso angenehm reagiert Trainer Martinez, der in Adrián Ramos nicht nur ein bekanntes Gesicht, sondern auch frischen Offensivwind einwechselt. Der einzige Nichtspanier im Trikot Granadas steht nur kurz nach seiner Einwechslung bereits im Mittelpunkt einer Wahnsinns-Szene: 68. Minute. Haken Ramos an der Strafraumkante, Flanke, Kopfball Vico, Blitzreaktion des Torwarts, der Ball fliegt im hohen Bogen auf die Torlatte, fällt zurück in das Gewühl und gleich zwei strafstoßwürdige Fouls im Kampf um das Spielgerät fallen für Schiedsrichter Franco nicht ausreichend genug ins Gewicht und die Pfeife bleibt stumm. Nach 73 Minuten verfehlt eine regelrechte Fackel von Vadillo ihr Ziel nur knapp. Granada dreht weiter kontinuierlich am Gashahn und drängt auf den Ausgleich. Längst haben sie die schwache erste Halbzeit vergessen lassen, doch benötigt man eine weitere zweifelhafte Entscheidung Francos, um letztlich zum Torerfolg kommen zu können. Fede Vico verwandelt einen geschenkten Handelfmeter nach 76 Minuten sicher zum 1:1. Granada zeigt nun absoluten Siegeswillen, Albacete hängt 15 Minuten lang wie ein angeschlagener Boxer in der Ecke und versucht sich über die Zeit zu retten. Ramos verpasst per Kopf denkbar knapp (77.) und ein von Ramos abgefälschter Díaz-Schuss landet erneut nur an der Querlatte. So muss sich der Tabellenführer der zweiten spanischen Liga am Ende mit einem Punkt begnügen, während Albacete das Remis wie einen Auswärtssieg feiert.

Wir finden nach dem Spiel im „El Caladero“ unser gastronomisches Zuhause. Nach den Reisestrapazen des heutigen Tages und den im Stadion erlittenen Erfrierungserscheinungen kann es sicherlich nicht schaden, sich an Bier und guten Speisen zu erwärmen. Das erste „Estrella Galicia“ wird geleert, während der Kellner freundliche Grüße aus der Küche serviert. Fischfilet mit Pilzen in Sahnesoße, Gambas in Öl. Es ist 23.30 Uhr. Wir haben soeben Ibericofilet, Croquetas und Auberginen mit Honig bestellt und im Hintergrund toben die Niños, die mit ihren Vätern beim Fußball waren, durch die Cervecería. Ach, was lieben wir den spanischen Lebensstil, das Gefühl für einen sinnvollen Tagesrhythmus, die Esskultur und das Wetter – also, außer in der Sierra Nevada, vielleicht …

Am nächsten Tag greift dann erstmals die Thees-Uhlmann-Theorie zu typischen Männerurlauben, die der „Hoollege“ gekonnt rezitiert: „Berge von unten, Kirchen von außen, Kneipen von innen!“.

Es ist das erste Mal im Verlauf dieser Reise, dass wir eindeutig zu wenig Zeit haben, um eine Stadt in zufriedenstellendem Umfang erkunden zu können. Den Versuch unternehmen wir trotzdem und dieser startet dank einer gefundenen Fahrkarte für die Straßenbahn mit einem Guthaben von 4,50 € doch einigermaßen verheißungsvoll. Die großzügigen Boulevards der Stadt mit ihren Renaissancebauten sind ebenso sehenswert wie das Rathaus und die Kathedrale Santa María de la Encarnación de Granada, vor der wir einen kleinen Streit zwischen zwei Damen mitbekommen, die mittels Gewürzzweigen irgendwelche spirituellen Hokus-Pokus-Rituale an Touristen verüben wollen. Ist schon immer doof, wenn in deiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Konkurrent eine Zweigstelle eröffnet…

Natürlich gilt es im Anschluss auch, wenigstens einen kurzen Blick auf das Wahrzeichen der Stadt zu werfen. Einige schöne Eindrücke können wir entlang der Uferstraße des Rio Darre sammeln und schnell haben wir einige Höhenmeter zurückgelegt. Endlich tut sich die Alhambra am Horizont auf und Fotos aus sicherer Entfernung werden angefertigt. Die Alhambra ist eine Stadtburg auf dem Sabikah-Hügel und gilt als bedeutendes Erbe des maurischen Stils, ist seit 1984 Weltkulturerbe und eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Europas – für die Erkundung dieses Bauwerks und für ausführlichere Granada-Spaziergänge sollte man sich in diesem Leben zwingend noch einmal etwas mehr Zeit nehmen.

Aufgrund unserer neuentdeckten Dekadenz lassen wir uns im Anschluss des Spaziergangs hinauf auf den Hügel mit dem Taxi wieder nach unten chauffieren und vergrößern so den knappen Zeitpuffer. Wir kommen daher noch in den Genuss einer kleinen Stärkung gegenüber des Busbahnhofs. In einem Imbiss wird es für FUDU Grillwurst und endlich auch ein lokales Bier zum Verköstigen geben. „Alhambra akbar!“, schallt es kurz darauf dank der Steilvorlage des Gerstensafts Granadas erwartungsgemäß durch die Reihen FUDUs, in denen sich ansonsten der Pommes-Verdruss in der Beilagenbestellung deutlich bemerkbar gemacht hat. Noch hofft der „Fackelmann“, der grüne Salat würde ihn gesundheitlich wieder herstellen können und der Kellner darauf, einige Meter einsparen zu können, indem er die Bestellungen einfach von der Terrasse in das Lokal blökt, anstatt an den Tresen zu laufen. Soviel sei vorweggenommen: Nur eine dieser beiden Hoffnungen wird sich erfüllen.

Um 15.00 Uhr sitzen wir in einem Bus des Unternehmens „ALSA“. Für 13,20 € (Buchungstag: 28.12.) wird man in genau 1:45 Stunden nach Málaga gefahren und zur Feier des Tages hat man in diesem Reisebus sogar eine Toilette verbaut. Na dann, holt das Bier aus dem Beutel – **** FUDU ist nicht mehr aufzuhalten! /hvg

03.01.2019 Lincoln Red Imps FC – St. Joseph’s FC 1:3 (0:3) / Victoria Stadium / 89 Zs.

Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe, als der „Fackelmann“ irgendwann zwischen Porto und Lisboa verkündet, bei „BlaBlaCar“ hätte ein Michael eine Autofahrt von Faro nach Gibraltar am 03.01.2019 inseriert. Drei Mitfahrer zu je 23 € würden gesucht, Abfahrt um 13.00 Uhr, Ankunft in Gibraltar in einer anderen Zeitzone um ca. 19.00 Uhr, Anpfiff um 20.30 Uhr. Als bekennender Amaxophobiker bin ich im ersten Moment zwar nur mittelschwer begeistert, mich knapp sechs Stunden in das Auto eines fremden Menschen zu setzen und über iberische Autobahnen zu heizen, aber der „Fackelmann“ kann überzeugende Argumente liefern: Michael hätte ausschließlich gute Bewertungen, hätte auf Nachfragen sehr seriös und freundlich geantwortet und außerdem könnte ich nach wie vor darauf schwören, dass in der Küche einer unserer Ferienwohnungen der letzten Tage auch der Begriff „Arzt“ im Zusammenhang mit eben diesem Michael gefallen ist. In mir jedenfalls ist das Bild eines seriösen, mittelalten Halbgottes in Weiß gewachsen, der in Diensten der „Médecins Sans Frontières“ in Gibraltar gestrandeten Flüchtlingskindern medizinische Unterstützung leisten wird. So jemand wird uns hoffentlich sicher an unser Ziel bringen und wenn ein Reiseziel „höchste Priorität“ genießt, dann muss ich eben auch einmal Opfer bringen.

Um Punkt 13.00 Uhr finden wir Dr. Michael am Bahnhof von Faro vor. Unseretwegen ist er eigens mit dem am Flughafen abgeholten Mietwagen noch einmal in die Stadt gefahren, um uns den Weg hinaus zum Aeroporto zu ersparen. Michael steigt aus dem Fiat Panda, ist vielleicht Mitte 20 und Student aus Jena. Später will der „Fackelmann“ nichts mehr davon wissen, uns mit einer „Arzt-Argumentation“ in einen tückischen Hinterhalt gelockt zu haben. Doch Michael macht den ersten Schreck umgehend wieder wett. Sein Blick fällt auf meine kurze Hose, verziert mit dem Logo eines Coepenicker Fußballclubs und er kombiniert geschickt: „Ach, ihr wollt heute Abend auch das Spiel sehen?“

Hätte man auch selbst darauf kommen können. Jemand, der kurz nach Neujahr an einem Donnerstagmittag alleine von Portugal nach Gibraltar fährt. Kann ja eigentlich nur ein Hopper sein. Wir sind jedenfalls einigermaßen erleichtert, dass angesichts des etwas knappen Zeitfensters nun zumindest schon einmal gewiss ist, dass wir synchrone Zeitpläne und Vorstellungen über die angepeilte Ankunftszeit mit an Bord bringen. Unnötig lange Pausen wird es so mit Sicherheit keine geben und sollten die Autobahnen einigermaßen frei bleiben, steht dem heutigen Flutlichtspiel im „Victoria Stadium“ nichts mehr im Wege.

Wie man sich vorstellen kann, werden die kommenden Stunden überaus kurzweilig werden. Dank gemeinsamer Themen und Interessen reißen die Gespräche nicht ab und so bewegt man sich thematisch sicher auf einem Terrain, welches irgendwo zwischen dem „Mondpalast“ von Wanne-Eickel, Borussia Neunkirchen, Groundhopping in Transnistrien und der Architektur von Eishallen im Ruhrgebiet abgesteckt ist. Wir kommen zu meiner Freude nicht zu zügig, aber doch zügig genug voran und ehe man sich versieht, kann man durch die Windschutzscheibe auch bereits den ersten Blick auf den „Upper Rock“ werfen, der sich majestätisch am Horizont auftut. Später wird der „Hoollege“ zusammenfassen: Sicherer Fahrer, nur mit dem Abstand halten hatte er es nicht immer so. Sollte er lernen – könnte ja sein, dass er das irgendwann einmal im Alltag brauchen wird.

Michael parkt das Auto vor seiner Unterkunft auf spanischem Staatsgebiet ab, nimmt Kontakt mit dem Vermieter auf, organisiert sich seinen Schlüssel und steht nur wenig später wieder in der Spur, um gemeinsam mit uns fußläufig in Richtung Großbritannien aufzubrechen.

Das nächste Kapitel der Reise heißt demnach „Le Médecin et la Frontière“, nimmt jedoch nicht all zu viel Raum in dieser Erzählung ein. Mit der richtigen Staatsangehörigkeit, der richtigen Haut- und der richtigen Haarfarbe wird man an Grenzen eben immer schnell durchgewunken. Keine Ahnung, was an Rassismus jetzt immer so schlecht sein soll.

Gibraltar. Nun sind wir also endlich angekommen im High-Priority-Ziel dieser Reise und machen uns eben kurz schlau. Gibraltar wurde im Jahr 1704 von einer englischen Flotte erobert – angeblich während einer Siesta der spanischen Armee. Alte englische Männer amüsieren sich seit Generationen über die Mär vom spanischen Mittagsschlaf, während es spanischen alten Männern seit Jahrhunderten nach Rache dürstet. Lange Zeit war dieser uralte Streit zwischen den Völkern beinahe in Vergessenheit geraten, doch nun droht der schützende Kitt der EU zu bröseln. Großbritannien verabschiedet sich bekanntermaßen (so schnell wie eben möglich) aus selbiger und Spanien macht sich auf, alte Ansprüche auf den Felsen mit der strategisch wichtigen Bedeutung zwischen Atlantik und Mittelmeer, bzw. zwischen Europa und Afrika, neu zu stellen. Die Einwohner Gibraltars haben mit großer Mehrheit gegen den Brexit gestimmt, fühlen sich als Europäer, aber eben auch als Briten. Da wird noch eine Menge Arbeit auf Bürgermeisterin Kaiane Lopez zukommen. Ob die „Miss World“ von 2009 alte Männer gut um den Finger wickeln kann, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen…

Auch wir erleben recht bald ein erstes Kuriosum des britischen Überseegebiets an der Südspitze der iberischen Halbinsel am eigenen Leib. Mehr oder minder direkt hinter der Grenze treiben einen Ordnungshüter an, nicht zu langsam spazieren zu gehen und bloß nicht anzuhalten. Der Grund ist einleuchtend, da man über die Landebahn des Flughafens laufen muss, um in das Stadtgebiet vordringen zu können. Mit nur 6,5 km² Landfläche ist eben nur wenig Platz vorhanden – da müssen sich Flugzeuge und Fußgänger schon einmal Wege teilen. Leider werden wir in den kommenden Stunden keinen Start oder Landeanflug und somit auch keinen beherzten Einsatz der „Bobbys“ aus nächster Nähe miterleben dürfen, die hier für die nötige Sicherheit sorgen sollen, damit niemand über den Haufen geflogen wird. Was uns jedoch bleibt, ist ein wunderschöner Ausblick über die Landebahn, hinein in die Abenddämmerung und das „Victoria Stadium“. Da musste sich Fetti einfach kurz den Anordnungen widersetzen, stehen bleiben und ein Foto schießen. Excuse me, Officer!

Wir verabschieden uns vor einer Bar namens „Bruno’s“ von Michael und versprechen ihm, ihn dort wieder einzusammeln, sobald unser Check-In im „Hotel Bristol“ erfolgreich abgeschlossen worden ist. Unwesentlich später stehen die drei FUDU-Schweine in einer mondänen Lobby eines englischen Herrenhauses. Frisch gelandet im Rosamunde-Pilcher-Setting legt Lord Torchman umgehend den „travelodge“-Seidenschal um und das Fußvolk richtet die „Adelskronen“. Auch unser Zimmer, welches wir noch in Portugal online gebucht hatten, besticht durch Echtholz und dunklem Leder und scheint seine 105 £ für eine Nacht zumindest annähernd wert zu sein. FUDU war sich natürlich bewusst, dass zwischen den Urlauben in Portugal und Spanien ein Aufenthalt in England bevorsteht (→ „höchste Priorität“) und so führt man weltmännisch geschickt hier gültiges Bargeld mit sich. Womit allerdings niemand rechnen konnte, ist die bemerkenswerte Detailverliebtheit der Briten, die hier wirklich jeden cm² als ‚England‘ verkleidet haben und im Hotel „natürlich“ Steckdosen des „Typ G“ verbaut haben. Einen Adapter hat von uns bedauerlicherweise niemand dabei und so werde ich meinen Laptop leider nicht zur Planung der weiteren Reise benutzen können und auch aus der Knipse werde ich im Verlauf des Abends wohl nicht mehr all zu viele Bilder herausgequetscht bekommen. Tröstlich, dass die Inselaffen wenigstens am guten Wetter Gibraltars nichts rütteln konnten und so geht es bei recht milden Temperaturen dünnbejackt zurück in Richtung „Bruno’s“.

Hier bleibt gerade noch genügend Zeit, um Michael ein Lager am Tresen zu spendieren und schon geht es hinüber in das 700 Meter entfernte „Victoria Stadium“ in der Winston Churchill Avenue. Die Stadiontore stehen offen, ein Eintrittsgeld wird nicht verlangt. Dies hat leider zur Folge, dass man keine Eintrittskarte als Souvenir erhält, auf der anderen Seite sind wir aber auch recht froh, nicht Gefahr zu laufen, mit irgendwelchen Ordnern oder Polizisten in Diskussionen zu geraten. Der überdimensionale Schlüsselanhänger des „Hotel Bristol“ könnte jedenfalls locker als Totschläger durchgehen und in körperlichen Auseinandersetzungen mit gibraltesischen Hooligans geschickt als Waffe eingesetzt werden.

In einer Liga, in der jeder jeden schlagen kann, trifft heute der Tabellenzweite auf den Dritten. Beide Mannschaften konnten zuletzt fünf Siege in Serie einfahren. Es ist Donnerstagabend, englische Woche, Flutlichtatmosphäre. Das Stadion fasst auf zwei Tribünen auf den Längsseiten 5.000 Zuschauer und bietet einen durch die Dunkelheit getrübten Blick auf den „Upper Rock“ im Hintertorbereich. 89 Zuschauer sind in die Arena geströmt, um das Spiel der „First Division“ der „National League“ erleben zu können. Auf dem benachbarten Flughafen startet eine Boeing der „Easyjet“ inmitten der just in diesem Moment begonnen Schweigeminute im Stadion die Maschinen. Kurz nachdem dieses bizarre Schauspiel zu Ende gegangen ist, wird die Partie auch schon eröffnet.

Auf dem Platz ist Spanisch die Amtssprache und somit dafür Sorge getragen, dass es sich in den kommenden 90 Minuten wieder etwas weniger nach England anfühlen wird. Nach 13 Minuten vergibt der Spieler mit der Nummer 99 der Heimmannschaft, der auf dem offiziellen Spielberichtsbogen nicht erscheint, die erste gute Gelegenheit. Wer weiß, in welches Wespennest voller Skandale FUDU hier wieder stoßen würde, aber eine weitere Verfolgung dieser Ungereimtheit wird nicht nötig sein: Nach 18 Minuten trifft Domingo Ferrer Lopez per sattem Dropkick von der Strafraumkante, knappe zehn Minuten später legt sich Red Imps Keeper Lolo Soler Ortuño ein schönes krummes Ecken-Ei mit Windunterstützung selbst ins Nest. Der Frust hierüber sitzt tief und Joseph Chipolina kann von Glück reden, dass er nach einem heftigen Ellenbogenschlag in der 33 Minute mit einer gelben Karte davonkommt, während sich die etatmäßigen Gäste anschicken, das Ergebnis weiter in die Höhe zu schrauben. Zwei Mal scheitert Juan Francisco „Juanfri“ García Peña aus höchst aussichtsreichen Positionen, ehe John Paul Duarte nach 44 Minuten am langen Pfosten völlig freistehend zum 0:3 einschiebt. St. Joseph’s wird den grünen Tisch also aller Voraussicht nach nicht benötigen und als sportlicher Sieger der Partie hervorgehen. Sensationell. Mit so einem Spielverlauf hätte in ganz Gibraltar niemand gerechnet!

In der Halbzeitpause entern wir die Stadionkneipe, in der Liverpool gegen Manchester City im Fernsehen läuft und in der sich aus selbigem Grund womöglich etwas mehr Zuschauer als auf den Tribünen befinden. Bei der Bestellung einer weiteren Runde Stadionbier fällt der prozentual hohe Anteil deutscher Hopper auf (Länderpunkt!) und so lassen wir „Premier League“ und Kneipe schnellstmöglich hinter uns, um uns wieder echtem Fußball auf Kunstrasen zuwenden zu können.

Viele deutsche Hoppertrottel werden auf die zweite Hälfte verzichten und lieber in der Gaststätte verweilen. Diese „45-Minuten-reichen-für-das-Kreuz-Mentalität“ wird FUDU wohl nie akzeptieren können und so erfreuen wir uns lieber über das Anschlusstor des Red Imps FC in der 58. Minute. Nach einer Ecke steht Chipolina goldrichtig und nickt zum 1:3 ein, womit die Kneipen-Elite ein Tor eines gibraltesischen Volkshelden verpasst hat. Chipolina war es nämlich, der mit seinem Elfmetertor am 13.10.2018 gegen Armenien für den ersten Pflichtspielsieg seiner Nation sorgte. Nur drei Tage später gelang ihm in der Gruppe D der „Nations League“ beim 2:1 Triumph über Liechtenstein ein weiterer Treffer und so wird es sicherlich das eine oder andere rauschende Fest rund um den Affenfelsen gegeben haben. Heute gibt es für Chipolina jedoch keinen weiteren Grund zum Jubeln. Die Hoffnung, das Spiel noch drehen zu können, stirbt von Minute zu Minute und spätestens eine Viertelstunde vor Ende der Partie ist die Luft raus. St. Joseph’s ist der strahlende Sieger des Abends. FUDU verabschiedet sich von Michael und startet den abendlichen Streifzug durch Gibraltar auf der verzweifelten Suche nach Nahrung.

Nach einem langen Reisetag hängen die Mägen in den Kniekehlen und das letzte Bier im Stadion wäre vielleicht auch nicht unbedingt nötig gewesen. Bistros und Restaurants haben bereits geschlossen und Fetti sieht sein Borstenkleid bereits davonschwimmen, als sich plötzlich eine Hotelbar als Retter in der Not auftut. Vier Lobby-Musiker spielen für acht Gäste, es gibt Lager vom Fass und eine Küche, die sich immerhin bereiterklärt, uns noch eine Pizza zu kredenzen. 20 Minuten später stehen drei Tiefkühlpizzen zu je 9,50 £ vor uns. Immerhin hat ein Dienstleister vor dem Erwärmen die Folie für uns entfernt und auch der „Smooth Jazz“ im Hintergrund wertet das Fertigprodukt natürlich enorm auf. Zufriedenstellend gesättigt kommt es zwischen dem „Hoollegen“ und dem Kellner zu einem Missverständnis und gegen unseren Willen wird eine zweite Runde Lager serviert. Der „Bierunfall von Gibraltar“ wird in die Geschichte eingehen und leider auch dafür sorgen, dass wir am nächsten Morgen etwas schwerer aus den Betten kommen werden, als erhofft…

… aber FUDU bleibt diszipliniert! Vor unserer Weiterreise nach Spanien steht heute natürlich noch ein Stadtbummel und ein Ausflug auf den „Upper Rock“ auf dem Programm. Für sportliche 14 £ befördert eine Seilbahn den geneigten Touristen hinauf auf den Affenfelsen. Bereits dank des Ausblicks auf das Stadtgebiet und den Ozean hat sich die Investition aber bereits amortisiert und spätestens, wenn einem der erste Makake begegnet, hat sich die Zahlung vollends gelohnt. Auf dem Kalksteinfelsen leben in etwa 250 Berberaffen, die zu einer Art Nationalsymbol geworden sind und beispielsweise auch die gibraltesischen Pfundmünzen und Geldscheine zieren. Die Affen laufen hier frei herum und sind dafür bekannt, dem unvorsichtigen Touristen gerne mal in die Extremitäten zu beißen und Mütze, Hüte und Snacks zu stehlen. Wer den Unterschied zwischen im Zoo gehaltenen Tieren und wildlebenden Affen nicht versteht, muss ihn halt fühlen. Es wird gemutmaßt, dass die Affen ursprünglich aus Marokko stammen und während der arabischen Herrschaft in Südspanien (711 bis 1492) angesiedelt worden sind. Als der Affenstamm wegen Inzucht zu kränkeln begann, importierte Winston Churchill neue Berberaffen und rettete so den Bestand. Wäre ja vielleicht auch mal ein Denkansatz für Sachsen – wer zu lange auf nur einem Felsen schnackselt, braucht eben Hilfe von Außen…

So viele Affen hat man fernab der Warschauer Straße jedenfalls noch nie gesehen, sodass auch ich als nicht unbedingt bekennender Tierfreund am Ende des Tages von den gesammelten Eindrücken begeistert sein werde. Für einen gelungenen Gibraltar-Abschluss kehren wir routinemäßig in einem Pub ein und lassen uns am späten Nachmittag British Breakfast, Steak und Jacked Potato schmecken. Das ganz dezent weihnachtlich geschmückte Ambiente lässt unsere Herzen höher schlagen – zwischen den Jahren wenigstens einmal kurz in Great Britain gewesen zu sein, ist unter dem Strich doch auch nie ganz verkehrt gewesen. Der „Hoollege“ fälscht zum Zwecke der Kreditkartenzahlung noch eben schnell erfolgreich die Unterschrift seiner Frau und schon werden wir wieder zu Grenzgängern.

In La Línea de la Concepción wartet auf spanischer Seite ein Taxifahrer förmlich darauf, uns zum 12 Kilometer entfernten Bahnhof „San Roque – La Línea“ befördern zu können. Schnell sind in einem nahe gelegenen Kiosk kleinere Getränkevorräte gehamstert worden und Fetti und seine Freunde sitzen tiefenentspannt in der Sonne am Abfahrtsgleis, voll der Vorfreude auf eine gemütliche Zugfahrt nach Granada. Na, dann mal auf nach Randalusien! /hvg

02.01.2019 Portimonense SC – Sport Lisboa e Benfica 2:0 (2:0) / Estádio Municipal de Portimão / 5.884 Zs.

01.01., 10.10 Uhr. So lauten die idiotensicheren Koordinaten für die erste Bahnfahrt des Jahres 2019, die uns in exakt drei Stunden von Lisboa „Entrecampos“ an die Algarve befördern wird. Knapp 300 Kilometer sind hierfür zurückzulegen. Die ersten Minuten der Überfahrt sind direkt die spektakulärsten, als man die „Ponte 25 de Abril“ mit dem Zug überquert und noch einmal beste Sicht auf den Tejo, den „Cristo Rei“ und die sich immer weiter entfernende Stadt genießen kann. Die restliche Fahrzeit ist gerade einmal lang genug für ein solides Neujahrs-Nickerchen und ein Konterbier und schon rollt FUDU – mit einer überaus sinnvollen Verspätung von zwei Minuten – um 13.12 Uhr in Faro ein. Hier werden wir für die beiden kommenden Tage unser Basislager aufschlagen, um uns „perfekt“ für die weitere Reiseverlaufsplanung in Position zu bringen.

Erste Risse hatte dieses „perfekte“ Konzept allerdings schon vor einigen Wochen erhalten. Die portugiesischen Spielplanmacher sind bedauerlicherweise nicht die allerschnellsten ihrer Zunft und so wurde die ohnehin schon problematische Reiseplanung zusätzlich durch die unklaren Spieltagsansetzungen erschwert. Selbstverständlich hatten wir auf den Besuch eines Heimspiels des ortsansässigen Farense SC gehofft, doch einige Monde nach der Buchung des Zugtickets und der Unterkunft verkündete der portugiesische Verband trotzig: Wir lassen Farense schon am 30.12. kicken und setzen einfach die vier anderen Spiele am 02.01.19 an – nimm das, FUDU!

Und FUDU nimmt es nicht nur irgendwie, FUDU nimmt es sportlich. Der Plan B heißt bekanntermaßen schon längst Portimão, liegt 66 Kilometer entfernt und dank der Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter im Benfica-Store ist man bereits mit Eintrittskarten für die Partie ausgestattet. Bleibt die Hoffnung, dass ein zweitägiger Aufenthalt in Faro auch ohne Fußballspiel vor Ort eine sinnvolle Sache werden wird…

Kurz darauf haben wir das „Residencial Condado“ erreicht und unser Zimmer bezogen. Dieses bietet nostalgisches Klassenfahrtsflair und hölzerne Doppelstockbetten. Wer schläft oben, wer schläft unten? Allerdings ist der Raum klinisch rein, doch der Preis, den man hierfür bezahlt, ist hoch. Es riecht, als hätte jemand im Schwimmbad die Tür offen stehen gelassen. Eigentlich ein Wunder, dass sich die stark chlorhaltigen Reinigungsmittel noch nicht durch die Fliesen des eigenen Bades gefressen haben. Obwohl die Außentemperaturen heute etwas zu wünschen übrig lassen, bleibt uns keine andere Wahl, als sämtliche verfügbaren Fenster aufzureißen. Der Preis, den man für das Gesamtpaket zahlt, ist niedrig. Für 12 € pro Kopf und Nacht gibt es hier wenig zu meckern, nur bedauerlich, dass gerade irgendein aufsässiger Engländer bereits das zweite Mal den Feueralarm ausgelöst hat.

Unser Stadtbummel führt uns zunächst zum „Estádio de São Lúis“, in dem vorgestern 1.559 Zuschauer einen ungefährdeten 5:0 Heimsieg begutachten durften. Schöne Fotos von Wäscheleinen und Flutlichtmasten entstehen. Nachdem im Anschluss die Kathedrale, die Karmeliterkirche, das Rathaus, der Hafen, die Altstadt samt des Eingangsportals „Arco da Vila“ und die schicke Fußgängerzone besichtigt worden sind und zu unserem Missfallen der Irrglaube aus der Welt geschafft wurde, Faro wäre ein touristisches Paradies mit kilometerlangen Stadtstränden, knurren FUDUs Schweinemägen unüberhörbar.

„Mist, hier jibt’s jar keen Strand“, murmelt man immer wieder frustriert vor sich her, um zu übertünchen, dass es auch um die Versorgungslage eher dürftig bestellt ist. Eher mangels Optionen kehren wir letztlich im „Sem Tempo“ ein, in dem uns ein freundlicher Marokkaner für 17 € ein „Buffet“ verkaufen will. „All you can eat“. Womit er genau zwei Dinge nennt, die ich nicht mag – einen Teil aus Bequemlichkeitsgründen, den anderen aus moralischen. „Drinks are included, Wine, Beer, whatever you want!“, schiebt er nach und trifft damit voll ins Schwarze. Die drei FUDU-Schweine wedeln aufgeregt mit den Ringelschwänzen und dank der mittlerweile aus den Wolken hervorgetretenen Mittagssonne kann ein sonniges Plätzchen auf der Terrasse bezogen werden. Schnell steht der erste Kübel Bier auf dem Tisch, der Kellner lässt die Korken ploppen und während wir uns über das Buffet hermachen und die Teller voll laden, werden zu unserer Überraschung weitere Gerichte auf dem Tisch platziert. Irgendein Eintopf, irgendein Schmorfleisch – und ständig rennt der Kellner um einen herum und entfernt die noch nicht ganz geleerten Bierpullen, um neue nachzuliefern. Na, das kann ja was werden.

Kaum haben wir uns durch die beiden Tellergerichte geackert, erscheint plötzlich ein bärtiger Grillmeister an unserem Tisch, der uns irgendetwas tierisches vom Spieß kredenzt. Wir sind bereits leicht gesättigt und ahnen erst beim zweiten Besuch des Churrascomeisters, was hier noch auf uns zukommen wird. „This is Beef“, „This is Pork“, „This is Chouriço“, „This is irgendein anderes totes Tier“, „this is another Körperteil of Pork“ und so weiter und so fort. Zum Buffet musste jedenfalls schon lange niemand mehr laufen, da ständig neue Fleischberge aufgetafelt werden. Nach gefühlten Stunden verebbt der Biernachschub und endlich erhalten wir auch die Chance, die weißen Taschentücher herauszuholen und dem Küchenchef unsere Aufgabe zu signalisieren. Junge, junge, war das lecker. Per Handschlag werden wir verabschiedet und wahrscheinlich würden wir morgen wieder hier einkehren, wenn wir nicht schon längst mit dem Gedanken spielen würden, Faro entgegen unserer Planung bereits morgen wieder zu verlassen…

In der Zwischenzeit haben wir nämlich herausgefunden, dass es zwar einen Zug von Faro nach Portimão gibt, dieser am Abend aber nicht wieder zurückfahren wird und man sich die Nacht daher am Bahnhof um die Ohren schlagen müsste. Alternativ werden 90 € für eine Taxifahrt veranschlagt. Mittlerweile ist auch recherchiert worden, dass sich der „Praia de Faro“ in über 10 Kilometer Entfernung zu unserer Unterkunft befindet und man morgen nicht einfach mal so eben zum Strand gehen könnte. In der Jugendherberge riecht es nach unserer Rückkehr weiterhin wie nach einem Chlorgasangriff und der Feueralarm dröhnt mal wieder durch die Flure. Kurzum: Eine nicht zufriedenstellende Gesamtgemengelage, die dazu führt, dass wir uns verschämt einen Überblick über die Preislage der Übernachtungsmöglichkeiten in Portimão verschaffen. Und siehe da, in der Nebensaison kann man offenbar auch spontan das eine oder andere Schnäppchen schlagen. Für nur 28 € die Nacht schlagen wir bei einem Apartment in bester Lage zu und werden unseren freundlichen Rezeptionisten morgen Früh mit einem vorzeitigen Check-Out-Wunsch überraschen.

Am 02.01. wird die Maxime „Wer Faro nicht liebt, muss Faro verlassen“ zum geflügelten Wort der FUDU-Schweine. Nicht aber, ohne noch ein touristisches Highlight mitgenommen zu haben. In der Karmeliterkirche „Nossa Senhora do Carmo“ befindet sich die „Capela dos Ossos“. Bei der „Knochenkapelle“ handelt es sich um ein Beinhaus, welches man pfiffigerweise aus den Gebeinen von mehr als 1000 Mönchen aus dem Karmeliterorden errichtet hat, um wiederum die Gebeine anderer aufbewahren zu können. Gut 1245 Schädel wurden zur Verzierung mit angebracht und fertig ist die „schaurige Attraktion“, wie der Reiseführer verlautbaren lässt. Für alle, die „Memento Mori“ als Tattoomotiv zu abgedroschen finden, ist vielleicht der Spruch über dem Eingangsportal der Kapelle von Interesse. „Pára aqui a considerar que a este estado hás-de chegar“. Tja, mein Freund – irgendwann wirst auch Du nur noch ein Knochenkopp sein…

Knapp 90 Minuten später und 6,10 € ärmer haben wir mit dem Regionalzug Portimão erreicht. Die Strecke entlang der Atlantikküste hätte sicherlich grandiose Aussichten geboten, hätten wir nicht in einem beidseitig bemalten Wholetrain gesessen. Dafür erhaschen wir nun erste Blicke in das Stadion Portimãos und lassen uns durch heruntergekommene Hotelkomplexe und der Plattenbauskyline am Horizont nur kurz die Vorfreude auf den Aufenthalt am Meer vermiesen. Der Check-In im „Atlantichotel Studio 17“ gelingt spielerisch und das „schlichte Apartment“ entpuppt sich als luxuriös große Wohnung. Der „Praia da Rocha“ befindet sich in 2,1 Kilometer Entfernung, das Stadion in 1,4 Kilometern – alles richtig gemacht!

Im Überschwang der Gefühle und in diesem rauschartigen Zustand, ausgelöst von der guten Entscheidung, unseren Lebensmittelpunkt aus Faro nach Portimão verlagert zu haben, wagen sich einige FUDU-Schweine in die kalten Fluten des Atlantik. Das Neujahrsbad 2019 wird im Anschluss durch einen Aufenthalt in der Strandbar „O Bónezinho“ veredelt, in dessen Liegestühlen man sich bei Bier und Ziegenkäse-Honig-Sandwich von den Sonnenstrahlen wieder auftauen lassen kann. Sonne, Strand, Meer, Bier und Fußball. Stand: jetzt darf man wohl bereits von einem gelungenen Urlaub sprechen…

Zwei Bier und eine warme Dusche später ist man dann auch schon wieder bereit für den nächsten Höhepunkt des heutigen Tages. Nach den beiden Pokalspielen wird FUDU heute erstmals einem echten portugiesischen Ligaspiel beiwohnen können. Vor dem 15. Spieltag rangiert der Portimonense SC auf dem 9. Rang, während Benfica als Tabellenzweiter bereits vier Punkte Rückstand auf den Spitzenreiter Porto aufweist. Obwohl Benfica die letzten fünf Spiele siegreich bestreiten konnte, steht Cheftrainer Rui Vitória gehörig unter Druck. Die beiden Saisonniederlagen gegen Belenenses und Moreirense wiegen schwer und auch zuletzt konnte man mit zwei knappen 1:0 Auswärtssiegen in Serie nur bedingt überzeugen.

Leider werden wir von den portugiesischen Sicherheitskräften vor dem Stadion dann doch getrennt. Block 5 und Block 7 befinden sich zwar auf der selben Tribüne, bedürfen „dank“ eines Zaunes aber unterschiedlicher Eingänge. So mischt sich der „Hoollege“ mit einem Benfica-Anglerhut eines fliegenden Händlers unter das Volk, während ich noch eine kleine Diskussion mit einem Polizisten führen muss, ob ich meine Kamera mit in das Stadion nehmen darf oder nicht. Das Verbotsschild vor meiner Nase hilft mir und so zeige ich erst mit Fingern auf das Schild und dann auf meine Wald-und-Wiesen-Kamera. Wenn das hier ein „Objectiva Longo“ ist, mein Freund – dann bestelle ich beim nächsten Besuch des „Sem Tempo“ aber den veganen Teller.

„Fackelmann“ und ich beziehen Stellung nahe der Eckfahne, um den echten Benfica-Fans möglichst nicht im Weg zu stehen und müssen dann doch noch einmal umziehen, da sich genau dort eine sportliche Fraktion versammelt. Etwas skeptisch werden wir schon beäugt und vorsichtshalber bleibt die Kamera erst einmal in der Hosentasche und wird nur sporadisch herausgeholt. Das Stadion fasst 6.000 Zuschauer, gekommen sind heute 5.884 und der „Gästeblock“ umfasst eine der beiden Hintertortribünen und die gesamte Gegengerade. Gut und gerne 3.500 werden es hier heute mit Benfica halten und so langsam gewinnt man eine Vorstellung über die Rahmenbedingungen im portugiesischen Fußball. Egal, wo Porto oder Benfica aufdribbeln – offenbar genießen diese Vereine immer Heimrecht.

Im Gegensatz zu Belenenses versucht Portimonense aber wenigstens, dagegenzuhalten und so werden erste lautstarke Gesänge der Gästefans vor Anpfiff durch die eigene Vereinshymne im Keim erstickt. Das arg gewöhnungsbedürftige Vereinslied muss aber schon sehr hochgeregelt werden, um hiermit durchdringen zu können und natürlich wird Benfica das Stadion während des Spiels akustisch fest in der eigenen Hand haben. 60 Minuten lang wird der Support durchgängig und laut sein, 15 Minuten durch schweigendes Entsetzen abgelöst werden und dann 15 Minuten in blanken Hass umschlagen. Aber dazu später mehr.

Die Anfangsphase läuft für Benfica denkbar ungünstig. Zehn Minuten strahlt man völliges Selbstbewusstsein und eine beeindruckende Dominanz aus, um sich dann mit dem ersten Angriff der Hausherren das 1:0 zu fangen. Eine halbhohe und scharfe Hereingabe von Linksverteidiger Manafá grätscht Benficas Abwehrmann Rúben Dias über die eigene Torlinie. Da kann Stuttgarts Ex-Keeper Vladochimos nur staunend hinterherschauen. Im Anschluss fällt es Benfica unheimlich schwer, wieder Zugang zu dem Spiel zu finden. Zwar hat man den Ball fast ausschließlich in den eigenen Reihen, doch fehlt der Mut und die Kreativität im Spiel nach vorn. Mehr als ein vielversprechender Kopfball nach 27 und ein direkter Freistoß nach 36 Minuten springen bei den verkrampften Bemühungen jedenfalls nicht heraus. Besser macht es Portimonense, das genau einen zweiten Angriff benötigt, um mit 2:0 in Führung gehen zu können. Der Pass von Nakajima aus dem Mittelfeld in den Lauf von Jackson Martínez darf gelungen genannt werden, der Heber von Martínez über den herauslaufenden Vladochimos ebenso, aber warum Verteidiger Jardel den Ball unbedrängt in das verwaiste eigene Tor nicken musste, wird wohl auf Ewigkeit sein Geheimnis bleiben. Dank zweier Eigentore geht der Underdog also mit einer 2:0 Führung in die Pause – und inmitten unseres Stehplatzblocks regt sich erster Unmut.

Während wir uns für die zweite Halbzeit einen neuen Platz suchen, um nicht mehr ganz so nah an den Schwenkern und dem Stimmungskern zu stehen, zappeln sich auf dem Feld ein paar Kinder zu belangloser Popmusik die Beine wund. So weist Portimão die Besucher also darauf hin, dass man im Jahre 2019 zur „Europäischen Sportstadt“ gekürt worden ist. Meine herzlichsten Glückwünsche.

In der zweiten Hälfte wächst die Zuschauerzahl um einige Kiebitze, die die zum Greifen nahe Sensation nun von ihren Balkonen der angrenzenden Wohnhäuser miterleben wollen. Portimonense macht das einzig Richtige und spielt weiter munter mit, anstatt sich zu früh auf das Verteidigen des Vorsprungs zu konzentrieren. Bei Benfica verpufft die Einwechslung von Seferović völlig – es sind die Schwarz-Weißen, die hier 25 Minuten lang Ballett machen und durch Dener, Manafá und Paulinho zu weiteren guten Abschlüssen kommen. In der 70. Minute erleidet Benfica dann den nächsten schweren Rückschlag. Nach einer Flanke geht Stoßstürmer Jonas in der Mitte etwas zu übereifrig und mit gestrecktem Bein zu Werke und erhält nach Tritt gegen den Kopf von Portimãos Schlussmann Ferreira dank des „VAR“ die rote Karte. Der „Ellesse-Ultra“ neben uns nutzt die Behandlungspause des Keepers, um sich auf die Schnelle bereits sein fünftes alkoholfreies Bier zu kaufen. Wohl bekomm’s!

Torhüter Ferreira hat sich wieder aufgerappelt und ist zumindest soweit bei Bewusstsein, dass er hier weiterspielen kann. Die Benfica-Fans sind in der Zwischenzeit dazu übergegangen, ihre Spieler auszupfeifen und zu beschimpfen, während sich der kleine Heim-Fanblock und sogar Teile des Haupttribünenpublikums endlich Gehör verschaffen können. Bei Benfica wartet man vergeblich auf einen Ruck, der durch die Mannschaft geht und selbst fünf Minuten Nachspielzeit und die Einwechslung des kommenden Weltstars João Félix können nicht dafür Sorge tragen, dass sich der haushohe Favorit hier auch nur noch eine einzige Chance herausspielen könnte. Im Gegenteil – um ein Haar hätte Ewerton dem Ganzen noch das Sahnehäubchen aufgesetzt, scheitert aus Nahdistanz aber an Vladochimos.

So ist das letzte Highlight den Fans Benficas vorenthalten, die nun am Zaun ihre seltsam leblosen Spieler anpöbeln, als gäbe es kein Morgen mehr. Unser gelbjackiger Ultra lässt sich das sechste Alkoholfreie über den inzwischen geschlossenen Zaun reichen und im Chaoten-Block des „Hoollegen“ werden bengalische Feuer gezündet und auf den Rasen geworfen. Klar, dass es da nicht mehr lange dauert, ehe die „Bombeiros“ mit Eimerchen und Schäufelchen aufmarschieren und eine kleine Schaumparty feiern. Wir schließen den „Hoollegen“ hinter der Geraden alsbald in die Arme und gleichen unser Stadionerlebnis ab. Fazit: Portimão in der ersten Halbzeit mit Matchglück, in der zweiten aber derart gut, dass man den Sieg am Ende verdient nennen kann. Die Stimmung auf den Rängen passabel, die Gegengerade ohne Dach weckt nostalgische Gefühle, die Benfica-Fans waren i.O., dennoch begleitete ein leicht unbehagliches Gefühl im Bauch dieses Stadionerlebnis. Als Hopper hat man im Gästeblock nun mal einfach nichts verloren…

Einen Tag später wird Trainer Rui Vitória entlassen. Von den letzten 19 Saisonspielen wird Benfica 18 gewinnen, darunter eines mit 10:0 und am Ende der Saison zum portugiesischen Meister gekrönt werden. Von Meisterschaften kann FUDU nur träumen. Unser Ziel bleibt ein anderes: Der Affenfelsen von Gibraltar. Noch trennen uns knappe 600 Kilometer, aber was soll bei der „perfekten“ Reiseplanung da schon schief gehen… /hvg

30.12.2018 Os Belenenses – Futebol Clube do Porto 1:2 (1:0) / Estádio Nacional do Jamor / 6.319 Zs.

29.12.2018, 10.00 Uhr: Liebes Tagebuch! Es ist Samstag und die Sonne scheint. Wir sind alle schon ganz aufgeregt, weil wir heute wieder ein Fußballspiel sehen können. Santa Maria da Feira ist gerade einmal 35 Kilometer entfernt. Auch hier wird Ligapokal gespielt – der C.D. Feirense empfängt den Sporting Clube de Portugal, den zu Hause alle kulturlosen Bastarde fälschlicherweise immer ‚Sporting Lissabon‘ nennen. Gleich bummeln wir zum Bahnhof „São Bento“ und erkundigen uns, ob man die kleine Stadt mit einer Bahn erreichen kann.

29.12.2018, 10.30 Uhr: Wir haben Zugfahrkarten bekommen. Für 1,70 € fährt auf der „Linha do Vouga“ eine Schmalspurbahn in nur 27 Minuten nach Vila da Feira. Das wird schon der gleiche Ort sein, oder? Zurück gibt es leider keine Bahnverbindung mehr. Wir haben jetzt jedenfalls erst einmal den Kauf getätigt und gehen nun auf den Portweinstrich!

29.12.2018, 12.00 Uhr: Hier ist gerade ein dicker Engländer durch einen Stuhl gefallen. Das sah sehr lustig aus. Der Kellner ist direkt mit etwas Holzleim herbeigeeilt und hat die Sitzfläche angeklebt. Nun sitzt der Tommie wieder und trinkt sich vor lauter Schreck erst einmal durch das Portweinsortiment. Das ist Erlebnisgastronomie, wie sie im Buche steht. Die Kartoffelköpfe trinken lieber ein „Sagres“ und ziehen es vor, vor der Abfahrt in Richtung „Taça da Liga“ zu Hause zu Mittag zu essen.

29.12.2018, 14.00 Uhr: Das selbst gekochte Mittagessen schmeckt, das Flaschenbier mundet. Die Taxifahrt aus Vila da Feira wird zurück in etwa 30 € kosten, macht also knapp 6 € pro Kopf und Strecke für den heutigen Pokalausflug. Da kann der rumänische Kassenwart nicht meckern. Auf Facebook meldet der C.D. Feirense gerade, dass das Spiel heute Abend „esgotado“ ist. Das ist bestimmt irgendetwas tolles!

29.12.2018, 14.05 Uhr: „Esgotado“ bedeutet „ausverkauft“. Jetzt ärgere ich mich schon ein wenig, dass mir der C.D. Feirense nie auf meine E-Mail geantwortet hat. Angesichts von nur 5.449 Plätzen im Stadion sind wir nämlich sehr wohl auf die Idee gekommen, da vorher mal nach Karten zu fragen. Die Schmalspur-Casanovas haben soeben einstimmig entschieden, ihr Glück nicht auf dem Schwarzmarkt zu suchen und in Porto zu bleiben. Schön 1,70 € in den Wind geschossen. Da wird der rumänische Kassenwart wieder meckern.

29.12.2018, 19.30 Uhr: Wir hatten einen schönen Tag in Porto und haben nun wirklich alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert. Ich habe viele Fotos von Kirchen, kleinen Häusern, Menschenmassen und Nahrungsmitteln geschossen. Das Stadion von Boavista sieht aus wie ein Parkhaus und war kaum ein Foto wert. Die lange Schlange vor dem Buchladen war allerdings einfach zu irrwitzig. Tausende Menschen warten hier auf Einlass, um irgendeine alte Wendeltreppe zu sehen, die der Sage nach Joanne K. Rowling dazu inspiriert hat, Harry Potter zu schreiben. Und die „Francesinha“ (→ die kleine Französin) entpuppte sich dann auch eher als hemdsärmeliger französischer Bauarbeiter. Ein überbackenes Toast mit Steak, Wurst und Schinken, übergossen mit einer dickflüssigen Bier-, Senf- und Tomatensoße. Lecker, diese Spezialität aus Porto – aber wenn das die kleine Französin war, möchten wir die große nicht kennenlernen…

29.12.2018, 21.30 Uhr: Der Sporting Clube der Portugal hat auswärts mit 4:1 gewonnen und zieht gemeinsam mit Benfica und Braga in das Halbfinale des Wettbewerbs ein. Der letzte Teilnehmer wird morgen im Fernduell zwischen Porto und Chaves gekürt. Die offizielle Zuschauerzahl wird mit 5.440 angegeben. 9 Plätze sind also frei geblieben. Verdammt, da hätten wir ja noch wen mitnehmen können. Wir haben dann alternativ Liverpool-Arsenal (5:1) geschaut. Portimonense meldet gegen Benfica übrigens: Esgotado! Gelächter. Dieses Mal lassen wir uns so schnell nicht abschütteln…!

 

… und so sitzen wir dann am 30.12. mit einem diabolischen Plan in der Hinterhand im Zug der „Comboios de Portugal“ nach Lisboa. Es wäre doch gelacht, wenn wir nicht einfach vor Ort noch drei Tickets für den Gästeblock ergattern könnten. Erst einmal genießen wir aber die entspannte Zugfahrt, die mich als verkappten Reiseleiter schon alleine dadurch entspannen lässt, dass man sie im Vorfeld der Reise buchen und bezahlen konnte. Bei all dem ganzen ungeplanten Chaos kommt es einer Wohltat gleich, dass zumindest die „CP“ zuverlässig, schnell und günstig dafür Sorge tragen wird, dass wir uns zumindest gut durch Portugal bewegen können.

Drei Stunden und fünfzehn Minuten später haben wir unseren Zielbahnhof erreicht und begeben uns umgehend auf den Weg in unsere Unterkunft. Die „Residencial Joao XXI“ verfügt zwar durchaus über einen wohlklingenden Namen, war der Reisegruppe allerdings in erster Linie dadurch ins Auge gefallen, dass sie sich preislich wohltuend von der Konkurrenz abgehoben hat. In Lisboa kann man es sich offenbar über den Jahreswechsel erlauben, irgendwelche astronomischen Phantasiepreise aufzurufen. Wird wohl genügend Menschen geben, die diese auch bezahlen, aber FUDU schiebt diesem Spiel den Riegel vor: 140 € für zwei Nächte im Dreibettzimmer sollten dann auch genügen…

„Sorry, we were lazy, your Room is not finished yet“, ist dann die erste mit russischem Akzent vorgetragene Konsequenz dieser Preisdrückerei, die man im Gegenzug zu ertragen hat. 30 Minuten zusätzliche Wartezeit werden ausgehandelt, die wir stilsicher zu überbrücken verstehen. Ein asiatischer Späti gegenüber unseres Hotels ermöglicht uns ein Kaltgetränk in der Sonne am Bordsteinrand. Argwöhnisch werden wir hierbei aus dem Hotel beobachtet. Ihr mögt es herumlungern nennen, wir nennen es cornern!

Eine halbe Stunde später ist das Bierchen geleert und das Zimmer bezugsfertig. Glücklicherweise bleiben nur noch 90 Minuten bis zum Anpfiff, sodass wir nicht all zu viel Zeit auf dem Zimmer verbringen müssen. Hier werden wir noch jede Menge Freude mit durchgelegenen Betten, spartanischer Einrichtung und einer feucht-schwarzen Wand haben. Nun müssen die drei Schimmelreiter aber schleunigst die Pferde satteln, es geht hinaus nach Belém!

Mit einem wunderbar vollgemalten Vorortzug tuckert man vom Bahnhof „Cais do Sodré“ parallel des Flussverlaufs gen Westen. Die fünfzehnminütige Fahrt entlang des Tejo bietet einem sogleich die Gelegenheit, den „Torre de Belém“ und das Seefahrerdenkmal „Padrão dos Descobrimentos“ zu bewundern, womit zwei touristische Hotspots bereits vor dem ersten Stadtspaziergang als besichtigt gelten. Die eigentliche Heimspielstätte von Belenenses ist das „Estádio do Restelo“, fasst knapp 20.000 Menschen und wird heute von uns links liegen gelassen. Leider dürfen die ersten Herren ihr Fußballstadion aktuell nicht nutzen, da sich der Präsident des Gesamtvereins mit dem Vorsitzenden der ausgegliederten Profiabteilung überworfen und eine weitere Nutzung des Stadions untersagt hat. Der Stammverein Clube de Futebol Os Belenenses spielt nur noch in der sechsten Liga, während der ausgegliederte Profiteil nun unter dem Namen Os Belenenses SAD und mit neuem Grafikdesign-Logo aus der Hölle in der höchsten Spielklasse vertreten ist. Wer mehr über die Posse erfahren mag, sei folgender Artikel des „Ballesterer“ ans Herz gelegt: https://ballesterer.at/2018/09/27/scheidung-auf-portugiesisch/.

Für uns bedeutet dies jedenfalls, dass wir noch ein wenig länger im Zug verweilen dürfen und drei Kilometer am eigentlichen Ziel vorbeirauschen müssen. Neues Ziel der Fahrt ist der Bahnhof „Cruz Quebrada“, von dem man das „Estádio Nacional do Jamor“ fußläufig erreichen kann. Selbigen Plan verfolgt offenbar auch eine Delegation jugendlicher US-amerikanischer Sportler*innen, die hier mit gut 120 Mann die Bürgersteige verstopfen und orientierungslos in der Gegend herumstehen, anstatt sich einfach von den riesigen Flutlichtmasten den Weg weisen zu lassen. Wir laufen Slalom um all diese gehirnverkümmerten Smartphonezombies und haben um 16.37 Uhr den Stadionvorplatz erreicht.

Die Schlange an dem Kassenhäuschen reicht dann in etwa zurück bis nach Belém und die Hoffnung schwindet ein wenig, pünktlich zum Anpfiff im Stadion zu sein. Wir sind umringt von Fußballfreunden aus Porto, Farben der Heimseite sucht man noch vergeblich. Einige zwielichtige Händler versuchen die unübersichtliche Einlasssituation zu ihren Gunsten auszunutzen und bieten Eintrittskarten mehr oder weniger als Meterware an. FUDU bleibt gleichermaßen skeptisch wie geduldig und sorgt sich angesichts einer Stadionkapazität von 37.593 nicht ernsthaft darum, keine Originaltickets mehr zu erhalten. Bei dem Gedrängel, dieser Menschenmenge und der Anzahl an fliegenden Tickethändlern kann man aber schon davon ausgehen, dass die Hütte heute einigermaßen voll wird. Die Zeit rinnt davon, man kommt der Kasse langsam näher, die Schwarzmarktpreise sinken. Um Punkt 17.00 Uhr haben wir auf dem offiziellen Weg drei Billets zu je 20 € erworben und die Sicherheitsschleuse erfolgreich passiert. Der erste Blick in das weite Rund sorgt dann für gemischte Gefühle. Überragend die monumentale Stadionarchitektur, enttäuschend die Zuschauerresonanz.

Die aktuelle Ausweichspielstätte für Belenenses wurde 1944 von Diktator António de Oliveira Salazar eröffnet und orientiert sich in seiner Architektur an diversen Olympiastadien. Wie es sich für einen vernünftigen Diktator gehört, wurde auch bei der Planung und Umsetzung dieses repräsentativen Bauwerks eher geklotzt denn gekleckert. Seit 1946 wird das Endspiel um den portugiesischen Fußballpokal im „Estadio Nacional“ ausgetragen und seinem Namen entsprechend absolvierte auch die Nationalmannschaft lange Zeit ihre Länderspiele in diesem Stadion – so lange, bis die EURO 2004 moderne Stadien nach Portugal brachte. Fußballhistorisch erlangte das Stadion vor allen Dingen in der Saison 1966/67 Relevanz, als der Celtic FC das Finale im Europokal der Landesmeister gegen Internazionale gewann. Und wieder einmal macht FUDU zwischen den Jahren Bekanntschaft mit den „lesbischen Löwen“…

Der Anpfiff des Spiels wird sich wegen des Andrangs an den Stadiontoren noch ein wenig verzögern. Obwohl Belenenses hier offiziell Heimrecht genießt, animiert der Stadionsprecher ausschließlich die kleine, aber feine Portokurve und auch auf der Haupttribüne halten es nahezu alle Zuschauer mit den Blau-Weißen. Lediglich am rechten Rand der Tribüne haben sich vielleicht 30 Menschen versammelt, die so eine Art Heim-Fanblock darstellen und den Kickern aus Belém zuzuordnen sind. Dieser kleine Block, bevölkert von alten Männern und Familien, wird ernsthaft von einem Polizisten bewacht, der die Arme verschränkend auf der Tartanbahn steht und auf seinen großen Einsatz wartet. „Der wird in der Polizeikantine bestimmt verspottet“, mutmaßt der „Hoollege“. Kurz darauf wird das Spiel mit zehnminütiger Verspätung eröffnet.

Mit der ersten Standardsituation des Spiels geht der Außenseiter in Führung. Nach Freistoßflanke, Kopfball und Torwartabwehr setzt Reinildo vehement nach und drückt den Ball im zweiten Anlauf über die Linie. Erst vier Minuten sind zu diesem Zeitpunkt gespielt und schon muss der große FC Porto um das Weiterkommen zittern. 20 Minuten später hat dann auch die Ami-Trotteltruppe das Stadion gefunden und im Heimblock Platz genommen. Ich kann mir die Begeisterung der 30 Belenenses-Anhänger bildhaft vorstellen. Von zu Hause vertrieben, der eigene Verein umbenannt und gespalten, mit nur noch 30 Mann gegen 6.300 Gäste ansingen und dann auch noch von 120 Touristen umringt sein – es gibt sicherlich schönere Abende im Leben eines treuen Fußballfans. Währenddessen gewinnt der FCP auch auf dem Rasen die Oberhand und drängt auf den Ausgleich. In der 27. Minute scheitert Jesus Corona am Pfosten, zehn Minuten später ist die Abwehr mit einem wunderbaren Steckpass erneut ausgehebelt, doch Moussa Marega schiebt den Ball denkbar knapp neben das Tor. Elf Minuten später überrascht Porto-Coach Sérgio Conceição mit einem Doppelwechsel. Für Costa kommt Tiquinho und für Pereira Hernâni – ein Wechsel, der in Portugal für einen kleinen Skandal sorgen wird. Wie wir zwei Tage später einer Zeitung auf der Überfahrt nach Faro entnehmen dürfen, hat Conceição mit diesem Wechsel eine Regel der „Taça da Liga“ unterwandert. Anstelle der zwei „Local Player“, die Artikel 15 der Spielordnung verlangt, bietet Porto fortan nur noch einen auf. Der junge Costa, der sonst nur für die zweite Mannschaft des FCP aufläuft, sei aber wirklich verletzt gewesen, so die Stellungnahme des Vereins später. Naja, zumindest ein Wechsel mit Gschmäckle…

In der Halbzeitpause stellt die Portokurve erstmals ihren melodiösen Dauersingsang ein und die große Stunde der Ordner hat geschlagen. Wer nichts zu tun hat, der macht sich halt Arbeit. In völliger Verkennung der Tatsache, dass hier nahezu ausschließlich Portosympathisanten sitzen, kann man natürlich den oberen Umlauf sperren, um die Begegnung mit Fans hinter dem Tor zu verhindern. Besonders schön, dass am unteren Rand der Tribüne keinerlei Absperrungen existieren und man neben der Tartanbahn locker durch das Stadion spazieren kann, während man sich oben in endlosen Diskussionen verstrickt. Aber letztlich ist all unsere Mühe umsonst – auch an dem Versorgungsstand in der Kurve gibt es kein echtes Bier zu kaufen, obwohl einem ¾ der Werbebanden des Stadions das Wort „BIER“ geradezu entgegen schreien. Wegen schwerwiegender Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz stürmt die Polícia noch eben schnell das Toilettenhäuschen und schon ist die kurzweilige Halbzeitpause Geschichte.

In der Kabine hat Portos Trainer offenbar ein Erfolgsrezept entwickelt: Flanken, Flanken, Flanken! Immer wieder irrt die Innenverteidigung von Os Belenenses durch den Strafraum und auch Torwart Mika wackelt bedenklich, sobald hohe Bälle von den Seiten in die Mitte fliegen. In der 47. landet ein Kopfball noch auf der Querlatte, in der 53. eine Direktabnahme von Marega dann aber endlich in den Maschen. Jetzt wird es richtig absurd und der Stadionsprecher feiert den Ausgleich frenetisch mit den mitgereisten Schlachtenbummlern aus Porto und spätestens jetzt muss sich das hier für den FCP wie ein echtes Heimspiel anfühlen. Porto hält den Druck im Anschluss konstant hoch, gleich mehrere Male brennt es lichterloh im Strafraum von Belenenses, dennoch braucht es eine weitere Freistoßflanke, um das Spiel zu drehen. (Ausgerechnet!) Tiquinho nickt nach Telles-Flanke aus dem Halbfeld zum 1:2 ein (63. Min.). Porto ist sich seiner Sache nun etwas zu sicher, schaltet einen Gang zurück und überlässt Belenenses das Zepter, doch mehr als einen direkten Freistoß nach 67 Minuten und einen guten Abschluss nach 76 Minuten kriegen die Hausherren nicht zustande gebracht. Plötzlich scheint man sich auf Portos Trainerbank zu entsinnen, dass es im Fernduell mit Chaves letztlich um die Tordifferenz gehen könnte (nur der Tabellenerste der Vierergruppe zieht in das Halbfinale ein) und so animiert man die Spieler noch einmal mit wilden Gesten dazu, die Offensive anzukurbeln. In den letzten 10 Minuten des Spiels schießt Porto vier wilde Fahrkarten und ein Abseitstor, doch am Ende wird Chaves genau ein Tor fehlen und Porto trotz des vielen Unvermögens in der Schlussphase lachender Sieger des Abends bleiben.

Nach dem Spiel kehren wir im „Villa Cruz“ ein und kompensieren mit leckerem Burger und Fassbier für 1,80 € das im Stadion ausgefallene Cateringerlebnis über alle Maße. Während wir danach auf unseren Vorortzug warten, plätschert im Hintergrund der Tejo vorbei und bietet akustisch optimale Untermalung für eine erste Recherche, für welche wir die Handys zücken. Hättet ihr beispielsweise gewusst, dass in der Europapokalsaison 1966/67 Jürgen Piepenburg vom ASK Vorwärts Berlin Torschützenkönig des Wettbewerbs wurde? Dank seiner sechs Treffer, darunter fünf in der Qualifikationsrunde gegen den irischen Vertreter des Waterford AFC (glatt in zwei Sätzen: 6:1, 6:0!), war Piepenburg dieser Eintrag in die Fußballgeschichtsbücher nicht mehr zu nehmen. Merkt’s Euch, ist alles prüfungsrelevant!

 

Am 31.12.2018 schnellen die FUDU-Schweine ungewohnt früh aus den Betten. Nichts wie raus aus der russischen Schimmelbude, hinein ins portugiesische Frühstücksparadies um die Ecke! Gefüllte Blätterteigteile in der Bäckerei nebenan sorgen für ausreichend Stärkung, um im Anschluss den ersten Teil des heutigen Sightseeingmarathons bewältigen zu können. Mit der Fähre setzen wir nach Cacilhas über, um dort den „Cristo Rei“ bestaunen und vielleicht sogar besteigen zu können. Rund um die achtgrößte Christus-Statue der Welt (architektonischer Fehler, um in der Superlativ-Liste weiter oben zu landen: mehr Sockel [82 Meter] als Jesus [28 Meter] bauen…) tummeln sich an diesem sonnigen Montagmorgen hunderte Touristen und wir sehen angesichts einer Eintrittspreisforderung in Höhe von 5 € und der wartenden Massen davon ab, unseren Plan umzusetzen, den Heiland als Aussichtsturm zu missbrauchen. Dafür haben wir große Freude daran, ein halbnacktes spanisches Topmodel zu beobachten, welches sich von ihrer dicken Freundin gerade gefühlt aus dem 1000. Winkel mit Good Old Jesus fotografieren lässt. Lasziv auf einer Mauer räkelnd, mit den Haaren spielend, posierend – diese Urlaubsfotos werden in ihrer erzkonservativen katholischen Herkunftsfamilie sicherlich prima ankommen.

Im Anschluss erkunden wir das Tejo-Ufer und spazieren munter drauf los. Schnell haben wir die Tourimassen hinter uns gelassen und tauchen ein in die morbide Welt eines verlassenen Ortes. In der „Quinta da Arealva“ kann man durch verfallene Industriebaracken klettern, einstige Gärten durchqueren und Ausblicke auf die „Ponte de 25 Abril“ und hinüber nach Belém erhaschen. Farbenfrohe „Streetart“ mit einer Range von „Wall Street“ bis „BSG Chemie“ bietet dabei beste visuelle Unterhaltung und so gehen gut zwei Stunden ins Land, ehe wir mit einem leichten Hüngerchen in die erste und einzige Touristenfalle des Urlaubs tappen werden. Das Essen schmeckt jedenfalls nur so mittelmäßig und als auf der Rechnung auch noch stolze 15 € für drei Fassbier veranschlagt werden, nickt uns von oben Jesus bestätigend zu. Kleine Sünden bestrafen der liebe Gott und FUDU eben sofort und so werden die 1,20 €, die der Wirt wortlos als Trinkgeld einbehalten will, aktiv zurückgefordert und beim Verlassen des Ladens noch zwei Gläser geklaut.

Zurück in der Innenstadt wird der Fanshop Benficas zum ersten Ziel erklärt. Dort erhalten wir die Auskunft, dass Eintrittskarten für das Spiel in Portimão nicht erhältlich wären. Esgotado, esgotado, esgotado, wir können’s nicht mehr hören. Dieses Mal lassen wir jedoch so schnell nicht locker und siehe da, eventuell gibt es im Shop neben dem „Estádio da Luz“ doch noch eine kleine Chance auf Resttickets. Eine Nachfrage später ist die freundliche Dame dann sogar bereit, zum Telefon zu greifen und bei ihren Kollegen nachzufragen, die zu unserer Begeisterung bestätigen: Ja, es gibt noch Eintrittskarten. Geöffnet ist der Laden bis um 19.00 Uhr, danke für die Auskünfte, Obrigada!

Es bleiben also noch gut zwei Stunden, um sich vom ortskundigen „Hoollegen“ durch Lisboa führen zu lassen. Wir schlendern über den „Praça do Comércio“, auf dem die Silvesterfeierlichkeiten vorbereitet werden und ein wenig der Weite des Platzes nehmen, laufen entlang der Schienen der berühmten Holzstraßenbahnen der Linie 28 und kraxeln durch das Altstadtviertel „Alfama“ hinauf zum „Castelo de São Jorge“ und werfen von oben Blicke hinab in die Stadt. Wirklich wunderschön, aber dennoch hinterlassen all diese Eindrücke unter dem Strich das Gefühl, genug vom überfüllten touristischen Lisboa erlebt zu haben. So fühlt es sich gegen 18.00 Uhr nicht unbedingt verkehrt an, dem Trubel der Innenstadt den Rücken zuzukehren und hinaus nach „São Domingos de Benfica“ zu fahren – Fetti, bring mich zum Licht!

Noch gerade eben rechtzeitig erreichen wir den Stadtteil, um den Sonnenuntergang über dem „Estádio da Luz“ miterleben zu können. Das ist echte Urlaubsromantik. Einige Minuten später hat uns der freundliche Mitarbeiter im Fanshop am Stadion tatsächlich drei Eintrittskarten für das angeblich ausverkaufte Gastspiel Benficas beim Portimonense SC am 02.01.2018 verkauft. Zwar erhalten wir Karten für unterschiedliche Blöcke, was in Portimão allerdings kein Problem darstellen würde, da man problemlos zwischen den Stadionteilen umherwandern könnte. Mit all diesen Erfolgsmeldungen im Gepäck starten wir unbeschwert in unseren Silvesterabend.

In der bereits gestern getesteten Churrasqueira „Kumar“ unweit unseres Pilzpalastes serviert eine indische Familie portugiesisches Essen für die einfachen Leute und mit Sicherheit wird sich auch heute Abend kein einziger Tourist hierher verlaufen. Wir stoßen zunächst auf unseren Meisterhopper-Schachzug an und erfreuen uns an dem Zufall, Benfica einfach hinterher reisen zu können und so problemlos Karten für den Auswärtsblock erhalten zu haben. Der Laden ist gut gefüllt und durch eine recht hohe Fluktuation der Gäste zu charakterisieren. Hier kehrt man ein, hier isst man schnell, gut und günstig und geht dann wieder. Nur FUDU hat sich festgesessen – und dieser eine furchtbare portugiesische Bauer am Nebentisch. Würde man sich weltweit auf die Suche nach dem Menschen mit den schlechtesten Tischmanieren begeben, hier hätten wir einen Kandidaten für die Goldmedaille gefunden. Rülpsen, schmatzen, furzen, grunzen und das Essen mit den Fingern zwischen den Zähnen hervorholen und wiederkäuen. Der „Hoollege“ und ich haben beste Sicht auf dieses einzigartig schöne Exemplar Mensch, während der „Fackelmann“ diesen ausschließlich olfaktorisch wahrnehmen kann. Ungefähr 100 Olf auf der 1988’er Fanger-Skala dürfte der Kerl schon an Geruchsemission verursachen. Eine Mischung aus chlorhaltigem Reinigungsmittel, Altschweiß mit einem Hauch von offenem Bein. Da wird doch die Toilette, von deren Besuch der „Fackelmann“ wegen des Gestanks gestern noch zwingend abgeraten hatte, heute plötzlich zum Wallfahrtsort für die Nasenscheidewände. Wir lassen nichtsdestotrotz eine üppige Fleischvöllerei folgen und trinken uns mit dem einen oder anderen „Licor Beirão“ Mut an, um den heutigen Abend in Anwesenheit des Stinkers (der „Ad_olf“) und die Nacht in der Moderhöhle überstehen zu können. Es ist ein wunderbarer Abend, der seine Faszination daraus bezieht, in menschliche Abgründe zu gucken und diese auszuhalten – muss er sich gedacht haben, während er mir und dem „Hoollegen“ beim Betrinken zusehen musste. Kann er ja nur von Glück reden, dass sich nicht auch noch der „Fackelmann“ umgedreht hat. So – und nur so – sollte man Silvester in Lisboa feiern!

Die Kellnerin schaut mittlerweile von Bierbestellung zu Bierbestellung skeptischer, kann den vom „Hoollegen“ ins Leben gerufenen Qualitätsstandard aber locker erfüllen. Alle Biere sind weit über der „Linea Ovo“ (= Eistrich) gefüllt und spätestens, als der portugiesische Prolet Popelkugeln formt und durch das Lokal schnippst, erhält er von Fetti und den anderen Iberico-Schweinen das Prädikat ’sevillalich‘. Irgendwann ist Neujahr, sagt das Fernsehprogramm und wir erhalten irgendeinen Schnaps auf’s Haus. Um kurz nach Eins werden wir gefragt, was wir gerne zum Dessert hätten. „Liqueur“!, antwortet der „Hoollege“ wie aus der Pistole geschossen und mit einer letzten Runde „Beirão“ nimmt man Abschied von diesem denkwürdigen Abend, der letztlich gerade einmal 70 € gekostet hat. Fleisch ohne Ende, hundert Runden Bier, ein Schnapsgelage und Gerüche, die man nie wieder aus den Klamotten gewaschen kriegt. Na dann, liebes Tagebuch: Auf ein schönes 2019! /hvg

28.12.2018 Rio Ave FC – FC Paços de Ferreira 1:1 (0:1) / Estádio dos Arcos / 1.078 Zs.

Im Spätsommer sitzen zwei FUDU-Schweine gemeinsam mit dem Genossen Николай Эрастович Берзарин in ihrem Litovellokal des Vertrauens. Zwei-drei Bierchen hinter den Kiemen, Fernweh im Sinn, ein Smartphone in der Hand und Urlaub vor den Augen. Wir haben Lust auf Sonne, Strand und Fußball. Könnte es eine bessere Ausgangslage geben, als genau jetzt den gemeinsamen Jahresendurlaub zu planen…?!?

So dauert es auch gar nicht ausgesprochen lange, bis man einen sehr günstigen Flug nach Porto gefunden hat, der kurz nach Weihnachten starten soll und auch der Rückflug ab Málaga für Anfang 2019 passt hervorragend in das wie immer knapp bemessene Budget. Der „Hoollege“ lässt soccerway.com glühen und verkündet frohlockend, dass über die Jahre nicht nur in Portugal und Spanien, sondern sogar in Gibraltar gespielt wird. Aufgrund der attraktiven Gesamtgemengelage, lassen sich die beiden Vorzeigegeographen auch nicht mehr lange bitten und bringen ihre fundierten Erdkundekenntnisse ein: Porto, Lissabon, Faro, Gibraltar, Andalusien. Kann man doch alles in einem Rutsch machen – halt einfach einmal die Küste runter!

Wie sagt man doch so schön bei FUDU? Eichen sollst Du weichen, auf buchen sollst Du drücken!

Inzwischen ist es Winter geworden in Deutschland, der „Fackelmann“ hat seine Teilnahme an der Reise zugesagt und erste Aufbettungsanfragen bereits gebuchter Unterkünfte konnten positiv beantwortet werden. Gemeinsam musste man im Lauf der Zeit allerdings wohl oder übel feststellen, dass zwischen Porto und Málaga (via Gibraltar) doch stolze 1000 Kilometer Strecke liegen und die Bewältigung dieser Distanz doch einige Fragezeichen aufwirft. Länderübergreifende Zugverbindungen gibt es jedenfalls keine, Busse fahren aufgrund der Feiertage nur sehr wenige und ein Mietauto würde horrende Kosten verursachen, würde es man in einem europäischen Land leihen und in einem anderen zurückgeben – bis zu 600 € rufen die Verbrecherbuden der Gebrüder „Avis“, „Europcar“ & Co hierfür auf. Bedenklich früh scheint der Länderpunkt Gibraltar zu wackeln, nur der „Hoollege“ hält noch mit aller Kraft daran fest: „Gibraltar genießt weiterhin höchste Priorität!“. Hhm, keine Ahnung. Naja, fliegen wa erst mal los.

So oder so ähnlich muss es auch in der Gedankenwelt der Italienerin ausgesehen haben, als sie den Versuch, die neuen Handgepäcksrichtlinien Michael O’Learys zu erfassen, offenbar ergebnislos zum Abbruch gebracht hat. Während FUDU verstanden hat, dass man nun nur noch Kleinstgepäck gratis mit in die Kabine bekommt und für normalgroße Rucksäcke bereits bei der Buchung eine Prioritygebühr zu entrichten hat, steht sie unwissend mit ihrem überdimensionierten Backpack am Gate nach Roma und hat nun den Insalata. Die Diskussionen mit dem Bodenpersonal führt sie emotional und als das südländische Temperament mit ihr durchgeht und sie hysterisch schreiend Kleidungsstücke aus dem Rucksack holt und wutentbrannt in den Mülleimer stopft, wird die Bundespolizei zur Klärung herbeigerufen. Wieder eine(r) mehr, die im Ausland nur Gutes über Kackeland berichten wird…

Der „Hoollege“ und meine Wenigkeit haben derweil ganz andere Sorgen. Unser Flug nach Porto wird sich um eine Stunde verspäten und somit werden wir unsere versprochene Ankunftszeit an der Unterkunft nicht halten können. Die Vermieterin wurde in der einen oder anderen Rezension als „schlechtlaunig“ und „genervt“ dargestellt und wer weiß, wie so eine Person darauf reagiert, wenn man sie erst um kurz nach Mitternacht aus dem Bette holt. Naja, fliegen wa erst mal los.

Der Weg vom Flughafen mit der Metro bis zum Bahnhof „Faria Guimarães“, in dessen Nähe sich unser „Cosy Apartment“ befinden soll, ist idiotensicher zu finden und schnell zurückgelegt. Auf dem Weg bis zu der Pension stoßen wir leider nur auf geschlossene Ladengeschäfte, sodass wir gegen unseren Durst vorerst nichts unternehmen können. Vollkommen dehydriert und in Erwartung eines Hausdrachens im Morgenmantel betätigen wir die Klingel. Eine Reaktion erfolgt erst einmal nicht, doch ein erleuchtetes Treppenhaus lässt wenig später die Hoffnung aufkeimen, dass sich die Grande Dame des Hauses nach unten bequemt. Etwas wortkarg zeigt man uns kurz darauf unsere Wohnung, nimmt uns die vollen 196,00 € für vier Nächte in bar ab und baut dann kleinere Sprachbarrieren auf. Uns gelingt es jedenfalls nicht, der guten Frau zu erklären, dass der „Fackelmann“ erst übermorgen nachkommen wird, weil er sich aktuell noch auf familiärer Mission irgendwo zwischen Brieselang und Bratislava befindet. Unklar, ob sie verstanden hat, dass wir noch ein Handtuch benötigen und unklar bleibt auch, ob es einen zweiten Schlüssel an der Rezeption für unseren Nachzögling gibt, sodass dieser einchecken könnte, während wir im Stadion zu Vila do Conde sitzen werden. Zwar antwortet sie nicht auf unsere Fragen, hört aber zumindest aufmerksam zu und nimmt alle 2-3 Minuten mit einem freundlichen „Claro, no Problema“ am Gespräch teil. Joa. So in etwa stellt man sich bei FUDU einen Dialog mit Aílton vor…

Ich komme dann noch in den Genuss, die Dame in ihr Kabuff im Nachbarhaus begleiten zu dürfen, während sich der „Hoollege“ bereits häuslich in der Ferienwohnung einrichten darf. Jetzt zeigt sie sich von ihrer freundlichsten Seite und versucht mir mit ihrem englischen 12-Begriffe-Wortschatz auf einer Stadtkarte die touristischen Sehenswürdigkeiten Portos näher zu bringen. Als ihr die Begrifflichkeit „Shops“ nicht einfällt und sie stattdessen „Magasins“ verwendet, paraphrasiere ich auf Französisch und erobere damit ihr Herz im Sturm. Fortan nimmt sie ihre Ausführungen in französischer Sprache vor, da sie sich auf diesem Terrain doch deutlich wohler fühlt. Jetzt verstehe ich zwar nur noch die Hälfte, aber die wichtigsten Fragen bleiben keineswegs ungeklärt: Da ist die Brücke, da der Fluss, da gibt’s Portwein, Kringel drum! Auf Nachfrage hat die gute Frau dann sogar noch ein Wasser für uns im Vorratsschrank und eine Flasche Portwein gibt es gratis dazu. Schwule und alte Frauen stehen halt auf mich, da möchte ich es mir jetzt auch nicht mit einer Frage nach einer Quittung verscherzen. 196,00 € auf Vertrauensbasis. Madame, das wird eine gute Bewertung geben!

Am nächsten Morgen versucht uns der „Fackelmann“ unseren Reisevorsprung madig zu machen. Laut „Spiegel“ sei Porto im Regen auch bloß „wie London, nur mit Rechtsverkehr“. Die Strategie der einfachen Leute. Kompensation von Neid und Missgunst durch Abwertung. Können wir nur müde drüber lächeln, während wir am Rathaus vorbeischlendern, den unfassbar schönen Bahnhof „São Bento“ mit seinen Kachelkunstwerken bewundern und über die „Ponte Luíz I“ schlendern, um am Portweinstrich in der Sonne hängen und auf den Duoro glotzen zu können. An der imposanten schmiedeeisernen Brücke warnt übrigens ein Aufkleber eindringlich davor, „Scheiß Schalke“ zu äußern. An jedem Ort der Welt würde daraufhin nämlich irgendwer aufstehen und einem zwangsläufig eine auf’s Maul hauen. Muss man bei Gelegenheit mal ausprobieren.

Mittlerweile ist es Freitag geworden. Wir haben in der Zwischenzeit die Stadt erkundet, in der „Adega Sports Bar“ interessante Brexitgespräche geführt, den neuen Flitzer des FUDU-Pärchens auf den Namen „Japserati“ getauft (R.I.P., Tschechenbentley!) und uns dann und wann den „Sagrest“ gegeben. Heute steht nun endlich das erste Fußballspiel der Reise auf dem Programm: Der Rio Ave FC (R.A.F.C.) bittet im 30 Kilometer entfernten Vila do Conde den FC Paços de Ferreira zum Tanz um die goldene Ananas. Haben wir jetzt schon „Super Bock“ drauf!

Nach nur 40 Minuten Fahrt im „Expresso“ der Linie B sitzen wir bereits im „Restaurante Farol“, trinken Bierchen für 1,40 €, lassen uns landestypischen Eintopf und Steak schmecken, genießen abschließend einen Espresso für läppische 85 Cent und stellen uns bereits jetzt die Frage, warum zur Hölle es uns die letzten vier Jahre im Dezember immer nach Großbritannien gezogen hat – und dabei habe ich noch gar nicht vom schönen Blick auf die Atlantikküste gesprochen, den man hier auskosten kann, sogar mit Blick auf die Flutlichtmasten des Varzim SC aus dem Nachbarort.

Abzüge in der B-Note erfährt Vila do Conde dann nur dank des kitschig geschmückten Weihnachtsboulevards und dessen musikalischer Beschallung. Eine abgeschmackt-rührselige Cover-Version von „The Power Of Love“  ist dann in der Tat nur schwerlich zu ertragen und so zieht es uns überaus rechtzeitig hinaus zum „Estádio dos Arcos“.

Allein der Weg entlang einiger der 999 Bögen des Aquädukts von 1714, welches in sieben Kilometern Länge aus Terroso in den Bergen von Póvoa de Varzim bis zum Karmeliterkloster Santa Clara führt, entschädigt für diesen erlittenen musikalischen Tiefschlag. Die Flutlichtmasten des Stadions erscheinen malerisch zwischen den steinernen Bögen und direkt neben dem Stadion weiden Schafe. Wäre ich Landschaftsmaler, hier würde ich verweilen. Da erscheint es plötzlich völlig egal, dass wir heute Abend lediglich ein belangloses letztes Vorrundenspiel im ohnehin ungeliebten Ligapokal miterleben werden. In dem mit eher wenig Spannung erwarteten Match spielt gleich der Tabellendritte gegen den Tabellenvierten der Gruppe A und beide Mannschaften sind bereits sicher ausgeschieden.

5 € muss man für diesen Kick in der „Taça da Liga“ bezahlen, die offiziell nach einem großen deutschen Versicherer benannt ist. Das Stadion ist exakt ein Jahr und einen Tag jünger als ich, ist im Gegensatz zu mir aber bereits deutlich in die Jahre gekommen. Es verfügt über zwei große Tribünen mit grünen Schalensitzen auf den Längsseiten, wovon immerhin eine der beiden zu gut einem Drittel von einem Dach bedeckt wird. Zwei wunderbare grasbewachsene Freiflächen hinter den Toren runden das Ambiente ab. 12.815 Menschen könnten im „Estádio dos Arcos“ Platz finden. Heute sind immerhin knapp 1.000 erschienen, um gemeinsam mit FUDU in der Abendkühle zu frieren und sich über alkoholfreies Bier aus dem Stadioncatering ärgern zu müssen. Die 27 weit gereisten Fans aus dem 54 Kilometer entfernten Paços de Ferreira verschwinden auf der gegenüberliegenden Tribüne hinter einer dichten natürlichen Nebelwand, die sich jedoch im Verlauf der Anfangsviertelstunde nach und nach verziehen wird.

In den ersten 20 Minuten ist die Heimmannschaft am Drücker, doch gleich drei aussichtsreiche Situationen in Strafraumnähe verpuffen, weil der jeweils letzte Pass zu ungenau gespielt wird. Die Gäste können sich langsam aber sicher vom Druck befreien und haben sich ihrerseits entschlossen, ihr Offensivglück durch schnelle Abschlüsse zu finden. Die Konsequenz: Nach 25 Minuten sind bereits zwei Bälle in der Hintertorperipherie des Stadions verschwunden. Fünf Minuten später übertölpelt ein langer Pass aus dem Mittelfeld die Abwehrkette des Rio Ave FC. Flügelstürmer Wagner kommt schneller an den Ball als der heraus eilende Keeper Paulo Vítor und schiebt den Ball aus 20 Metern in Richtung des leeren Tores. Abwehrmann Rodrigues rennt, grätscht, kratzt den Ball beinahe von der Linie, verheddert sich im Netz – und kann das Gegentor trotz allen Einsatzes nicht mehr verhindern. Eigentor. Die Gästefans, die sich eben noch in leichten Auseinandersetzungen mit den Ordern befunden hatten, lassen nun hiervon ab, feiern ausgelassen und übernehmen die Stimmungshoheit im Estádio. Pacos schlägt sich, Pacos verträgt sich, so ist das eben. Zugegeben, ein Wortwitz, der natürlich nur ohne Cedille funktioniert. Gib mir Fünf, Bildungsbürgertum!

Kurz vor der Halbzeit fordert Rio Ave nach einem leichten Schubser einen Strafstoß ein, den der Schiedsrichter aber nicht herschenkt. So geht ein lebendiges Spiel mit vielen Abschlüssen und vielen Offensivambitionen, aber ebenso vielen Ungenauigkeiten, technischen Fehlern, unnötigen Ballverlusten und unbeholfenen Zusammenstößen mit einem Zwischenstand von 0:1 in die Halbzeitpause.

In der zweiten Hälfte versucht der kleine Stimmungsblock Rio Aves den nach wie vor enthusiastischen Gästen Paroli zu bieten und hat offenbar ein Megaphon organisiert. Durch dieses schreit nun ein zartes Mädchenstimmchen alles in Grund und Boden und entwickelt schnell erhebliches Nervpotential. Ein immer und immer wieder gespielter Trommelrhythmus, gefolgt durch ein beschwingtes Rio Aveeee, brennt sich in meine Gehirnwände ein und wird zur Freude meiner Mitreisenden ständiger Begleiter unseres Jahresendtrips bleiben. Auf dem grünen Rasen hat Rio Ave mittlerweile ausgeglichen, weil ein langer Einwurf die Abwehr der Gäste im Tiefschlaf erwischt hat. Der so frei gespielte Moreira behält die Übersicht, passt zurück an die Strafraumkante, von der aus Galeno mit einem fulminanten Schlenzer ins rechte Eck sehenswert verwandeln kann (51. Min.). Eine Viertelstunde später lässt Rio Ave einen 4 auf 2 Angriff ungenutzt – von diesem verstolperten Abschluss aus fünf Metern wird Murilo seinen Enkeln wohl kaum erzählen. Obwohl die Gäste ab der 67. Minute in Unterzahl spielen, wird keine weitere Torchance für Rio Ave mehr hinzukommen. Stattdessen machen die Gäste durch mutiges Angriffsspiel auf sich aufmerksam und spätestens in der 81. Minute, als der eingewechselte Barnes Osei in den Strafraum eindringt, einen Haken schlägt und den Ball an den Pfosten setzt, wäre der Auswärtssieg verdient gewesen. So aber geht die Partie um die goldene Ananas mit 1:1 zu Ende und wir begeben uns auf den Rückweg in Richtung Porto.

Um 23.36 Uhr sitzen wir wieder in der Tram, die die Agglomeration Portos mit der Innenstadt verbindet. Der „Fackelmann“ ist derweil sanft und sicher in Porto gelandet und hat sich dagegen entschieden, es alleine mit dem mürrischen Morgenmantel-Aílton aufzunehmen. Schnell werden Metrorouten und Fahrtzeiten abgeglichen und ein möglichst sinnvoller Treffpunkt bzw. Schnittpunkt unserer Wege ausfindig gemacht. Und wahrlich, könnte es für die drei FUDU-Crétins einen besseren Ort als den Bahnhof „Crestins“ geben, um sich endlich in die Arme zu schließen und ihre Re-UNION zu feiern? Um 0.02 Uhr ist es endlich so weit und der Dritte im Bunde steigt zu. Im Gepäck hat er einige gebuchte Busse und Züge, die uns zumindest ein Weiterkommen auf spanischem Boden ermöglichen werden. Noch immer ungeklärt ist die Frage, wie genau wir von Portugal nach Spanien kommen sollen und auch der Abstecher nach Gibraltar, der nach wie vor „höchste Priorität“ genießt, ist noch längst nicht in trockenen Tüchern. Heute Nacht werden die FUDU-Schweine wohl von einem Affenfelsen träumen – und vielleicht von einer reibungslosen Reise, einfach einmal die Küste runter. /hvg

25.11.2018 TuS Celle FC – T.U.S. Eversen/Sülze 1:4 (0:2) / Günther-Volker-Stadion / 95 Zs.

Augsburg, Weismain, Chemnitz, Leipzig. Ich habe aktuell einen Lauf und in den letzten 23 Tagen gleich vier deutsche Stadien besucht, die schon lange auf meiner Liste gestanden hatten. Wie das nun einmal so ist, manchmal scheut man sich vor den langen Reisen, manchmal vor dem unterklassigen Rumpelfußball, der in diesen charmanten Spielstätten geboten wird und meistens will man Deutschland verlassen, wenn man nicht arbeiten gehen muss und schiebt inländische Reiseziele auf die lange Bank. So kommt es dann und wann zu einem gehörigen Spielstättenstau, aber wenn ich gerade schon einmal dabei bin, die Liste abzuarbeiten, dann sollte auch das „Günther-Volker-Stadion“ zu Celle besucht werden, ehe hier irgendwann einmal bauliche Veränderungen vorgenommen werden.

Dennoch darf man am letzten Spieltag des Kalenderjahres getrost skeptisch sein, ob bei den aktuell gegebenen Witterungsbedingungen auf dieser Ligaebene wirklich alle Spiele planmäßig ausgetragen werden können. Sicherheitshalber nehme ich Kontakt mit einem Vereinsverantwortlichen auf und Frage nach, ob es ein Restrisiko gibt, dass das Spiel auf einen Nebenplatz verlegt werden könnte. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Moin. Es wird immer im Stadion gespielt. Es kann also angereist werden, um den Ground zu machen!“ – ach, hier fühlt man sich doch verstanden!

Grund genug also, um mich an diesem kalten Novembersonntag in die Bahn zu setzen und für eine Partie der Kreisliga Celle knappe 600 Kilometer zurückzulegen. Für einen Tagesausflug in die 8. Liga muss man eben auch mal Opfer bringen. Todeszelle, Terrorzelle, TuS Celle!

Am Bahnhof Uelzen nimmt es die Deutsche Bahn mit meiner Opferbereitschaft etwas zu wörtlich und lässt meinen Anschluss-IC nach Celle heute leider entfallen. Der rumänische Kassenwart empfiehlt, zwei Stunden auf den nächsten Zug zu warten, ein Fahrgastrechteformular auszufüllen und ein wenig Zeit im schönen Bahnhofsgebäude zu verbringen, welches von Friedensreich Hundertwasser anlässlich der legendären Weltausstellung in Hannover geschaffen und kurz nach seinem Tode im November 2000 eröffnet wurde.

Fetti schüttelt den Kopf. Niemals würde er gegen einen Gegenwert von 9 € freiwillig auf sein geplantes Sightseeing in Celle verzichten. Und so entschließt er sich schweren Herzens, aus freien Stücken ein Downgrade vorzunehmen, auf den Intercity-Luxus zu verzichten und um 11.09 Uhr in die Regionalbahn zu springen. Diese benötigt von Uelzen nach Celle 43 Minuten und wird auf der Bahnstrecke Hannover-Hamburg von der frevelhaften Schurkenfirma „metronom“ betrieben, die sich aufgrund ihrer Null-Toleranz-Politik gegenüber Alkohol an Bord Wochenende für Wochenende deutschlandweit den Unmut der Reisenden auf sich zieht.

Suderburg und Unterlüß haben wir bereits hinter uns gelassen. Nun kommt der Streckenkilometer 61 immer näher, welcher am 03.06.1998 traurige Berühmtheit erlangte, als es in der Nähe der Ortschaft Eschede zum schlimmsten Eisenbahnunfall der Bundesrepublik Deutschland kam. Der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ entgleiste, 101 Menschen verloren ihr Leben. Tiefenpsychologisch vielleicht gar nicht so geschickt, sich während einer Bahnreise mit Bahnunglücken zu beschäftigen, aber womit sonst soll man hier seine Zeit auch sonst verbringen, wenn man kein Bier trinken darf?

Um 11.46 Uhr habe ich Celle erreicht. Der Himmel ist grau, es ist diesig und die Stadt hat ihre Bürgersteige nach oben geklappt. Ich nehme direkt Kurs auf die hochgelobte Altstadt, werfe einen flüchtigen Blick auf das Schloss und habe nur kurz darauf mein Ziel erreicht. Der erste Eindruck ist positiv, viele alte Fachwerkhäuschen (über 400), kleine Ladengeschäfte und verschlafene schmale Straßen bestimmen das Bild. Kaum eine Menschenseele ist unterwegs, sodass man ungestört Eindrücke sammeln kann. Lange kann es aber nicht mehr dauern, bis es mit dieser Ruhe vorbei sein wird. Am Markt haben sie jedenfalls bereits das gesamte Ambiente mit Holzhütten vollgeramscht und die Möglichkeit, ansehnliche Fotos der schönen Architektur des 1292 erbauten Nordteils des „Alten Rathaus“ zu schießen, zu Nichte gemacht. Glücklicherweise ist der Weihnachtsmarkt jedoch noch nicht geöffnet, der in wenigen Tagen dann sicherlich hunderttausende Menschen in die Fachwerkstadt spülen wird, die dann überteuerte Fressalien in sich hineinstopfen und irgendetwas kitschiges handgemachtes käuflich erwerben können. Bevor ich all zu sehr abschweife, fragt mich glücklicherweise irgendein dahergelaufener belgischer Lokführer, ob ich mich in Celle ein wenig auskennen würde.

Ihn interessiert in erster Linie die Frage, ob die Altstadt irgendwann einmal nach dem zweiten Weltkrieg restauriert wurde oder ob Celle von Bombenangriffen verschont geblieben ist. Ich kenne die Antwort nicht. Er erzählt, dass er gerade seinen Urlaub in Deutschland verbringt und heute aus Munster gekommen ist, wo er gestern noch ein „tolles Panzermuseum“ besucht hat. Nennt mich vorurteilsbehaftet, aber solche Militaria-Freunde sind mir immer überaus suspekt. Glücklicherweise verliert er recht schnell das Interesse an mir, womöglich, weil er mir anmerkt, dass ich außer meiner schicksalhaften Staatsangehörigkeit mit Nazis nicht viel am Hut habe und mir bleibt auf dem Fußweg in die Neustadt und zum Stadion genügend Zeit, die Antwort auf die gestellte Frage zu recherchieren. Alles original! Sogar auf das komplette Verbrennen der Synagoge wurde in der Reichspogromnacht verzichtet und später die Stadt kampflos an die Alliierten übergeben, um die Altstadt zu schützen. Toll! Der einzige Luftangriff auf Celle hatte übrigens die Bahnanlage zum Ziel. Auf die „Celler Hasenjagd“, also der Ermordung von mindestens 170 KZ-Insassen, die aus den getroffenen Zügen flüchten konnten, verübt durch Celler Bürger und SS-Wachmannschaften, möchte ich jetzt gar nicht weiter eingehen. Hauptsache, die Altstadt ist heil! geblieben. Ekelhafte Rechercheergebnisse.

Nun treffen also gerade einmal 75 Jahre später ein Belgier und ein Berliner in dieser niedersächsischen Fachwerkstatt aufeinander. Der eine ist gereist, um ein Kreisligafußballspiel zu sehen, der andere, um sich in der Garnisonsstadt Celle an irgendeiner Kriegskacke zu ergötzen. Müsst ihr jetzt entscheiden, was ihr sinnvoller findet.

Kurz darauf werde ich am Kassenhäuschen des Stadions in Empfang genommen. Der Kassierer kann sich an die Kommunikation im Vorfeld gut erinnern und zeigt sich weiterhin hopperfreundlich. Neben einer schönen Eintrittskarte, erhält man hier auch ein kleines Stadionheft und einen Aufkleber mit Vereinswappen aus der Saison 2012/13 („Erinnerung an bessere Zeiten!“) gratis dazu. In einem kurzen Smalltalk berichtet er, dass er sich hier verantwortlich für die liebevolle Gestaltung all dieser kleinen Schmuckstücke zeigt. Er klagt mir sein Leid über die Stadt Celle, die den Verein und vor allen Dingen das schöne Stadion nicht ausreichend wertschätzen und pflegen würde. Mit beinahe Scham erfüllter Stimme und entschuldigenden Gesten verlangt der gute Mann für dieses Rundum-sorglos-Paket 5 € und ist dann hochgradig erfreut darüber, dass ich betone, dass mir alleine ein Blick in das Stadion das Geld Wert gewesen wäre. Das soll ich mal den alten Celler Männern sagen, sagt er – und bereits der erste Blick in das Stadionheft verrät, dass der Eintrittspreis offenbar ein Dauerbrennerthema beim TuS ist. „In der Hinserie haben wir es geschafft einen Schnitt von über 200 Zuschauern zu erzielen und das obwohl so mancher mit unseren Eintrittspreisen nicht ganz zufrieden war“ (vgl. Stadionzeitung Anstoss, Ausgabe 9 2018/19, S. 4) und „die gute Seele unseres Kassenhäuschens (…) scheut sich auch nicht davor, die aufgebrachten Gemühter [sic!] zu beruhigen, wenn sich mal wieder über unsere Eintrittspreise aufgeregt wird“ (vgl. ebd., S. 8). Die gute Seele namens Nicole hat heute übrigens Geburtstag, weswegen ihr von ihrem Ehemann Bernd die Seite 8 des Stadionheftes gewidmet worden ist. Happy Birthday – solche Leute braucht der Fußball!

Heute wird in der Kreisliga Celle mit dem 16. Spieltag die Rückrunde eröffnet. In diesem tabellarischen Nachbarschaftsduell trifft der 7. auf den 5. und ich mache es mir auf einer wunderbaren Holzbank hinter den „alten Celler Männern“ bequem und werde fortan beste Unterhaltung geboten bekommen. „Tieftraurig“ ist einer der drei angesichts der wenigen Zuschauer im weiten Rund, was man in dieser Form hier angeblich „so noch nicht erlebt“ hätte. Im bisherigen Saisonverlauf waren bislang immer zwischen 150 und 290 Zuschauer erschienen und auch Wikipedia weiß über die imposante Kreisliga-Fanszene der Celler nahezu erschreckendes zu berichten. „Im Dezember 2016 sorgten kriminelle Fans mit dem Einsatz von Pyrotechnik beim Spiel gegen den TSV Elstorf für Spielunterbrechungen und den Spielabbruch sowie einen Einsatz von knapp 30 Polizisten aus dem Landkreis Harburg und aus Buxtehude.“

„95 Zuschauer, davon 15 Dauerkarten und 80 an der Tageskasse“, wird Bernd gut anderthalb Jahre später auf Nachfrage den absoluten Saisonminusrekord vom 25.11.18 bestätigen.

Wilfried, Uwe und Günter wären aber nicht die „alten Celler Männer“, würden sie nicht augenblicklich den Schalter umlegen und in den Galgenhumor-Modus wechseln können. „Der Verein hat umgehend reagiert und bereits ein paar Würste vom Grill genommen“, weiß man das Trauerspiel humorig zusammenzufassen und ich atme erleichtert auf, dass ich mir nur kurz zuvor offensichtlich eines der letzten Exemplare und ein „Wittinger Pils“ für weitere 5,5 Kreisliga-Euro sichern konnte.

Der Schiedsrichter sieht so aus, wie er heißt. Wilfried Plumhof, wenig Haare, viel Bauch. Die Mannschaften führt er souverän auf das Feld, die Atmosphäre bleibt unterkühlt, auch weil der Stadionsprecher und Animateur heute leider erkrankt ausfällt, wie mir Bernd erzählt hatte. Die Celler haben gerade so 11 Mann zusammenbekommen. Offenbar fallen einige Spieler verletzt aus, andere haben sich angeblich zurückgezogen, sodass die Auswechselbank heute leer bleiben muss. Mehr Kreisliga geht nicht.

Im Hintergrund hört man jedoch Musik und Stimmengewirr – die klassenhöhere Eintracht aus Celle empfängt zeitgleich den TB aus Lüneburg vor 150 Zuschauern auf dem benachbarten Kunstrasenplatz. Bitter. Immerhin sitzen wir hier nicht irgendwo auf einer Wiese herum, sondern befinden uns im „Günther-Volker-Stadion“, welches einst 11.000 Zuschauern Platz bot und nun aufgrund schwachsinniger Regularien nur noch für 4.000 Zuschauer geöffnet werden dürfte. Auf allen vier Seiten ist es ausgebaut, verfügt über wild bewachsene Stehstufen hinter beiden Toren, über überdachte Stehränge auf der Gegengeraden und einer Haupttribüne aus den 1990’er Jahren mit 4.000 Sitzplätzen. 1992 wurde die Flutlichtanlage errichtet und in Betrieb genommen, 1996 kam eine elektronische Anzeigetafel hinzu. Zu dieser Zeit war man sechs Spielzeiten lang Mitglied der drittklassigen Regionalliga Nord, empfing Vereine wie Hannover 96, Eintracht Braunschweig, VfB Lübeck und den VfL Osnabrück. 95/96 beendete man die Saison als Tabellendritter und verpasste den Aufstieg in die 2. Bundesliga nur denkbar knapp. Der Zuschauerrekord wurde am 25.10.1996 im Spiel gegen Hannover 96 aufgestellt – etwas über 11.000 waren in das „Günther-Volker-Stadion“ gepilgert. Außerdem hält man den bundesweiten Landesligarekord, als 2003 2.800 Zuschauer zum Derby gegen Eintracht Celle gekommen waren. Ein Verein, der Geschichten geschrieben hat und ein Stadion, welches diese noch heute erzählt.
Weniger Kreisliga geht nicht.

Nach 20 Sekunden vergibt Andreas Gerdes-Wurpts („AGW“) in Diensten des TuS Celle die erste gute Gelegenheit. Er ist der einzige Akteur auf dem Rasen, den man kennen sollte, schließlich spielte er in seiner Karriere bereits bei mehreren niedersächsischen Clubs in der Regionalliga (Emden, Meppen, Cloppenburg, Rehden) und ich selbst durfte ihm am 18.08.2007 bei seinem Karrierehighlight live beim Spielen zusehen. Unvergessen, das „Kickers-Stadion“!

Nach drei Minuten können die Gäste aus Eversen/Sülze ihren ersten Angriff zum 0:1 verwerten. Nur vier Minuten später bahnt sich ein Debakel an, als Thurmann nach einem Pass in den Rücken der Abwehr locker zum 0:2 verwandeln kann. Wilfried hat eh sein Sitzkissen vergessen und schlägt seinen beiden Freunden vor, „einfach wieder nache Bierbude“ zu gehen, aber Uwe hat noch etwas besseres in Petto. Wieder einmal hat ihn kein Ordner kontrolliert, sodass er Wilfried und Günter eine Runde „Grüne“ spendieren kann, offenbar ein Kräuter mit schlappen 56 Umdrehungen. Eigentlich wollte er heute eh nicht kommen, aber dann hätte man sich bis März ja gar nicht mehr gesehen. Recht hat er. Ohne Fußball ist alles sinnlos, sogar soziale Kontakte. Wohl bekomm’s, Männer!

Im Anschluss findet Celle endlich Zugang zu diesem Spiel und macht sich auf, die furchtbare Anfangsviertelstunde vergessen zu machen. „AGW“, mit immerhin 66 Regionalliga- und 38 Oberligatreffern in der Vita, lässt nach 30 Minuten aber auch seine zweite Großchance liegen. Nebenan feiert die Eintracht ihren Führungstreffer und übertönt die Friedhofsatmophäre unseres Stadions mit einem Torjingle, wie er im Torjinglebuche steht. Auffällig bleibt hier bei uns vor allen Dingen der schnöselige Vierer, Sabah Hakrash, der mit Popstarfrisur und Cristiano-Ronaldo-Attitüden nicht nur mich, sondern auch seine Mitspieler zur Weißglut bringt. Als er verletzt am Boden liegt, mag sich jedenfalls niemand um ihn kümmern und Mitspieler Speckmann schlägt demonstrativ die Hände vor dem Kopf zusammen, als Hakrash eine weitere gute Gelegenheit für die Heimelf versiebt. Teamspirit sieht anders aus, den dafür heute eher Wilfried, Uwe und Günter demonstrieren. Kurz nachdem die Gäste mit einem Heber nur knapp am 0:3 vorbeigerauscht sind, kündigt Wilfried an, dass er das Stadion zur Pause verlassen wird. Schnell können ihn seine Freunde von diesem Vorhaben abhalten: „Musst ja nicht gleich nach Hause, wir können doch noch was schlabbern!“

In der Pause finde auch ich noch etwas zu schlabbern. Leider verpasse ich wegen meiner Fotosafari hinter der Tribüne (die Terrakottafliesenpissrinne wäre jetzt im Posterformat erhältlich!) den Anschlusstreffer durch „AGW“, der nur kurz nach Wiederanpfiff zum 1:2 verkürzen kann. Offenbar hat die Halbzeitansprache von Chefcoach Knauer und dem spielenden Assistenten Speckmann gesessen – die gelb-blauen hauen sich nun richtig rein. „AGW“ vergibt Chance Nummer Drei, Ronaldo verdaddelt auch noch mal einen und nach 60 Minuten scheitert Iwastschenko aus spitzem Winkel. Dem Gast tun sich nun immer mehr Konterräume auf, die er zwar zunächst überhaupt nicht zu bespielen weiß, dann aber aus heiterem Himmel doch nutzen kann. Nach einem langen Ball hinter die aufgerückte Abwehrkette kann Stahlmann seinen zweiten Treffer des Tages erzielen. Torwart Reiche darf sich diesen Gegentreffer ein wenig mit ankreiden, war er doch dem Schützen zunächst ein wenig entgegengelaufen und dann wieder zurückgewichen. „Nichts Halbes und nichts Ganzes“, sagt Günter, gefolgt von einem „Frohe Weihnachten, Guten Rutsch und Tschüss, Männer!“.

Obwohl es mittlerweile doch schon sehr schummerig geworden ist, wird das Flutlicht im „Günther-Volker-Stadion“ heute leider nicht mehr angeschaltet. Im Halbdunkel erzielt Patzelt das 1:4 und einer seiner Mitspieler scheitert kurz vor dem Ende der Partie per Außenrist am Pfosten. Meine bereits vor Anpfiff fertig gestellte Schlagzeile „Celle in Torlaune, Sülze in Aspik“ werde ich in der Berichterstattung leider nicht verwenden können.

Ich erhalte meine Dose „Faxe Kondi“ zurück, welche mir ein Ordner vor dem Stadion abgenommen und netterweise unter seinem PKW für mich versteckt gehalten hat. Auf dem Rückweg zum Bahnhof kehre ich in das griechische Bistro „Akropolis“ ein, welches in etwa so griechisch ist, wie ich. Irgendein sehr freundlicher Türke/Armenier/Bulgare überbackt mir irgendetwas Bifteki ähnliches in Sahnesoße und schickt mich mehr als satt auf die Heimreise. Für diese würde ich mich gerne noch mit einer Flasche lokalen Gerstensafts eindecken, doch leider kann man weder das „Celler Bier“, noch das „Wittinger“ aus dem Stadion irgendwo käuflich erwerben und so tappe ich in die Falle, mir in Uelzen in der dort vorhandenen Bahnhofsgastronomie ein „Störtebeker“ für 4,30 € zu bestellen. Gar nicht mal so „Lässig“ – genauso wenig wie das angrenzende Café samt Backstube mit selbigem Namen, dessen Angestellte nicht verkaufte Backwaren lieber vor den Augen des darum bittenden Obdachlosen in den Müll schmeißen, anstatt diese zu verschenken. Um 19.58 Uhr, und somit zwei Minuten vor Ladenschluss des „DB Service Store“, scheitert die letzte Hoffnung auf ein gutes und regionales Getränk bis Berlin und unnötigerweise wandern zwei Dosen „Holsten“ in meinen Warenkorb.

Warum spielen Rehden, Drochtersen/Assel, Egestorf/Langreder und Jeddeloh II eigentlich in der Regionalliga Nord, während Celle samt dieser Stadionperle in der Kreisliga verschimmelt? Und warum muss ich „Holsten“ saufen, obwohl hier eigentlich echtes Bier gebraut wird? Die Welt ist ungerecht – und meine Liste mit Stadien, die ich unbedingt einmal gesehen haben muss, wieder um eines ärmer! /hvg

18.11.2018 SG Motor Gohlis-Nord – SV Panitzsch-Borsdorf 1920 1:4 (1:2) / Stadion des Friedens / 36 Zs.

Am nächsten Morgen ist man in der „Pension Sachsenallee“ deutlich besser auf FUDU zu sprechen als am Vortag. Der Gastgeber zeigt sich heute in dem 90er-Jahre-Ambiente des Obergeschosses jedenfalls stark formverbessert und begrüßt die ausgeschlafenen FUDU-Schweine in der Gemeinschaftsküche. Voll der wiederentdeckten Gastfreundschaft weist er uns herzlichst auf die Möglichkeit hin, uns am Kaffeebuffet bedienen zu können. Mit Blick auf die Flutlichtmasten der „Fischerwiese“ ist dies getrost als gelungener Start in den zweiten Tag unseres „Beinahetschechien-Urlaubs“ zu bezeichnen. Nachdem gestern der erste osteuropäische Ground in Chemnitz „weggescheppert“ wurde, steht heute mit dem „Stadion des Friedens“ in Leipzig Gohlis-Nord bereits die nächste Stadionperle auf dem Programm. Musikalisch hat uns der „Hoollege“ und Musikexperte bereits gestern Abend auf die nächste wilde Fahrt im Ostblocksimulator eingeschworen. „Steig ei, mir fahrn in de Tschechei!“ wurde bis zum Erbrechen gespielt, also überschlagsgerechnet genau ein Mal, dennoch hat der Song seine Wirkung offensichtlich nicht verfehlt. Heute sitzen zumindest gleich mehrere tschechische Wanderarbeiter am Nebentisch und lassen sich ihr Sonntagsfrühstück munden, bevor es morgen bestimmt wieder auf Montage gehen wird. Mit einem freundlichen „Ahoj“ begrüßt mein polyglotter Mitreisender unsere Nachbarn und erntet gleichermaßen freudestrahlende wie waldschrätige Gesichter. Fetti und seine Freunde haben sich lange genug die Taschen vollgelogen und sind nun felsenfest davon überzeugt, endgültig in der ‚Tschechei‘ angekommen zu sein. Autosuggestion erfolgreich abgeschlossen…

… aber auch nur so lange, bis wir im Rahmen unseres Chemnitzer Stadtbummels das böhmisch-mährische Restaurant „Wenzel – Prager Bierstuben“ passiert haben. Hier geht man mit genau zwei großen Aufstellern vor den „Rathaus Passagen“ auf Kundenfang. Auf einem wirbt man allen Ernstes für „Craft Bier“, während der andere ein Speisenangebot „für Vegetarier“ feilbietet. FUDU ist in Windeseile wieder eingenordet. DAS kann nicht Tschechien sein!

[Karl Ranseier ist tot. Der wohl erfolgloseste Geschäftsmann aller Zeiten, Erfinder des tierlosen Zoos und diverser unterirdischer Aussichtstürme, ist gestern bei dem Versuch, einem Tschechen Bier mit Obstgeschmack und einen veganen Schweinebraten zur Verköstigung anzubieten, von einem Kartoffelkloß, der sich in einer geballten Faust befand, erschlagen worden.]

Nachdem wir im Anschluss noch einen kurzen Blick auf das Karl-Marx-Monument samt Baustellenromantik, die Stadthalle, das Alte und das Neue Rathaus, den Roten Turm und das Opernhaus mit angrenzender Petrikirche geworfen haben, ist es auch bereits wieder an der Zeit, Chemnitz zu verlassen. Leider ohne Frühstück, da das Verhältnis geöffneter Bäckereien mit belegten Backwaren gegenüber Spielotheken ungünstigerweise ca. 0:88 beträgt.

Mit einer Pulle „Sachsengold“ kann man sich auf der 58 minütigen Bahnfahrt gerade so über dieses Missverhältnis hinweg trösten, ehe die bunte Warenvielfalt am Leipziger Hauptbahnhof restlos zu überzeugen weiß. Mit einem herzhaften Mettbrötchen besänftigt man den knurrenden Magen. Hoffentlich sind die beiden anderen „Hackepeter Boys“ gestern auch gut nach Hause gekommen…

Die Straßenbahnlinie 12 ist nach nur 16 Minuten Fahrzeit im Stadtteil Gohlis(-Nord) angekommen und auch die letzten 634 Meter bis zum Stadion sind schnell zurückgelegt. Hier beziehen wir Position auf dem Parkplatz und warten auf die Ankunft der FUDU-Außenstelle Leipzig, die heute ihren besten Mann ins Feld schicken wird. Gut, dass wir gleich zu dritt sein werden – der angedachte Wechselgesang Mo-Go-No über drei Tribünen, mit jeweils lang gezogenem sächsischen Ö, der wird sicher schwer laut!

Einige Minuten später brettert ein betagter Franzosenbolide an uns vorbei. Unbekannter Fahrer, GLA-Kennzeichen und ein hilflos aussehendes FUDU-Mitglied auf der Beifahrerseite. Wohlwissend über dessen Fähigkeiten in fernöstlicher Kampfkunst, geraten wir aber nur kurz in Sorge, hier Augenzeuge eines Geiseldramas geworden zu sein. Und wahrlich dauert es nicht mehr all zu lange, bis das Gefährt zurückkehrt und der Fahrer des Kraftfahrzeugs unseren Compañero in die Freiheit entlässt.

Bereits wenige Meter vor dem Eingangsportals des Stadions zeigt sich, dass man sich hier auf Hopper aus aller Herren (Bundes-)länder eingestellt hat. Für das Spiel in der Leipziger Stadtliga (entspricht auf Landesebene der Kreisoberliga, demnach der siebent höchsten Spielklasse) wird jedenfalls ein Eintrittsgeld fällig, für welches man aber eine wunderschöne Eintrittskarte im Posterformat und eine herzliche Begrüßung erhält. Wir werden später 36 Zuschauer zählen, darunter acht Gästefans und drei weitere Hopper, die fotografierend ihre Runden drehen. Der freundliche Herr, der uns zunächst die Eintrittskarten verkauft, wird später auch als Ordner und Inhaber der Stadiongaststätte in Erscheinung treten.

Bevor wir uns der imposanten Spielstätte etwas näher zuwenden, zieht es uns zunächst einmal in das „Sportcasino“. Dort decken wir uns mit einem Stadionbier ein, bewundern alte Fotos und Devotionalien des Leipziger Fußballvereins und erfreuen uns anderer Fußballsammelschmuckstücke. Besonders angetan hat es uns ein handgeknüpfter Teppich mit dem Logo des FC Bayern München darauf und schon jetzt nehmen wir es uns fest vor, in der Halbzeitpause das Speisenangebot auszutesten. Mein Blick ist auf den „überbackenen Käse auf Toast“ gefallen und ich freue mich diebisch über die semantisch spitzfindige Frage FUDUs, womit genau der Käse hier wohl überbacken wird.

Als wir das „Sportcasino“, oder die „MoGoNo-Baracken“, wie wir das urige Bauwerk getauft haben, verlassen, stehen beide Mannschaften bereits zum Einlauf auf das Feld bereit. Dieser nötigt beide Mannschaften zur ersten nicht ganz unerheblichen Laufleistung des Tages, immerhin gilt es einen Weg über die alten Kurven und die neue Tartanbahn zurückzulegen. Die Auswechselspieler Motors kuscheln sich kurz darauf unter einer Bayern-München-Fleecedecke zusammen, der Kassierer trägt nun eine Ordnerweste und hat sich in einem Anglerstuhl neben uns niedergelassen. Heute trifft die SG Motor Gohlis-Nord am 13. Spieltag auf den SV Panitzsch-Borsdorf. Die Gäste rangieren aktuell auf Rang 5 der Tabelle mit 10 Punkten Rückstand auf den Spitzenreiter des SV Tapfer 06 Leipzig, während die Heimmannschaft erst 9 Punkte auf der Habenseite hat und auf dem vorletzten Tabellenplatz positioniert ist. Jetzt nur nicht Panitzsch werden, sagt der Kroate. Jedes Spiel beginnt beim Stand von 0:0!

Das Spiel wird pünktlich um 14.00 Uhr angepfiffen. Die Gäste machen die ersten Minuten lang ordentlich Ballett und wenn man je davon sprechen konnte, dass sich nach acht gespielten Minuten eine Führung abgezeichnet hat, dann wohl in diesem Spiel. Die Nummer 10 bringt die blau-gelben aus Panitzsch, Ortsteil der Gemeinde Borsdorf im Landkreis Leipzig, früh in Front. Nach 15 Minuten kommt „MoGoNo“ durch einen Zufallstreffer zum Ausgleich. Eine Hereingabe von Marx wird derart unglücklich abgefälscht, dass Gästekeeper Roth chancenlos ist. Es folgt die beste Phase der Hausherren, die nun deutlich besser in das Spiel kommen, gefällig daran teil haben und munter mitspielen.

Der Blick schweift währenddessen durch das imposante Rund, welches 1923 eröffnet wurde und ursprünglich dem SC Wacker Leipzig eine Heimat bot. In den 1950er Jahren erlebte das „Stadion des Friedens“ seine Hochzeit, als es bis zu 50.000 Zuschauern Platz bot. Zu Ruhm und Ehren kam es dann vor allen Dingen in der Saison 1983/84, als der Rasen des Leipziger Zentralstadions durch das VII. Turn- und Sportfest derart ramponiert war, dass kurzzeitig keine Fußballspiele mehr darauf ausgetragen werden konnten. Anlass genug, um damals die Leipziger Oberliga-Derbys in das „Stadion des Friedens“ zu verlegen. Zu den Partien BSG Chemie gegen Lok strömten dann auch 30.000 bzw. 19.000 Zuschauer nach Gohlis. Heute sind die alten Funktionsgebäude, der Uhrenturm und auch die Stehränge noch immer erhalten, wenn auch krumm, schief und wild bewachsen. Dann klingelt plötzlich das Telefon des Kassierer-Ordners neben uns und reißt uns aus unseren kühnsten Träumen. „Nein, ich habe keine Glühweinkanne hier. Nein, ich habe heute auch leider keinen Baumkuchen da!“. Es sind bereits mehr als 30 Minuten gespielt und diesen potentiellen Stadionbesucher wird er mit diesen unbefriedigenden Auskünften wohl nicht überzeugt haben, sich heute noch auf den Weg in das „Stadion des Friedens“ zu begeben.

Die Gäste werden nun wieder dominanter und erarbeiten sich ein deutliches Chancenplus. In der 36. Minute endet ein abgefälschter Fernschuss noch in Zeitlupentempo am Pfosten, während Heimkeeper Struck bereits in der falschen Ecke liegt und dem Ball flehend hinterherschaut, doch in der 38. Minute ist die Führung der Gäste nicht mehr zu verhindern. „Der Zehner verwandelt das zweite Mal eiskalt“, steht in den Notizen geschrieben und nach nun erfolgter Recherche, passt auch der Name des 37-jährigen Akteurs zu diesem Stichpunkt: Matthias Winter heißt der Mann.

Nach 45 gespielten Minuten im eiskalten Winter sind auch die drei FUDU-Schweine halbgefroren und begeben sich in die schützende Obhut der „MoGoNo-Baracken“, in denen der Kassierer-Ordner nun hinter dem Tresen steht und die fröstelnden Gäste bedient. Nicht gerade ein Wetterfest!

Bei Bier, Mittagessen und einer Darts-Übertragung im TV machen wir es uns in der warmen Gaststube gemütlich. Der Kassierer-Ordner-Wirt weiht uns in seine Zukunftspläne ein. Ihm schwebt es vor, die Spiele aus dem „Stadion des Friedens“ zu filmen und live in seine Gaststätte zu übertragen. Der süffisante Kommentar „bald können sie draußen alleine durch die Kälte rammeln“, setzt dem nicht ganz so ernst gemeinten Vorhaben komödiantisch noch die Krone auf. Wir fühlen uns derart gut unterhalten (und aufgewärmt), dass wir die ersten 11 Minuten des zweiten Abschnitts verpassen werden.

Gemeinsam mit dem nun wieder Ordner kehren wir auf die Ränge zurück. Wir erleben eine Sturm-und-Drang-Phase der Hausherren, die sich anschicken, dem Favoriten ein Bein zu stellen. Der erste Angriff der Gäste endet jedoch mit einem taktischen Foulspiel im Mittelfeld und in einem handfesten Skandal: nach 55 Minuten erhält Sebastian Weißflog eine gelb-rote Karte, was Trainer Kienitz auf die Palme bringt. Er echauffiert sich lautstark und vertritt deutlich hörbar die Meinung, dass Weißflog im bisherigen Spielverlauf noch gar keine gelbe Karte erhalten hatte, doch der Schiedsrichter-Azubi zeigt keinerlei Einsicht und beharrt auf seiner Entscheidung. „Erst kümmere ich mich um die Fernsehbilder und wenn das irgendwann mal klappt, dann kaufe ich eine Isostar-Tonne, damit der Coach was zum Reintreten hat!“, weiß der Ordner auch diese Situation geschickt zusammenzufassen.

In der 80. Minute komplettiert Winter dank seines dritten (und letzten) Saisontores den Hattrick des Tages, ehe er vier Minuten später unter dem Jubel der acht mitgereisten Fans ausgewechselt wird. Der Anschlusstreffer bleibt „MoGoNo“ wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung unter schweren Protesten der Zuschauer und des Trainerteams versagt und in der Nachspielzeit schraubt Marcel Hoheisel (ausgerechnet Hoheisel!) das Ergebnis zu allem Überfluss auch noch auf 4:1 in die Höhe, indem er eine auf den zweiten Pfosten verlängerte Ecke über die Linie drücken kann. Das hat das tapfer kämpfende „MoGoNo“ in dieser Form nun auch nicht verdient…

Der Geiselnehmer aus Gladbeck sammelt uns kurz nach Abpfiff auf dem Parkplatz ein und befördert uns mit seinem Auto, welches nur von Klebeband und Spucke zusammengehalten wird, zurück zum Leipziger Hauptbahnhof, wo dank der Autofahrt noch genügend Zeit verbleibt, um vor der Rückfahrt nach Berlin landestypisch speisen zu gehen. Was könnte ein tschechisch-sächsisches Wochenende besser abrunden, als eine Einkehr in einem Asia Bistro?

Und während ich meine Ente in Erdnusssoße genieße, hat die durchaus attraktive junge Dame im eitergelben Mantel bereits das dritte Mal Blickkontakt aufgenommen und freundlich gelächelt. Kann man ja niemanden verübeln, sich in mich zu verlieben. Fast sogar ein bisschen schöner als tschechische Waldschräte in Arbeitskleidung am Nebentisch, denke ich mir, während ich mir so durch den Kopf gehen lasse, ob ich dieses Konzept des „einsamen Wolfes“ jemals wieder gegen etwas verbindliches eintauschen wollen würde. Als ich gerade vage zu einem „kann man ja mal probieren“ tendiere, so weit hat sie mich schon, fallen mir plötzlich die anderen vier Frauen an ihrem Tisch auf. Lauter Jute-Utas, Körner-Ullas, so Sozialpädagogikstudentinnen halt und mir wird schlagartig klar, dass man wohl auch immer einen Freundeskreis kennenlernen und mit diesem zurechtkommen müsste, wenn man sich auf jemanden einlassen würde. Und das ist sicherlich meistens problematisch, wegen der Menschen. Bleibe also vorerst Single.

Nur wenige Minuten später treffen wir auf dem Weg zu unserem Gleis einen gemeinsamen Bekannten, der aktuell auf Heimaturlaub in Sachsen weilt. Er rührt die Werbetrommel für das kommende Wochenende und fragt, ob man nicht gemeinsam mit einigen anderen Unionern nach Eilenburg fahren möchte, um die BSG Chemie auswärts zu sehen. Je nachdem. Entscheide ich spontan, muss ja niemanden um Erlaubnis bitten. Für die im Eitermantel würde ich zum Beispiel darauf verzichten, aber nicht, wenn ihre Freundinnen mit dabei wären.

Die Zugfahrt nach Berlin gerät dann zu einem mittelschweren Desaster. Seit sechs Jahren gaukel ich auf der Arbeitsstelle erfolgreich Seriosität vor. Nun sitze ich mit dem „Hoollegen“ auf dem Boden zwischen den überfüllten Abteilen des ICE und trinke irgendein Dosenbier, der Pullover vollgekleckert mit Asiasoße und ich wette, auf dem Handy liefen „De Randfichten“ dazu. Jedenfalls ein guter Moment, um Menschen zu treffen, die man aus dem Arbeitskontext kennt und mit denen man am Dienstag und am Freitag wieder zusammenarbeiten wird. Gelächter. 6 Jahre harte Arbeit, zunichte gemacht in 90 Minuten ICE-Fahrt. Leipzig-Berlin scheint eine beliebte Sonntagsstrecke meiner Kolleginnen zu sein. Unter diesen Gesichtspunkten sollte man das nächste Mal wohl lieber wieder woanders hinfahren: Steig ei, mir fahrn in de Tschechei! /hvg

17.11.2018 Chemnitzer FC U17 – 1.FC Union Berlin U17 1:1 (1:1) / Stadion im Sportforum Chemnitz / 75 Zs.

Chemnitz. Es gibt wohl keine Stadt in diesem Land, die aktuell über einen schlechteren Ruf verfügt. Seit ein Mann nach einem noch immer ungeklärten Konflikt auf einem Stadtfest erstochen worden ist, ist der Name der Stadt in aller Munde. Grund hierfür ist nicht diese schlimme Tat an sich, sondern die Reaktion der Chemnitzer Bevölkerung. Da drei Asylbewerber zunächst als tatverdächtig galten, krochen die rechten Maden aus ihren Löchern und instrumentalisierten die Tat für politische Aufmärsche. So zogen Woche für Woche mehrere Tausend Menschen durch die Stadt und verbreiteten rechte Parolen und Hass. Hetzjagden auf ausländisch aussehende Menschen wurden von den Initiatoren dieser Aufmärsche offenbar genauso in Kauf genommen wie Hitlergrüße, Parolen wie „Deitsch un‘ frei woll’n mer sei!“ und „Merkel muss weg!“ bestimmten die Bilder der Nachrichten und Chemnitz wurde zum Gesicht des Rechtsrucks in Deutschland.

Gestern bequemte sich nun Fr. Dr. Merkel nach Chemnitz und stellte sich in einem Bürgerdialog den Fragen und Ängsten der Bevölkerung. Sie wollte eben „nicht in die ganz aufgeheizte Stimmung“ kommen und in Chemnitz hat man nun Bedenken, dass das „polarisierende Gesicht“ Fr. Merkels die etwas beruhigte Lage in der Stadt nun wieder aufwühlen wird. Kontraproduktiv fanden den Besuch die einen, lobenswert die anderen, schreibt die „Zeit“ weiter – und bei FUDU macht man sich am Samstag auf den Weg, um sich ein Bild von der aktuellen Lage zu machen, während man in Chemnitz erneut aufstöhnt. Erst die „Ferkel“, dann die FUDU-Schweine. Karl Marx echt nicht mehr mit ansehen…

Als wir in Leipzig in die Regionalbahn in Richtung Chemnitz umsteigen, verfallen wir kurz Sorge, dass wir nicht nur in einer Stadt voller Ewiggestriger ankommen werden, sondern versehentlich tatsächlich eine Zeitreise gebucht haben. Oder wie soll man sich sonst die „Reichsbahnausbesserungswerk Halberstadt 1987“-Plakette erklären, die man hier stolz an der Eingangstür des Zuges präsentiert? Das Fortbewegungsmittel passt mit seinen manuell bedienbaren Türen und dem alten Plumpsklo jedenfalls bestens in unseren heutigen Ausflug, der neben der politischen Mission natürlich auch den Besuch einer Sportveranstaltung beinhalten wird. Es ist wieder einmal Länderspielpause und so haben sich Fetti und seine Freunde heute vorgenommen, die in Odense begonnene Nachwuchsförderung fortzusetzen und die B-Jugend des 1.FC Union in das „Stadion im Sportforum“ zu begleiten. Warum also immer nach Tschechien reisen, wenn man auch hierzulande tschechische Züge und Stadien geboten bekommt?

Der „Hoollege“ ist sich jedoch ein wenig zu fein für das Plumpsklo und zieht das geräumige Ambiente des Behinderten-WC vor, welches man hier irgendwann einmal im Laufe der letzten 30 Jahre nachgerüstet haben muss. Ich hatte noch kurz zuvor von einem Besuch dieses barrierefreien Urinierparadieses, wie es „Sanifair“ womöglich euphemistisch umschreiben würde, abgesehen. Man muss ja auch zu seinen Schwächen stehen können und so gebe ich an dieser Stelle unverhohlen zu: Ich bin einfach zu bescheuert, den Verriegelungsmechanismus dieses Aborts zu begreifen und habe bereits etliche unangenehme Situationen auf Auswärtsfahrten hinter mir. Grund genug für den „Hoollegen“, sich nun über mich und meine Unbeholfenheit zu amüsieren und weltmännisch geschickt zu verkünden, dass es ja nun ein Leichtes sei, die drei-vierhundert blinkenden Knöpfe in der richtigen Reihenfolge fachmännisch zu bedienen. Sprach er und verschwand auf der Toilette, dessen Zaubertür sich kurz darauf verschließt, die Farbe der Leuchtdioden des Druckknopfes aber eben nicht von grün auf rot wechseln. Ich ringe mit mir, wie hoch der Grad der Bloßstellung wohl sein darf, aber angesichts dessen, dass wir uns erst auf der Hinfahrt befinden, entscheide ich mich, meinen Triumph erst auszukosten, als ich den „Hoollegen“ akustisch am Wasserhahn vernehme und öffne dann die Tür. Tja, da kiekste, wa?!?

Vielleicht ist hiermit aber auch der Beweis erbracht, dass es eben doch schlicht und ergreifend unmöglich ist, dieses Schließsystem als nicht-behinderter Mensch auszulösen. Drum merke: Sollte Dich irgendwann einmal wieder jemand politisch inkorrekt fragen, ob Du behindert bist, so antworte: Nee, ick krieg die Tür nich zu!

Noch voll der Wut über die schier allmächtige Behindertenlobby haben wir kurz darauf dank eines schlauen Telefons herausgefunden, dass es sinnvoll sein könnte, die Bahn nicht am Hauptbahnhof zu verlassen, sondern bis Chemnitz-Süd zu fahren. Es ist bereits kurz nach 11.30 Uhr und der Umweg über die Pension zwecks Check-In und Abgabe des Reisegepäcks erscheint plötzlich unattraktiv. Zugegeben, wir hatten im Voraus die Möglichkeit eines früheren Check-Ins erfragt, doch wähnen uns nun dank der gewählten Formulierung „Sehr geehrte Damen und Herren, wir wissen noch nicht genau, wann wir Chemnitz erreichen werden. Sollten wir eher in der Stadt sein, womöglich gar gegen Mittag, wäre ein früherer Check-In als 16.00 Uhr denkbar?“ auf der absolut sicheren Seite. Darüber hinaus blieb die Mail seitens des Gastgebers unbeantwortet und nun ja, Reisepläne ändern sich nun einmal mitunter spontan.

Also verlassen wir die Bahn am Südbahnhof ohne jedwedes schlechtes Gewissen und begeben uns zu Fuß auf den Weg ins Sportforum. Hierfür sind knapp drei Kilometer zurückzulegen, die Sonne scheint und die Gegend darf getrost ‚charmant‘ genannt werden. Rund um die Gebäude der „Technischen Universität“ mit Campus Bibliothek, Studentenwerk und Tischlerei ist jedenfalls rein gar nichts von Hass, menschenverachtenden Haltungen und „ProChemnitz“-Meinungsmüll im Stadtbild zu spüren. Sobald man den „Städtischen Friedhof“ erreicht hat, ragen auch bereits die osteuropäischen Flutlichtmasten des Stadions in den Himmel empor.

Das wunderschöne Marathontor ist bereits in grünen Netzstoff gehüllt, wohl der erste Vorbote der kommenden Bauarbeiten, von denen wir just in diesem Moment noch nichts ahnen können. Wer sich jedoch heute (April 2020) ein Bild von dem Stadion machen mag, muss sich wohl oder übel mit der traurigen Gewissheit auseinandersetzen, dass mittlerweile die Flutlichtmasten der Vergangenheit angehören und auch die Südtribüne rund um das Marathontor weggebaggert worden ist. Dramatisch, traurig, schade.

Wir kommen also gerade noch rechtzeitig, auch, um den ersten genau so erwarteten Chemnitzer Gesprächsfetzen mitzubekommen. Der einzige Ordner am Einlass des Stadions spricht mit einem besorgten Bürger, Phänotyp Wendeverlierer: „Immerhin haben wir es schon geschaft das die den Vorsitz abgegeben hat!!1!“, prochemnitzt die Neonweste vor sich her und sein Gegenüber nickt „Nu“-stimmend. Kurz darauf haben wir jeweils 5 € Eintritt für die Partie der Bundesliga B-Jugend Nord/Nordost entrichtet, während sich der Wendeverlierer diesen Obolus überraschenderweise nicht leisten will. Hat bestimmt wieder irgendein Flüchtling das „Stier Bier“ teurer gemacht.

Es ist heute der 13. Spieltag und somit der letzte der Hinrunde angesetzt. Die unter 17-jährigen des 1.FC Union rangieren auf einem Platz im Mittelfeld und haben bereits einige Punkte Abstand zur gefährdeten Zone, sodass das Erreichen des Saisonziels aktuell nicht gefährdet wäre. Der CFC befindet sich auf Rang 12 von 14 und muss die Stirn schon etwas tiefer in Sorgenfalten legen.

Mit Riecke, Veith, Reinhardt und Asllani befinden sich in Reihen des 1.FC Union Berlin immerhin vier Spieler, die auch im „Baltic Sea Cup“ in Odense die Knochen für Berlin-Coepenick hingehalten haben. 75 Zuschauer, darunter André Hofschneider, haben sich auf der alten Haupttribüne mit seinen Holzbänken niedergelassen. Der Blick auf das Marathontor ist schön, die Flutlichtmasten sind in etwa so imposant wie erhofft und die Natur hat sich die mächtigen Kurven und die Gegengerade erobert. Wildwuchs, der davon zeugt, dass dieses Stadion schon lange keine Zuschauermassen mehr gesehen hat. Das Fassungsvermögen wird derzeit mit 18.500 angegeben. Als „Großkampfbahn“ wurde die Spielstätte 1938 mit einem Länderspiel zwischen Deutschland und Polen eröffnet – 60.000 Zuschauer strömten damals in die Anlage. In der DDR wurde im „Ernst Thälmann Stadion“ zu Chemnitz dann nur gelegentlich Fußball gespielt und in erster Linie durch die Leichtathleten des SC Karl-Marx-Stadt genutzt, doch bisweilen feierten auch der FCK und 9x die Nationalmannschaft der DDR hier ihre Fußballfeste: 45.000 Zuschauer sahen 1967 die Partie der Karl-Marx-Städter gegen den 1.FC Lokomotive Leipzig und auch internationale Spiele gegen Anderlecht, Boavista Porto, Sion, Borussia Dortmund und Juventus wurden an Ort und Stelle vor jeweils mehr als 24.000 Zuschauern ausgetragen. Dann auch teilweise unter Flutlicht, welches den „Himmelblauen“ seit 1968 den Weg leuchtete. In der Nachwendezeit kehrte der Chemnitzer FC der „Fischerwiese“, also dem „Stadion an der Gellertstraße“ für einige Jahre den Rücken und gastierte dauerhaft im „Stadion im Sportforum“, ehe man 1995 in das reine Fußballstadion zurückkehrte.

Ein geplanter Abriss des Stadions mit einhergehendem Neubau einer Multifunktionsarena mit 50.000 Zuschauerplätzen (!!!) wurde 2002 im Rahmen einer Bewerbung für die Austragung der Leichtathletikeuropameisterschaften angedacht und scheiterte überraschenderweise krachend. Besonders bitter, dass die nun im Gange befindlichen „Umbauarbeiten“ vom Stadion nicht mehr all zu viel übrig lassen werden. Es entsteht eine „moderne Leichtathletik-Arena mit 5.000 Zuschauerplätzen“. Kotz. Würg. Schrei. Danke, Merkel!

All das hätte ich in meiner Kabinenansprache übrigens den Jugendlichen mit auf den Weg gegeben. Geht raus, saugt die Nostalgie ein, seht vor eurem geistigen Auge Länderspiele in schwarz-weiß, seht Flutlichtabende im Europapokal, riecht den Fußball und macht Euch bewusst, dass all das hier bald nicht mehr möglich sein wird! Sie hätten mir vermutlich nicht zugehört.

Nach 22 Minuten verzeichnet der Chemnitzer FC bereits seinen dritten guten Torabschluss. Während die beiden ersten Versuche noch ohne Erfolg verpufft waren, landet Jonas Dittrichs Schuss zur verdienten Führung in den Maschen Unions. Nur fünf Minuten später kann Lucas Haase nach einer Freistoßflanke aus dem Halbfeld aber per Kopf zum 1:1 ausgleichen. Fazit der ersten Halbzeit: Union hat wesentlich mehr Ballbesitz, ist im Spielaufbau aber zu fehlerhaft und weist in den entscheidenden Momenten zu viel Streuung auf, während Chemnitz auf genau diese Fehler lauert und gute Ansätze im Umschaltspiel zeigt.

In der Halbzeitpause verlassen in etwa 72 Zuschauer die Haupttribüne, um auf dem nahe gelegenen Parkplatz Speis und Trank aus den Kofferräumen der mitgeführten Automobile zu befördern. Hofschneider und die beiden Gästefans sind hier in Ermangelung eines offiziellen Versorgungsangebotes Neese und aufmerksame Leser möchten nun vielleicht die im dritten Absatz gestellte Frage beantworten: Na, weil man da Bierchen und Klobása für 2,50 kriegt!

In der zweiten Hälfte beziehen mutmaßlich zwei Großeltern eines Chemnitzer Spielers vor uns Position und sprechen in einem derart heftigen Dialekt miteinander, dass wir nur Bahnhof verstehen. „Für mich sind das alles Böhmische Dörfer“, wie meine Oma zu sagen pflegen würde, was uns unserem tschechischen Fußballerlebnis nun doch wieder ein deutliches Stück näher bringt. Rein sportlich überzeugt das Spiel derweil mit einer hohen Intensität, viel körperlichem Einsatz und einem ansehnlichen Auf und Ab auf dem Rasen. Zehn Minuten nach Wiederanpfiff lässt Asllani die letzte gute potentielle Gelegenheit für Union liegen, als ihm eine Brustannahme im Sechzehner misslingt. In der 56. Minute verlässt der kleine und schmächtige Ünal Durmushan den Platz, der sich mit seinen gerade einmal 15 Jahren gegen die etwas robuster wirkenden Gegenspieler doch achtbar aus der Affäre ziehen konnte. Auch in Folge des Wechsels wird Union Oberwasser behalten, aber zu keiner klaren Torchance mehr kommen, weil sich die Chemnitzer gut organisieren, gut kommunizieren und sich wirklich zerreißen. Sinnbildlich hierfür muss Wadewitz in der 67. Minute nach einem doppelten Krampf das Feld verlassen und auch wenn man am Ende nur noch einen einzigen Entlastungsangriff auf der Habenseite verzeichnen kann, darf das Remis nach 80 Minuten getrost als ‚verdient‘ betrachtet werden.

Gegen 16.00 Uhr sind wir in der Pension angekommen. Das schöne alte Haus sieht zunächst einmal einladend aus, der Empfang des Gastgebers ist dann allerdings alles andere als herzlich. „Sie sind zu spät!“, wird uns aus einem kleinen Flur auf tiefstem sächsisch entgegen geblökt, während wir im zugigen Treppenhaus stehen und uns dafür rechtfertigen müssen, dass wir es nun doch nicht zur Mittagszeit nach Chemnitz geschafft haben. Das ist natürlich auch eine alternative Art der Begrüßung – die Stadtväter wären sicherlich ganz stolz angesichts dieser Willkommengeste. In Zeiten wie diesen ist es natürlich besonders wichtig, die Stadt wieder in ein rechtes gutes Licht zu rücken und den Gästen zu vermitteln, dass Chemnitz ein freundlicher und weltoffener Ort ist. Die nächste Hürde gilt es dann bei der Bezahlung zu überspringen, denn selbstredend kann man im Jahre 2018 in diesem Hause nicht mit Kreditkarte zahlen, was nicht etwa begründet, sondern lediglich abfällig kommentiert wird: „Steht alles im Internet, aber die Leute können ja scheinbar nicht lesen!“.

Zum Glück benötigt der weißköpfige Kotzbrocken dann nicht all zu viel Zeit, uns in unser Zimmer zu geleiten und uns die Hausregeln zu erklären. Die Aussicht auf die Flutlichtmasten des Stadions an der Gellertstraße ist zwar recht angenehm, doch so langsam drückt der Schuh ein wenig, da wir noch einen Anschlusstermin haben. Wie durch ein Wunder stellt sich heraus, dass die Buslinie 21 im 90-Minuten-Takt direkt vor der Haustür des Hotels abfährt und in nur wenigen Augenblicken die knappe halbe Stunde Fahrtzeit bis zur Eissporthalle im Küchwald zurücklegen wird. Dieses Chemnitz ist gar nicht so klein, wie man denkt.

Um kurz vor 17.00 Uhr haben wir die Wittgensdorfer Straße erreicht und befinden uns somit bereits in Sichtweite zum Chemnitzer Eissportzentrum. Für 6 € Eintritt darf man die Eishalle von 1958 betreten, die 3.850 Zuschauer fasst und durchaus auch höherklassiges Eishockey beheimaten könnte. Heute gastiert in der viertklassigen Regionalliga Ost der „Freie Akademische Sportbund Siegmundshof“ aus Berlin-Wedding bei den Chemnitz Crashers. Die Weddinger werden von zwei treuen Schlachtenbummlern der „Hackepeter Boys“ begleitet (empfehlenswertes Stammlokal der Gruppe: „Der Magendoktor“!) und darüber hinaus haben sich immerhin weitere 489 Zuschauer auf den blauen und gelben Sitzschalen niedergelassen. Wir haben gerade das erste Mal an unserem ersten Becher „Braustolz“ genippt, schon haben wir zwei schnelle Tore des Favoriten aus Berlin erleben dürfen. Nach 2:55 Minuten haben Julian van Lijden (dunkelhäutiger Niederländer, geboren in Bogotá – das ist der Stoff, aus dem Eishockeyspielerbiographien sind) und Marvin Miethke F.A.S.S. mit 2:0 in Führung gebracht. Bei den Crashers überragt der tschechische Importakteur Filip Kokoška alle anderen Spieler um Längen und so ist es ihm vorbehalten, zum 1:2 zu verkürzen. Im zweiten Drittel schickt sich Chemnitz an, das Spiel auszugleichen. Gästecoach Norbert Pascha (Namen sind Schall und Rauch) nimmt nach 23:43 eine Auszeit, Chemnitz trifft nur die Latte und F.A.S.S. erhöht nach 25:10 und 28:30 durch Krüger und Czajka auf 1:4. Als hätten diese beiden Tore nicht gereicht, um die taktische Maßnahme des Trainers ‚gelungen‘ nennen zu können, schraubt Jentzsch das Ergebnis nach 31:07 weiter in die Höhe. Der Mittelabschnitt bleibt ereignisreich: erst kann Chemnitz durch Stiegler auf 2:5 verkürzen, scheitert dann erneut an der Querlatte, ehe F.A.S.S. den Schlusspunkt setzt und sechs Sekunden vor der Sirene durch Merk weiter davon zieht. Im letzten Drittel gelingt den Crashers in einem wirklich kurzweiligen Eishockeyspiel durch Hofmann nur noch Ergebniskosmetik. Am Ende der Saison wird der erst 21-jährige Kokoška in 15 Saisonspielen 54 Scorerpunkte erzielt haben (28+26). Fetti scoutet jetzt nebenberuflich auch Eishockeytalente…

Nach dem Spiel laufen wir durch den „Küchwald“ und erkunden die nähere Umgebung. Wir haben es hier mit einem wirklich schönen Randbezirk zu tun, sehr grün und auch das eine oder andere Einfamilienhaus kann sich hier durchaus sehen lassen. Wir kehren letztlich in den „Abtei-Stuben“ ein und erhalten dort zunächst einen deutschen Gruß aus der Chemnitzer Küche auf Brot, der sich auf Nachfrage als „Speckfett“ herausstellt. Neben dieser sächsischen Spezialität kommen die FUDU-Schweine im Anschluss in den vorzüglichen Genuss von Wels und Schweinepökelzunge mit Waldpilzen, ehe man sich gut gesättigt zurück in die Pension begibt.

Tja, Chemnitz, was bleibt unter dem Strich haften? So schlimm, wie alle sagen, bist Du vielleicht gar nicht. Aber all Deinen Idioten kannst Du von FUDU gerne ausrichten: Frei woll’n mer sei – un‘ das nächste Mal dann vielleicht doch lieber wieder in Tschechien! /hvg

06.11.2018 Odense BK – 1.FC Union Berlin 3:1 (3:1) / Kunstgræsbanen i Ådalen / 57 Zs.

Wirklich schön, dass gleich mehrere gotteslästerliche FUDU-Schweine über Sozialkompetenzen verfügen und bereits früh am Morgen Bereitschaft zeigen, ihren Anteil an einem opulenten Frühstück im dänischen Ferienapartment zu leisten. So heißt es bereits gegen 9.00 Uhr: …und für Dich und für mich ist der Tisch gedeckt, lieber Fetti hab Dank, dass es uns gut schmeckt!

Neben Fettis Freunden leistet aber auch die ortsansässige Brauerei ihren Beitrag zu einem gelungenen Auftakt in den Dienstag. Das „Albani Rød“ stellt dank seiner süßlich-malzigen Note das perfekte Begleitgetränk zur ersten Mahlzeit des Tages dar. Leider muss die „Alarmstufe Rød“ jedoch recht bald wieder für beendet erklärt werden, da man im „Baltic Sea Cup“ bereits um 11.00 Uhr zum Anstoß bittet. Da fällt einem ja fast vor Schreck das Frühstücksbier aus der Hand. Das ist doch keine Zeit für ein Fußballspiel!

Die „Kunstgræsbanen i Ådalen“ hat zweifelsohne für eine schlaflose Nacht und den einen oder anderen feuchten Traum gesorgt. Nun hat die Wartezeit ein Ende und der Kunstrasenplatz der Jugendakademie Odenses kann endlich gekreuzt werden. Voller Vorfreude werden die Pferde gesattelt, die Rucksäcke geschultert und der noch immer passabel gefüllte Bierkasten gestemmt. „Farvel“, Herr Juhl, „Farvel“ Frau Bai. Wir sehen vielleicht aus wie Nomaden, die ihren Lebensmittelpunkt wieder einmal temporär verlagern wollen, aber genaugenommen wollen wir vor unserer Rückfahrt nach Berlin nur noch schnell zum Fußball. Unser Zeug nehmen wir mit.

Vor uns liegt ein 2,5 Kilometer langer Spaziergang, der mit all dem Gepäck im Schlepptau gar nicht so angenehm ist. Nach wie vor haben wir kein Lebenszeichen aus dem Großraum København vernommen. Die FUDU-Außenstelle Dänemark scheint sich angesichts der Verlegung des Spiels aus dem Stadion auf die Kunstgrasbahn noch in Schockstarre zu befinden, anders ist es nicht zu erklären, warum wir noch immer im Unklaren darüber sind, ob sich unsere dänischen Freunde heute gerade machen werden. Im Leben ist halt nicht immer alles nur Champions League!

Der Vereinssitz und die Nachwuchsakademie befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft der „Odense Å“. Das Fließgewässer hat eine Länge von ungefähr 60 Kilometern, ist Fünens längster Wasserlauf und sorgt hier für ein angenehmes Ende des Spaziergangs. So eine kleine Wanderung durch den Wald kann man ja beinahe als seriöse Urlaubsunternehmung verkaufen.

Nicht mehr ganz so seriös geht es wenige Augenblicke später zu. Der Ordner des „OB“ (Odense Boldklub), der den Kunstrasen bewacht, schaut jedenfalls nicht schlecht aus der Wäsche, als plötzlich fünf Schlachtenbummler aus Deutschland um die Ecke biegen und einen Kasten „Albani“ mit sich herumwuchten. Freundlich kompetent begrüßt er uns und lässt uns mit sämtlichem Gepäck passieren, ohne ein Drama daraus zu machen. Später wird man auf der Website der Gastgeber beinahe begeistert anführen, dass „også rejst en håndfuld tyske fans med op til Odense for at støtte deres hold“. Eine „handvoll“ Fans aus Deutschland also, die mitgereist sind, um ihr Team zu unterstützen – der „Baltic Sea Cup“ elektrisiert eben die Massen!

„Unser Team“ verzichtet heute übrigens auf jedwede Unterstützung von Spielern über 21 Jahren. Moser, Maloney und Taz sind mit ihren 19 Lenzen und ihrer Nähe zum Profikader noch die erfahrensten Haudegen innerhalb der Union-Truppe, die ansonsten aus Spielern der Generation 2000 besteht. Um das für die Nachwelt festzuhalten und um Werdegänge der Nachwuchskicker Unions irgendwann einmal nachvollziehen zu können, darf der Kader hier kurz Erwähnung finden: Riecke (der laut offiziellem Spielberichtsbogen mit Geburtsdatum 07.11.2018 morgen auf die Welt kommen wird – Gratulation im Voraus!), Alimler, Opfermann-Arcones, Cinar, Inaler, Sitz, Asllani, Veith. Auf der Bank nehmen Ludosan, Gencel, Maciejewski, Werner, Reinhardt, Möller und Eidtner Platz. Schmerzlich vermissen wir Eroll Zejnullahu, der in Unions erster Mannschaft leider keine Rolle mehr spielt und den wir hier und heute gerne auf dem Feld gesehen hätten.

Auf der gegenüberliegenden Seite sieht die Zusammenstellung des Personals schon deutlich anders aus. Torwart Sayouba Mandé (25) von der Elfenbeinküste hat bereits drei Länderspiele für sein Heimatland absolviert und soll heute als Nummer 2 der Profimannschaft Spielpraxis sammeln. Im Mittelfeld ist Julius Eskesen aufgeboten, der zwar erst 19 Jahre alt ist, aber der sich dennoch bereits Stammspieler in der dänischen Superliga nennen darf. Nach 11 Einsätzen über die vollen 90 Minuten hat ihn Mitte Oktober ein Leistenbruch außer Gefecht gesetzt. Ebenfalls zu Einsatzminuten kommt heute der 32-jährige Stürmer Rasmus Festersen, der bereits auf 135 Spiele und 38 Tore in Dänemarks bester Spielklasse verweisen kann. Es sieht also auf dem künstlichen Geläuf ein wenig so aus, als würde eine Herren- auf eine Jugendmannschaft treffen, dennoch sind wir es, die zuerst jubeln dürfen (Website OB: „De skulle blive de første til at juble“).

Fisnik Asllani trifft nach neun Minuten mit einem schönen Rechtsschuss in die lange Ecke zum 0:1. Der Ausgleich für Odense BK fällt lediglich zwei Minuten später. Nach einer Flanke steht Eskesen goldrichtig und verwandelt per Kopf zum Ausgleich. Leider schlägt Odense nicht nur einmal, sondern direkt doppelt zurück. Es vergehen keine 60 Sekunden, da haben die dänischen Sportsfreunde das Ding bereits gedreht. Mit einer Volleyabnahme aus der zweiten Reihe bringt Mads Frøkjær seine gestreiften Farben mit 2:1 in Führung. Die Rolle Mosers bei diesem Gegentor wird intern zu hinterfragen sein. Nach 23 gespielten Minuten geht endlich eine Nachricht der FUDU-Sektion ‚Dänemark‘ ein. Unsere beiden Fußballexperten melden, dass sie bald am Stadion eintreffen werden und müssen nun noch einmal eindringlich darauf hingewiesen werden, dass ihnen das rein gar nichts nützen wird. Wer Union sehen mag, muss raus nach Ådalen! Ein Meister seines Fachs ist der, der bereits 160 Kilometer im Auto gesessen hat, die erste Halbzeit auf jeden Fall verpassen wird und dann eine solche Frage stellt: „Where is Ådalen? Is it still in Odense?“

Kurz vor Halbzeitpfiff trudeln die beiden Dänen in unserer Gruppe ein und freuen sich über ein Begrüßungsgetränk aus dem „Albani“-Kasten. Verpasst haben sie das 3:1 durch Mikkel Michelsen, der nach 33 Minuten eine Ecke per Kopf verwerten kann. Ein junger Unioner hatte den Ball am ersten Pfosten unglücklich verlängert und im ersten Moment hatte es gar nach Eigentor gerochen. Nun sind wir also endlich komplett, schießen Gruppenfotos und zählen die Zuschauer. Es sind 57 Menschen, die sich um den Kunstrasenplatz, der nicht einmal über eine Barriere zum Aufstützen (weniger Ausbau geht nicht!) verfügt, versammelt haben.

Das nächste Highlight darf in der 62. Minute notiert werden. Ein weiterer Unioner erreicht die legendäre „Kunstgræsbanen“ zu Ådalen und klagt uns sein Leid. Er habe kurzweilige 14,5 Stunden Busfahrt hinter sich und sei zielstrebig zum Stadion gelaufen, in der Hoffnung, das Spiel könnte dort stattfinden. Union habe im Vorfeld nicht auf seine Anfragen reagiert, wo und wann das Spiel ausgetragen wird – hätte er mal den Newsletter bestellt oder die Website regelmäßig gelesen, der Amateur. Während wir im Geiste das Hurensohn gegenüber Herrn Wamsler zurücknehmen, holt er – gebt zu, das habt ihr kommen sehen – einen Kürbis aus seiner Plastiktüte.

Irritationen unsererseits. Ein Mensch hat 14,5 Stunden Busfahrt und einen außerplanmäßigen sieben Kilometer langen Marsch vom Bahnhof zum Stadion zu einem Kunstrasenplatz auf sich genommen, um ungeborene Fußballspieler 30 Minuten beim Kicken zusehen zu können. Kurz nach Abpfiff wird er sich direkt auf den 14,5 Stunden langen Heimweg begeben müssen. Tagesausflug, 1200 Kilometer Reise, bisschen laufen zwischendurch. Wir haben 100 Leute gefragt: Nennen Sie einen möglichst praktischen Reiseproviant für ein solches Vorhaben! Bäm. Gefüllter Kürbis!

Offenbar haben übrigens auch die Vereinsverantwortlichen des Odense Boldklub die Zuschauerzählung in der Halbzeitpause vorgenommen. Diese wird tags darauf mit 57 angegeben und somit darf die FUDU-interne Zählung von 11.41 Uhr als valide betrachtet werden. Da muss man wohl oder übel konsta(n)tieren: Leider geht der „Kürbiskopf“ heute nicht einmal mehr in diese Statistik ein…! Dafür führt er eine andere Statistik unangefochten an, oder kennt ihr einen anderen Menschen mit bundesweitem Aufkleberverbot?

Das Fußballspiel läuft parallel weiter. Die dänischen Experten benennen die Spieler Frøkjær und Harboe als kommende Profispieler. Auf dem Feld überlässt Odense den jungen Unioner nun etwas mehr Zeit und Raum, sodass man das Spiel nun offener gestalten und einige spielerische Akzente setzen kann. Berkan Taz scheitert in aussichtsreicher Position am eingewechselten Gejl. Letztlich wird Union aber nicht zwingend genug und den Spielern Odenses fehlt der finale Ehrgeiz, ihre Umschaltsituationen mit letztem Feuereifer auszuspielen. So bleibt alles beim Alten und der Schiedsrichter beendet um 12.45 Uhr überpünktlich die Partie.

FUDU und Freunde gehen im Anschluss der Partie noch in einen entspannten Austausch mit Sebastian Bönig, der heute als Coach für diese erlesene Auswahl Nachwuchskicker verantwortlich war. Den ersten satirischen Beitrag des Hoollegen („Stellt Euch, dit war ja wohl nüscht heute!“) kriegt er noch etwas in den falschen Hals, kann uns volltrunkene Kernassis dann aber schnell argumentativ überzeugen. Seine „Burschen“ hätten sich gegen körperlich überlegene und teilweise gestandene Profis wirklich achtbar aus der Affäre gezogen. Über die Gründe für Erolls Fehlen gerät er nicht unbedingt ins Plaudern, deutet aber an, dass man eben auch Motivation zeigen müsse, sich für ein solches Spiel „zehn Stunden in den Bus zu setzen“. Während der „Kürbiskopf“ wohl aktuell ausrechnet, wie viel Zeit er durch seinen Umstieg in København und den unnötigen Haltestellen zwischen Odense und Berlin so verplempern wird, ist Unsympath Lutz Munack als Anstandswauwau neben uns aufgezogen und guckt „Böni“ doch genau auf den Mund. Mit einem „Eroll ist 24, was soll der denn in einer Nachwuchsmannschaft spielen?“ stellt er dann auch noch unter Beweis, dass er Sinn und Zweck des „Baltic Sea Cup“ vollumfänglich begriffen hat und zieht dann glücklicherweise alsbald von dannen.

Herr Bönig ist dann doch sichtlich erschrocken, als er von uns allen erfährt, dass wir tatsächlich eigens für dieses Spiel aus Berlin angereist sind und uns nun auf den Heimweg begeben müssen, da morgen die Arbeit wieder ruft. Der Hoollege führt berechtigterweise an, dass wir bereits um 20.30 Uhr wieder zu Hause sein werden und dann immer noch locker Zeit hätten, in einer Kneipe einzukehren. Mit einem Augenzwinkern, einem süffisanten „ausgerechnet Du brauchst noch eine Kneipe“, guten Wünschen für die Reise, Handshakes und einem kräftigen „Eisern“ verabschiedet sich „Böni“ eben so, wie es sich für einen echten Unioner gehört.

Wir verabschieden uns von unseren dänischen Freunden, decken uns in der Fußgängerzone ohne die vom „Kürbiskopf“ erwarteten Störmaßnahmen der Ultraszene Odenses noch mit Speis und Trank für die Rückfahrt ein und wappnen uns bereits unbewusst für den Kampf gegen die Satelliteneltern aus den Yuppie-Lofts am Gleisdreieck, den wir ab Hamburg in der Bahn ausfechten müssen. Ekelhafte Menschen, die angesichts unser Biervorräte heftiger mit den Augen rollen als die Weismainer das große R. Hinter uns liegen Nachwuchsförderung und Gotteslästerung in Dänemark. Vor uns liegen drei Tage Berlin. Und das kriegt man ohne Kneipe nun wirklich nicht hin… /hvg

05.11.2018 Vejle BK – AC Horsens 3:1 (2:0) / Vejle Stadion / 5.584 Zs.

Es ist 22.30 Uhr, als unser Zug am Sonntag am Berliner Hauptbahnhof einrollt. Der 1.FC Union hat in Regensburg immerhin einen Punkt geholt und wir dort unser Mietauto in einer Filiale gelassen, in der der Mitarbeiter zunächst nicht gewillt war, seinen Schreibtisch zu verlassen und neben seiner Papierberge auch unser Anliegen zu bearbeiten. Und auch der Schaffner der 17.18 Uhr Verbindung spielte uns mit seiner Großzügigkeit in die Karten, uns zwei Stunden vor unserer eigentlich gebuchten Fahrt mit nach Hause zu nehmen. Dazu verkündete die irische Arschgeige im Vorfeld der Reise einen um dreißig Minuten verspäteten Abflug und so kommen wir in Addition der sich ergebenen Zeitfenster doch in den Genuss von unerwartet viel Schlaf, bevor Fetti und seine Freunde am frühen Montagmorgen bereits wieder aus der Hüfte kommen müssen. Nächster Halt: Dänemark.

Um kurz nach halb sechs treffen am Ostbahnhof drei reisefreudige FUDU-Schweine gut gelaunt aufeinander. Anlass der Reise ist ein Pokalwettbewerb, den einige Vereine in Eigenregie aus der Taufe gehoben haben, um ihren Nachwuchsspielern Spielpraxis gewähren zu können. Neben dem 1.FC Union Berlin nehmen auch Hertha BSC, Pogoń Szczecin, Halmstads BK, Aalborg BK, FC København und Odense BK an der illustren Runde teil. Geographen unter Euch werden längst erkannt haben, dass all diese Städte genau eine Gemeinsamkeit aufweisen und mögen den Namen des Wettbewerbs vielleicht schon erahnen. Es ist der gute alte „Baltic Sea Cup“ – geschaffen von Ostseeanrainern für Ostseeanrainer!

Vor einigen Monaten hatte der 1.FC Union die Geburt des Wettbewerbs offiziell bekannt gegeben und diesen als eine große Errungenschaft für den Nachwuchs und die Ergänzungsspieler des Profikaders gefeiert. Neben U-21 Spielern dürfen im „Baltic Sea Cup“ auch drei Profispieler jenseits dieses Alters eingesetzt werden und unter Wettkampfbedingungen die Knochen hinhalten. Der Modus ist etwas sonderbar und so wird am Ende der Runde jedes Team auf nur auf vier Spiele (2x Heim, 2x Auswärts kommen) gegen scheinbar willkürlich zugeordnete Gegner kommen. In einem Gesamtklassement wird dann nichtsdestotrotz ein Champion ermittelt, obwohl dieser nicht einmal gegen jeden Gegner angetreten sein wird. Union bekommt es zu Hause mit Aalborg und Halmstads zu tun, auswärts trifft man auf den FCK und wird sich mit Odense messen dürfen. Es bleibt ein Hauch von Union international – was dem Wettbewerb bei all seiner Sinnlosigkeit doch einen schillernden Anstrich verpasst.

Mittlerweile ist von der großen Euphorie des Vereins über den Wettbewerb jedoch nur noch wenig zu spüren, zumindest was die Kommunikation mit der interessierten Öffentlichkeit anbelangt. In der Zwischenzeit sind drei Spieltage ins Land gegangen und während der „Vanløse Idrætspark“  (3:1 Auswärtssieg beim FCK!), für FUDU noch als nicht reiserelevant eingeschätzt worden war, bestehen beim zweiten Auswärtsspiel durchaus ernsthafte Hoffnungen auf einen Besuch des „Odense Stadion“. Der 1.FC Union meldet sich im Vorfeld der morgigen Begegnung übrigens letztmals am 03.10. auf der Vereinswebsite mit folgender detailverliebter Ankündigung: „Am 06.11.2018 gastieren die Köpenicker zu ihrem vorerst letzten Match im Baltic Sea Cup beim dänischen Turnierteilnehmer Odense BK.

Wer, wie, was, wo, wann und warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!
Offenbar werden zu Auswärtsspielen des sagenumwobenen „Baltic Sea Cup“ nur echte Insider zugelassen, sodass ich Kontakt mit der Kommunikationsabteilung meines Herzensvereins aufnehmen muss. Hier hat man offenbar jedoch zu viel Arbeit, anders ist die lieblose Antwort mit Textbausteinen nicht zu erklären. Ich soll den Newsletter abonnieren und die Website aufmerksam lesen. Wow, Danke. Hilfreicher ist da schon der Mailkontakt mit dem dänischen Gastgeberclub, den der eingebildete Kranke parallel aufgenommen hat. Nur wenige Stunden später flattert hier bereits eine sehr angenehme Antwort ins Haus. Morten Wamsler (→ Pressetalsmand af Odense BK) verkündigt vollmundig: „The match will be on November 6th at 11:00. We will play at Nature Energy Park – our main stadium in Odense. Venlig hilsen / Best Regards!

Fassen wir die Geschehnisse der letzten drei Monate noch einmal kurz zusammen. Es gibt da also einen Wettbewerb, in dem Nachwuchsfußballer um die goldene Ananas spielen. Eines dieser Spiele ist im knapp 600 Kilometer entfernten Odense an einem Novembertag um 11.00 Uhr angesetzt und irgendein Morten hat uns eine E-Mail geschrieben. Und insgesamt fünf erwachsene Menschen (zwei werden im Laufe des Tages noch zu uns stoßen – man kann tatsächlich über Nacht mit dem Zug von Regensburg nach Dänemark fahren, das müsst ihr mal ausprobieren!) so: Mehr Informationen bauchen wir nicht – lass‘ mal ’ne Ferienwohnung buchen und da hin fahren. All Over Baltic Sea!

 

Mittlerweile haben wir uns am Security-Check am Flughafen Schönefeld eingefunden. Der für uns zuständige Mitarbeiter trägt eine Herthafahne am Revers und als Fan kann man ihn nicht ernst nehmen. Der weiß bestimmt nicht einmal, dass seine blau-weiße Hertha morgen im „Baltic Sea Cup“ in Szczecin ran muss, der Anfänger. Ebenso amateurhaft verhält sich kurz darauf ein Reisender in Eile, der sich einigermaßen atemlos in unsere Schlange einreiht und angesichts des noch verschlossenen Gates zunächst einmal zufrieden scheint. Als er wieder Luft bekommt und dem Frieden doch noch nicht so ganz traut, will er sich lieber noch einmal absichern:

„Is this the Flight to Budapest?“
„No, we are going to Billund!“
„JEEEEEEEEEEEEEEESUS!“

Der Running Gag für die kommenden Stunden wäre also gesichert und wird bereits das erste Mal im Flugzeug noch vor Verlassen der Startbahn zelebriert. „Entschuldigung, fliegen Sie auch nach Budapest?“, frage ich den eingebildeten Kranken, der neben mir sitzt und der nun, kurz nachdem ich auf sein Dementi ein kräftiges „JEEEEEEEEEEEEEEESUS“ habe folgen lassen, nachweislich doch abheben wird. Obwohl er doch als einziger Priority-Kunde der Reisegruppe eben noch gemeinsam mit uns in der Schlange des einfachen Fußvolks gestanden hatte, um genau selbiges zu verhindern. Wendehals.

Um 8.40 Uhr landen wir in Billund. Zu unserer Enttäuschung verfügen die Mitarbeiter des Flughafens über keine gelben Köpfe mit abnehmbaren Haarteilen, weisen uns aber dennoch kompetent den Weg zum „Ekspresbus 43“, der uns in 31 Minuten für 62 DKK pro Penis nach Vejle befördert. Obwohl hier heute Abend das Westjütlandderby gegen Horsens steigen wird, muss FUDU den Ort, der Hopperbegehrlichkeiten weckt, leider noch einmal verlassen, um das Domizil in Odense beziehen zu können und den Rest der Reisegruppe einzusammeln. Im Nachhinein wirkt die Planung logistisch vielleicht nicht ganz ausgefeilt, aber es wird schon einen Grund gehabt haben, in Vejle anzukommen, dann 80 Kilometer nach Odense zu fahren, um am Abend erneut hin- und herzufahren. Die knapp einstündige Fahrt für faire 42 DKK hat dank der Überquerung des „kleinen Belt“ jedenfalls ein echtes Highlight zu bieten, während die Nachrichten, die von Familie Fackelmann eintrudeln, eher am anderen Ende der Attraktivitätsskala zu verorten sind. Ihre Ankunft aus Regensburg via München, Hamburg und Neumünster verzögert sich um voraussichtlich zwei Stunden, weiß der gestrandete Facki per Textnachricht aus dem „Carlisle Park“ zu Flensburg zu berichten. Tja, FUDU und Carlisle – das verspricht bekanntlich immer Unheil!

Für 3/5 der Reisegruppe, die ihr Ziel planmäßig erreichen (11.19 Uhr), bleibt nun bis zum Check-In um 15.00 Uhr genügend Zeit, um die Stadt zu erkunden. Odense hat knapp 180.000 Einwohner, ist die drittgrößte Stadt des Landes und dank des Schriftstellers Hans Christian Andersen, der hier am 02.04.1805 das Licht der Welt erblickte, bei asiatischen Touristen offenbar recht beliebt. Wir schlendern durch die malerischen Gassen, besichtigen das Odense Slot, das Geburtshaus des Dichters und Denkers und werfen – baustellenbedingt – nur einen Blick aus sicherer Entfernung auf die Domkirke St. Knuds.

Um 12.30 Uhr öffnet der „Sir Club“ in der Nørregade seine Pforten. Klar, dass die durstigen FUDU-Schweine nur kurz darauf um Einlass bitten und Prioritäten setzen. Die erste Runde „Albani“ wird geordert und auch bei der Bestellung der zweiten dankend darauf verzichtet, den wenig verheißungsvollen Craft-Beer-Empfehlungen des Wirts zu folgen. Wenn überhaupt, hätte er uns mit einem Gebräu namens „Romina Power“ gekriegt, dann aber auch nur aus Gründen.

Um 13.53 Uhr erhält der eingebildete Kranke eine E-Mail. Morten Wamsler erinnert sich daran, dass sich vor drei Monaten irgendwelche Bekloppten aus Tyskland an ihn gewandt haben. FUDUs Herzen pochen, der Inhalt der Mail wird mit Spannung erwartet. Ein Willkommensgruß, ein Meet&Greet mit den Spielern, eine Stadionführung, Brauereibesuch mit Freibier?

Dear imaginære syge, the match tomorrow will be played at our training ground instead. The adress is: Odense Boldklub, Ådalen Sdr. Boulevard 172, DK-5000 Odense.

JEEEEEEEEEEEEEEESUS. 600 Kilometer gereist, um ein Spiel des „Baltic Sea Cup“ auf einem unausgebauten Kunstrasenplatz der Nachwuchsakademie zu sehen. Ich sehe eingeschlafene Gesichter am Tisch, leite die schlechten Nachrichten direkt nach Carlisle weiter und Morten hört ein Hu-hu-hu-Hurensohn!

Nach einer dritten Runde „Albani“ ist der Schock aber auch schon verdaut. Stillschweigend ist man dazu übergegangen, sich hiervon nicht den Urlaub versauen zu lassen. Es folgt ein kleiner ernüchternder Spaziergang, um unser Feriendomizil zu erreichen. Eine freundliche Asiatin öffnet uns die Tür. Geistesgegenwärtig wie eh und je schlussfolgert FUDU, dass man es wohl nicht mit Jacob Juhl, sondern mit Lan Bai zu tun hat. Ich weiß nicht, wie ich es Anfängern erklären soll, woran man so etwas als routinierter Reisender immer direkt merkt. FUDU ist eben schon wirklich Lan(g) (Da)Bai und um keinen schlechten Scherz verlegen, während man sich nun durch den IKEA-Katalog im Keller führen lässt. Küche, Bad, zwei Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esstisch, alles da für 1016 DKK. Fehlen nur noch die Fackelmanns und ein voller Kühlschrank…

Wieder einmal gelingt es FUDU, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und so wird die Wartezeit mit einem Supermarkteinkauf geschickt überbrückt. Neben Mittagessen, einem Mitternachtsimbiss und etwas Frühstück wandert natürlich auch ein gut gefüllter Bierkasten in unseren FU(N)DUS: insgesamt 30 Flaschen „Albani“, paritätisch auf drei verschiedene Sorten aufgeteilt (Pilsner, Classic, Rød), gibt es für lediglich 40 € käuflich zu erwerben. Das ist natürlich ein Angebot, das keiner ausschlagen kann! Dazu werden noch einige Flaschen Giraffenbier eingesackt, die ebenfalls aus der ortsansässigen Brauerei stammen, aber eine besonders schöne Randanekdote erzählen. 1962 starb im Zoo von Odense eine Giraffe namens Kalle, die bis dato als Werbefigur der Brauerei herhalten musste. Die Brauerei widmete ihrem verstorbenen Werbeträger daraufhin ein Starkbier namens „Giraf“ und wollte mittels dieses Bieres genügend Erlöse einspielen, um dem Zoo eine neue Giraffe kaufen zu können. Obwohl bereits die Produktion des ersten Jahres soviel Geld einspielte, dass der Zoo zwei neue Tiere anschaffen konnte, wird das Bier noch immer aufgelegt und auch ein Schlot des Brauereigeländes erinnert bis heute an die tiefe Verbundenheit der Brauerei zu den langhalsigen Paarhufern. Einer für alle, alle für Kalle!

Irgendwann sind dann auch endlich die Fackelmanns eingetroffen und wir können uns der Abendplanung zuwenden. Die Frau entscheidet sich, Haus und Hof zu hüten und die vier Stammeshalter FUDUs brechen alleine in Richtung Bahnhof Odense auf, um den Weg zurück nach Vejle anzutreten.

Der gebuchte Zug um 17.10 Uhr wird von der „Danske Statsbaner“ bedauerlicherweise gestrichen. Die nächste Direktverbindung wird von der dänischen Staatsbahn erst in einer Stunde angeboten. Ankunftszeit 18.55 Uhr – bei einem Anstoß um 19.00 Uhr doch etwas knapp. Schnell machen wir eine Verbindung via Fredericia mit geplanter Ankunft um 18.28 Uhr ausfindig, bei der allerdings der Umstieg aufgrund der erwarteten Verspätung des ersten Zuges verpasst werden könnte und somit auch das Spiel gestorben wäre. Unter Hochdruck feilt man an einer Entscheidungsfindung und FUDU wäre nicht FUDU, würde man sich gegen die „All-In-Variante“ entscheiden. Also, nichts wie rein in den Zug nach Fredericia, der bereits am Gleis bereitsteht und in wenigen Augenblicken abfahren wird. ¾ der Reisegruppe stellen ihre Sportlichkeit unter Beweis und sprinten dem letzten Wagen entgegen, während der Hoollege eine Grundgeschwindigkeit wie Dennis Daube abruft und gemächlich hinterher schlendert. Die „DSB“ lässt niemanden zurück, der Umstieg in Fredericia gelingt nahezu spielerisch, obwohl die Zugbegleiterin diesen nicht garantieren wollte, doch sorgt dann ein Halt auf freier Strecke dennoch für eine Ankunftszeit, die letztlich zu wünschen übrig lässt. 18.51 Uhr. Na, da hat sich das ganze Gerenne ja gelohnt.

Noch neun Minuten bis zum Anpfiff. Grund genug, um endlich einmal mit dem Motto „All Cabs Are Bastards“ zu brechen und sich an den Taxistand zu stellen. Dort warten bereits zwei englischsprachige Menschen, die ebenfalls das Stadion als ihr Ziel angeben und so kann man sich sinnvollerweise ein Großraumgefährt teilen, welches einer der beiden per Handy ordert. Der Taxifahrer ist zu Scherzen aufgelegt und tut kund, dass die Fahrt „70“ kosten würde. „For each person“. „In Euro“. Gerade ist der letzte Lacher verebbt, da stehen wir um 19.02 Uhr auch schon in einem Waldstück vor einer Barriere. Leider ist die Zufahrt zum Stadion heute aus Sicherheitsgründen gesperrt, wir schmeißen schnell etwas Kleingeld in einen Hut, bis 70 DKK zusammengekommen sind und legen die letzten Meter kraxelnd zu Fuß zurück. ¾ der Reisegruppe stellen ihre Sportlichkeit unter Beweis und eilen den Berg hinauf, während der Hoollege eine Grundgeschwindigkeit wie Dennis Daube abruft und gemächlich hinterher schlendert. Immerhin nutzt er die Zeit sinnvoll und geht in den Austausch mit einem unserer beiden Taxi-Compañeros und findet investigativ heraus, dass wir soeben Zeit mit Måns Oskar Söderqvist verbracht haben. Söderqvist, aktuell unter Vertrag bei Kalmar FF, besucht heute seinen Kumpel und ehemaligen Mitspieler Charles Melker Otto Hallberg, der nunmehr sein Geld in Vejle verdient. Offen bleiben da nur die Fragen, warum ein Profifußballer nicht in der Lage ist, für eine solche Taxifahrt eine Runde zu schmeißen und warum der feine Herr Söderqvist bis heute eine Brieffreundschaft mit FUDU verweigert.

Da wir unsere Eintrittskarten aufgrund eines recht üppigen Online-Rabatts vorausschauend bereits in Berlin gekauft hatten, nimmt zumindest das Einlassprocedere keine unnötige Zeit von der Uhr. Um Punkt 19.13 Uhr haben wir die Hintertortribüne erreicht, um 19.18 Uhr geht Vejle durch Melker Hallberg in Führung. Wir verzichten zunächst auf unsere Plätze auf der Gegengeraden, verweilen hinter dem Tor auf dem Stehplatzbereich an der Eckfahne und haben den mit 300 Mann gefüllten Gästeblock gut im Visier. Mit sieben Fanbussen ist man heute aus Horsens angereist. Eine außergewöhnliche hohe Zahl, die man auf den vereinseigenen Kanälen ordentlich abfeiert, die aber etwas dadurch getrübt wird, dass beide Ortschaften dieses Westjütlandderbys gerade einmal 30 Kilometer trennen. Im kommenden Jahr feiert man in Horsens sein 25-jähriges Bestehen (AC steht für „Alliance Club“ und fasst seit dem 01.01.94 folgende Fusionsclub unter einem neuen Namen zusammen: Horsens fS, FC Horsens, Stensballe IF, Hatting-Torsted IF, Lund IF, KFUM Birkeparken, Egebjerg IF, Juelsminde IF, Gedved IF und Rask Mølle /Åle IF), während man in Vejle seit 2012 wieder ohne den Fusionspartner aus Kolding auskommt. Da ist es einigen besonders bitter aufgestoßen, dass man vor einigen Tagen im dänischen Vereinspokal ausgerechnet gegen eben jenes Kolding den Kürzeren gezogen hat, wie z.b. Chefcoach Adolfo Sormani, der in Rage eine rote Karte erhielt und heute von seinen Assistenten Morten Bisgaard und Giovanni Mazella vertreten wird. Es ist also Wiedergutmachung angesagt in Vejle!

Nach 41 Minuten tritt Melker Hallberg eine Ecke an den kurzen Pfosten, an dem Lauritsen von mehreren Gegenspielern umringt wird, aber doch seltsam ungestört zum 2:0 einnicken kann. Gästekeeper Matej Delač irrt womöglich noch immer durch seinen Fünfmeterraum, als wir uns in der Halbzeitpause bereits einen Überblick über die Catering-Situation verschafft haben. Røde Pølser gibt es heute nur ohne Röstzwiebeln zu erwerben und die Fankneipe „Gravesen Corner“, benannt nach Vejle-Legende Thomas Gravesen, ist während der Spieltage geschlossen.

Die zweite Hälfte begutachten wir von unseren 111 DK teuren Premiumsitzen. Das Bier schmeckt auch im Sitzen gut und wieder gelingt es uns, gerade rechtzeitig zum nächsten Torerfolg unsere Plätze einzunehmen. Der Färinger Hallur Hansson hat trocken von der Strafraumkante abgezogen und auf 1:2 verkürzt. Wenn wir uns da mal nicht vor lauter Aufregung an den Röstzwiebeln verschluckt hätten.

Nach einer Stunde ist der Drops dann gelutscht. Wieder tritt Hallberg eine gute Ecke, Gästeverteidiger Sonni Nattestad verlängert unfreiwillig und Jakobsen drischt den Ball humorlos Volley aus Nahdistanz in die Maschen. Der verbannte Trainer jubelt, wir holen noch eine Rutsche „Carlsberg“ nach und lassen das Fußballerlebnis gemütlich ausklingen.

Noch während wir uns darüber lustig machen, dass die Gäste bereits ab der 85. Minute den Gästeblock geräumt haben und niedergeschlagen zu den Bussen gekrochen sind, stellen wir fest, dass wir eigentlich auch keine Zeit1 haben, um lange zu verweilen. Es ist 21.03 Uhr, in 25 Minuten fährt unser Zug nach Kolding und der Fußweg zum Bahnhof soll 23 Minuten in Anspruch nehmen. „All Cabs Are Bastards“ wird in Erinnerung an den geizigen Schweden zum nun wieder gültigen Motto auserkoren, also alle Mann im Schweinsgalopp zur Togstation! Selbst mit Dennis Daube im Schlepptau meistern wir den Gewaltmarsch mit Erfolg und haben nur 51 Minuten später den Bahnhof Odense erreicht.

Im Basement sind die Bierchen in unserer Abwesenheit angenehm heruntergekühlt worden. Nun kehrt nach 18 Stunden Herumrennerei und -reiserei endlich etwas Ruhe ein. Zeit, um daran zu erinnern, dass das scheiß Spiel morgen auf Kunstgræs ausgetragen werden wird. Wir greifen zum Trost zum „Giraf“ Starkbier. Wie sagt man doch gleich bei FUDU? Lieber ’n langer Hals im Urlaub, als ’n dicker…! /hvg