736 736 FUDUTOURS International 28.04.24 08:54:25

05.05.2018 VfL Wolfsburg U19 – 1.FC Union Berlin U19 2:2 (2:0) / Amateurstadion Wolfsburg / 175 Zs.

Es ist 8.30 Uhr in Berlin-Köpenick. Ich schlendere durch den REWE in der Bahnhofstraße und decke mich mit Proviant für die weite Reise nach Wolfsburg ein. Sucuk, Weißbrot, Bouletten, kalter Kaffee. Mit diesem etwas schwankenden Turm auf meinen Armen biege ich in die Bierdosenabteilung ein. Bei dem Versuch, zwei-drei überlebensnotwendige Berliner einzusacken, kommt es, wie es kommen muss und gemäß Murphy’s Law fällt der einzige kaputtbare Gegenstand zu Boden. Mit einem lauten Flatsch platzt der Plastikkaffebecher und hinterlässt eine in etwa bierdosengangbreite Pfütze. Kleinlaut informiere ich eine Angestellte über meinen Fauxpas, welche nach Aufnahme der Information in etwa so schaut, wie man eben schaut, wenn man zu Beginn seiner Schicht erst einmal den halben Laden wischen muss.

Nachdem ich einen neuen Kaffee aufgetürmt und den Weg zur Kasse sowie den Bezahlvorgang erfolgreich abgeschlossen habe, mache ich Station am Imbiss-Stand der Kaufhalle. Hier lächeln mich [eine hemdsärmelige Verkäuferin und] Mettbrötchen an, die ja bekanntermaßen olfaktorisch immer ein gutes Frühstück in geschlossenen Räumen (wie z.B. Autos) darstellen. Weil ich gerade einen Lauf habe, bitte ich die Verkäuferin darum, mir nicht wahllos irgendwelche Brötchen einzupacken, sondern darauf zu achten, dass ich zwei Exemplare mit „wenig Zwiebeln“ erhalte. Sie rollt die Augen und während sie bereits durch die gestapelten Schrippen wühlt, kommt sie dann doch noch aus ihr heraus, die schnippische Berliner Gegenfrage: „… und wie viele Zwiebeln dürfens denn jetz jenau sein?“. Der Misanthrop in mir setzt zum High Five an. Noch nicht mal Neune durch und schon zwei Menschen den Arbeitstag versaut. Läuft!

Um kurz vor 9.00 Uhr treffe ich auf den Rest der heutigen Reisegruppe. „Agent Orange“ steht mit seinem gleichfarbigen Gefährt als Fahrer bereit und gemeinsam mit den beiden anderen, die noch über keine zufriedenstellenden Spitznamen verfügen, amüsiert er sich über mein Outfit. Kurze Hose, T-Shirt, Bierdose in der Hand. „Du siehst ja aus wie Strand!“, fasst man das Gesehene den Reim vollendend zusammen, um dann noch einen oben drauf zu setzen: „Das ist heute auch ein U19-Grad-Spiel und keine Ü30-Party!“. Ich reagiere gelassen auf die spöttischen Angriffe und verweise auf die 19,6° Celsius, die laut wetter.com heute erwartet werden und schon reiten wir vom Hof.

Das bestimmende Thema der Hinfahrt wird das Testspiel des 1.FC Union bei den Queens Park Rangers werden. Die 240 Kilometer lange Anreise ist gerade einmal lang genug, um all die Planspiele der Mitreisenden anzuhören. Union International – das ist seit dem Pokalsiegerwettbewerb des Jahres 1968 traditionell immer so eine Angelegenheit mit Hindernissen. Dieses Mal ist der inoffizielle Termin um eine Woche nach hinten verlegt worden, sodass die Hälfte der Autobesatzung nun davon sprechen muss, die bereits gebuchten Flüge zu stornieren und umzuplanen, während ich mich nun damit auseinandersetzen muss, dass das Spiel an der „Loftus Road“ genau zwischen meinen Sommerurlauben in Valencia und in Bordeaux stattfinden wird. Die vielen hungernden afrikanischen Leser dieses Blogs wird es nun vermutlich angesichts dieser First-World-Problems schütteln, aber für unsereins ist das schon ein Problem, welches beinahe so groß ist, dass man es Problem nennen darf. Mal ehrlich: Im Sommer nach London fliegen. Das ist genauso unnötig wie Wolfsburg, nur mit Terror.

Kurz nach dieser Erkenntnis sind wir auch bereits in der „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ angekommen. Für das Auto ist schnell ein sinnvoller Parkplatz gefunden und uns treibt es um das Stadion des Bundesligisten herum. In den nahegelegenen Feuchtgebieten hören wir die Frösche quaken und nur wenige Minuten später stehen wir am offenbar künstlich erschaffenen Allersee mit wunderbarem Sandstrand. So etwas nettes hätten wir in Wolfsburg nicht unbedingt erwartet und während der Rest der Reisegruppe langärmlig und -beinig vor sich hinschwitzt, sehe ich am Strand eben aus wie Strand, genieße die fast 20 Grad Außentemperatur und habe den Spott, der mir heute Morgen zur Begrüßung widerfahren ist, schon längst vergessen.

Nach einem kurzen Sonnenbad und einem Kaltgetränk mit Blick auf den See haben wir das Amateurstadion Wolfsburg, das offiziell Kriminelle-Ossis-Abschieben-Arena oder so ähnlich heißt, ohne Entrichtung eines Eintrittsgeldes betreten. Das „Stadion am Elsterweg“ mit seinen 17.600 Plätzen, in dem man einst in der Fußball-Bundesliga zu Hause war, ist dem VfL Wolfsburg leider nicht mehr fein genug, sodass man auch für die zweite Mannschaft und den Nachwuchs einen langweiligen Neubau aus dem Boden gestampft hat. Wer hat, der kann!

Unter dem Tribünendach haben sich heute 175 Zuschauer versammelt. Insgesamt haben sich ca. 65 Unioner, wovon ich wiederum gut 40 Menschen der Ultraszene zurechnen würde, auf den Weg gemacht, um die A-Jugend des 1.FC Union Berlin am letzten Spieltag im Kampf um den Klassenerhalt zu unterstützen. Die wenigen Ordner des VfL wirken angesichts der jugendlichen Subkultur sichtlich angespannt und hegen die Befürchtung, dass es hier und heute neben Aller und Klassenerhalt womöglich auch Gewalt geben könne.

Abermals wendet sich das Blatt und nun ist es wieder der langbekleidete Teil der Reisegruppe, der Oberwasser gewinnt. Ganz schön kalt im Schatten und auch das Cateringangebot, bestehend aus Bockwurst und alkoholfreiem Bier, kommt wenig erwärmend daher.

Das Spiel beginnt recht lebhaft, nachdem die Stadionregie die anwesenden Zuschauer mit jämmerlichem Wolfsgeheuel vom Band angeheizt hat. Die Unioner sind gut im Spiel und können die Anfangsphase gegen den Favoriten aus Wolfsburg offen gestalten. Recht bald gelingt es dem VfL aber, seine hohe Qualität auf den Rasen zu bringen. Besonders technisch und taktisch sind die Nachwuchskicker des Bundesligisten deutlich sichtbar auf einem höheren Niveau ausgebildet und mit ihrem enormen Tempo gelingt es ihnen, die Gäste unter Druck zu setzen. So erzwingt man mit hohem Pressing einen eklatanten Fehler des 1.FC Union, um in Führung gehen zu können. Schulz hatte den Ball im Rückwärtslaufen kurz vor dem eigenen 16er vertändelt und sich im Anschluss nur per Foul helfen können. Den fälligen Strafstoß verwandelt Möker mit etwas Glück. Unions Keeper Hertel hatte den schwach geschossenen Versuch noch beinahe um den Pfosten lenken können (25.). Wäre ihm dies gelungen, wäre dies in jeglicher Hinsicht ein Grund zur Freude gewesen – auch, weil man dann den furchtbaren Torjingle des VfL nicht hätte hören müssen.

Bedauerlicherweise spuckt uns das „Rama Lama“ nach 40 Minuten noch ein zweites Mal ins Gesicht. Nach einer Ecke agiert Unions langer Schlaks im Tor zu zögerlich und zeigt trotz seiner Körpergröße zu wenig Präsenz im Strafraum. Charles-Jessaja Herrmann sagt Danke und nickt den Ball ins verwaiste Tor.

In der Halbzeitpause haben die Ordner ihren großen Auftritt und sprechen massive Rügen für schwere stadionverbotrelevante Vergehen aus. Auf der Tribüne herrscht Rauchverbot, bitte löschen Sie ihre Zigaretten. Bitte stehen Sie hier nicht im Gang herum! Und festhalten, jetzt werdet ihr gleich mit den Ohren schlackern, welch Höllenhunde FUDU in seinen Reihen hat und was man sich auswärts so alles erdreistet, zu tun: Bitte nehmen Sie die Füße vom Sitz!

Eintracht Braunschweig führt unterdessen beim abgeschlagenen Tabellenschlusslicht aus Chemnitz mit 4:0 und hat in der Differenz nur noch sechs Tore Rückstand auf unsere Jungs. Am Ende wird die Eintracht „nur“ 7:1 gewinnen und somit nicht mehr entscheidend in den Abstiegskampf eingreifen können. Holstein Kiel, wichtigster Konkurrent um den rettenden 11. Platz, kommt aktuell nicht über ein 0:0 bei Dynamo Dresden hinaus. Zur Pause ist also alles im grünen Bereich – doch ein Tor für Kiel würde die Unioner unter den Strich und somit in die Regionalliga befördern.

Im zweiten Spielabschnitt werden die Unioner mutiger, aggressiver, kämpferischer. Trainer Weiße hat seine Mannen offenbar dazu aufgefordert, höher zu stehen und frühzeitig zu attackieren. Schnell geht der Plan auf – nach einem Freistoß an die Querlatte kann Yasar Can Cinar abstauben und zum 1:2 verkürzen (52.). Zeitgleich macht die schlechte Botschaft die Runde, dass Holstein Kiel in Führung gegangen ist. Es verbleiben noch gut 40 Minuten, um den Abstieg zu verhindern. Nur ein Sieg würde den Klassenerhalt aus eigener Kraft garantieren. Kurzum: Es sieht nicht gut aus.

Union bringt genügend Leidenschaft auf den Platz, um die spielerischen Defizite wett zu machen und schickt sich an, mit viel Überzeugung und Kampfgeist nachzulegen. Der Funke springt vom Rasen auf die Tribüne über und die Gästefans helfen nun akustisch mit, die Mannen um Kapitän Maloney nach Vorne zu peitschen. In den Schlussminuten überschlagen sich die Ereignisse. In der 82. Minute dringt Unions ungarischer Torjäger Benjámin Pratsler in den Strafraum ein und wird von den Beinen geholt. Den fälligen Strafstoß versenkt der Gefoulte zum vielumjubelten 2:2 selbst, in Dresden gleicht Dynamo nahezu zeitgleich zum 1:1 aus. Kurzum: Es sieht schon besser aus.

In der 86. Minuten wird ein Wolfsburger Spieler vom Platz gestellt, nachdem er einen Mitspieler frustriert in den Rücken geschlagen hatte. In Überzahl müssen die Unioner das Remis „nur“ noch über die Zeit retten, um den Klassenerhalt perfekt zu machen. Aus Dresden flattern in der 86. und 90. Minute die frohen Botschaften über weitere Treffer der SGD ein. Kurzum: Es sieht geradezu rosig aus!

Um 14.47 Uhr ist der Klassenverbleib perfekt. Die Szene deutet einen Platzsturm an und dem einen oder anderen betagten Ordner geht ganz schön die Pumpe. Letztlich betreten aber nur wenige Menschen das Feld und alle scheinen zum näheren Kreis der Mannschaft zu zählen. Mit einem scheppernden „Eisern Union“ verabschieden wir die Jungschen in ihre wohlverdiente Sommerpause.

Im Anschluss zieht es uns in die Sonne. In unmittelbarer Nähe des Stadions bietet der „Wakepark“ am „Arenasee“ die Gelegenheit, Wasserski zu fahren. Unser Interesse weckt die dazugehörige Beachbar, die mit Sonnenliegen und Sandstrand zum Verweilen und mich dazu einlädt, noch einmal darauf zu verweisen, dass ich doch die richtige Kleiderwahl getroffen habe. Wer zuletzt lacht, lacht eben am Besten. Auf der Terrasse eröffnet man uns, dass man genau heute in die Sommersaison startet und draußen zur Feier des Tages 50% Rabatt auf alle Getränke gewährt. Während wir 1,75 € für ein großes Bier vom Fass bezahlen, kommt „Agent Orange“ von seinem Toilettengang mit einem kleinen Flaschenbier zurück. „Hat im Restaurant nur zwei Euro gekostet“, verkündet er stolz. Das kann man so Raum stehen lassen. Oder aber man lässt den Misanthropen in mir noch ein mal zu Wort kommen und die Sachlage verachtend zusammenfassen: Naja, zwar etwas teurer als das Fassbier draußen – aber dafür ist ja wenigstens weniger drin… /hvg

29.04.2018 ETB SW Essen – TV Jahn Hiesfeld 2:1 (0:1) / Uhlenkrugstadion / 225 Zs.

Nach der Auswärtsniederlage des 1.FC Union Berlin beim SV Darmstadt 98 hat FUDU schnell Quartier in der Außenstelle Düsseldorf bezogen. Am Morgen nach der Pleite sitzen die niedergeschlagenen traurigen Helden FUDUs gemeinsam mit ihrem Gastgeber vor dem PC und haben das nächste Ziel vor der Brust: Essen.

Frühstück gibt es zwar keines, wenigstens aber eine Stadt mit ähnlich verheißungsvollem Namen in nächster Nähe. Serviceorientiert klickt sich der Düsseldorfer durch das Internet, um herauszufinden, auf welchem Wege und zu welchen Konditionen eine Reise in den Ruhrpott zu bewerkstelligen ist. Tapfer kämpft er hierbei gegen seinen Kater an, der wohl Goliath hieße, hätte er einen Namen. Recht bald steht die Erkenntnis im Raum, dass das Tarifsystem des Verkehrsverbundes mit all seinen Zonen dermaßen unübersichtlich daherkommt, dass unser Gastgeber die weiße Fahne hisst und dazu übergeht, uns einfach von der Anreise abzuraten. Oder, um es ein wenig eingängiger auszudrücken: Den Verkehrsverbund Rhein und Ruhr (VRR) verstehste nicht – trotz Hochschulabschluss und auch Abitur!

Im Hintergrund blättert derweil der Hoollege in einem Meisterwerk der 1960’er Jahre. Dr. Elvin Morton Jellinek klärt in seinem weltbekannten Essay „The Disease Concept of Alcoholism“ über die vier Phasen der Alkoholkrankheit mit ihren 45 Stufen auf. Die ersten 34 Stufen hat FUDU bereits locker erklommen, aber bei Schritt 35 muss man sich wohl oder übel ein Scheitern eingestehen: „Der Alkoholiker trinkt mit Leuten, die oft weit unter seinem Niveau liegen und mit denen er sonst keinen Kontakt hätte.“ Diese Form des „Unter-Stand-Trinkens“ kann nun nachweislich von der Hand gewiesen werden, da alle drei Anwesenden gleichermaßen zu doof sind, den VRR zu durchschauen. FUDU – alle auf einem Niveau! Da müssen wir wohl einen Schlauen in die Gruppe holen, um diesem dann den schwarzen Alkoholikerpeter zuschieben zu können…

Todesmutig entschließen sich der Hoollege und meine Person dazu, nach Alt (Prost!), F4 und endgültigem Abbruch der Recherche, die Anreise nach Essen dennoch auf uns zu nehmen. Während man in Berlin übrigens in 36 Minuten für 2,80 € mit der S-Bahn beispielsweise von Tegel bis zum Südkreuz gelangen kann (23 Kilometer), zahlt man für die Wegstrecke Düsseldorf → Essen (35 Kilometer, 33 Minuten Fahrzeit) geschmeidige 12,80 € mit der Regionalbahn. Vom Essener Hauptbahnhof gibt es zur Feier des Tages und der Preisgestaltung angemessen einen Schienenersatzverkehr in Richtung Stadtwald, den wir über uns ergehen lassen müssen. Nahverkehr in NRW bleibt Naja-Verkehr…

Stadtwald ist ein südlich der Innenstadt gelegener Stadtteil der Stadt Essen. Er wird dominiert von Wald- und Grünflächen und hat rein gar nichts mit dem Bild der grauen Ruhrgebietsstadt mit 583.393 Einwohnern zu tun, welches man gemeinhin vor Augen hat. Prunkstück des Stadtteils ist und bleibt aber das „Uhlenkrugstadion“, welches 1922 vom ETB Schwarz-Weiß Essen errichtet wurde und vor dem zweiten Weltkrieg bis zu 45.000 Zuschauer fasste. Im Rahmen eines Länderspiels zwischen Deutschland und Luxemburg war die legendäre Spielstätte im Jahre 1951 bis auf den letzten Platz ausverkauft. In den 1970er-Jahren wurde das Stadion vom DFB gesperrt, nachdem es wegen des Siegeszuges des Lokalrivalen Rot-Weiss (… am Uhlenkrug beherrscht man die deutsche Rechtschreibung, an der Hafenstraße nicht) an Bedeutung verloren hatte und stiefmütterlich behandelt nach und nach verfiel.

Heutzutage ist vom alten Glanz der Spielstätte die alte Haupttribüne, eine Stehplatzkurve hinter einem der beiden Tore sowie etwas mehr als die halbe Gegengerade übrig geblieben. Da der Rest zurückgebaut und renaturiert worden ist, ist die Kapazität des Stadions in der Zwischenzeit auf 9.950 Plätze gesunken. Diese 9.950 Plätze werden im Jahre 2018 jedoch nicht einmal ansatzweise benötigt – der ETB spielt nur noch in der fünftklassigen Oberliga Niederrhein, in der Regel vor nur wenigen hundert Zuschauern. Bedauerlich, da das wirklich schöne Stadion eine Menge Charme versprüht und jede Holzbank, jede schiefe Stehstufe und jedes abgeblätterte Stück Putz wunderbare Geschichten von Früher erzählen – beispielsweise vom DFB-Pokalsieg des ETB von 1959 oder den Aufstiegsspielen zur Fußball-Bundesliga anno 1967.

Am 29.04.2018 ist der TV Jahn Hiesfeld aus Dinslaken zu Gast, dem ich 2015 anlässlich des ersten Einsatzes von Mo Idrissou für den KFC Uerdingen einen Besuch abgestattet hatte. „Wer Biene’s (sic!) Bratwurst kennt, geht nicht fremd!“ steht über der Imbiss-Holzhütte des Stadions geschrieben. Leider ist Biene noch kein schmissiger Reim auf Sucuk eingefallen, dennoch entscheide ich mich bei meiner Mittagessenbestellung für die türkische Spezialität vom Grill und werde damit vollends zufrieden sein. Mit zwei frischen Stadionbieren beziehen wir Position auf der Gegengeraden und werden kurz darauf von den Schlachtenbummlern aus Dinslaken umstellt. Eine blonde Dame mit großer Sonnenbrille weckt mein Interesse und macht mich durch ihr fortwährendes Spiel mit den eigenen Haaren dermaßen nervös, dass ich mein halbes Bier über die Traversen gieße. Glücklicherweise eröffnet Schiedsrichter Szewczyk kurz darauf die Partie, sodass ich meinen Fokus auf das Wesentliche richten kann. 6. gegen 7. in der Oberliga, Essen laut Stadionheft mit einer Saison weit über den Erwartungen, aber der SV Straelen uneinholbar vorne – so weit die Eckdaten.

Bei den Gästen kennt man die Gataric-Zwillinge Dalibor und Danijel, die man als Arbeitgeber stets nur im Doppelpack erhält. Bereits in Oberhausen, Köln, Oggersheim, Worms, Lotte, Wuppertal und Hamm verdienten die fast 32-jährigen Eineier gemeinsam ihre Brötchen. Nur Hessen Kassel kam einst in das Vergnügen, nur einen Zwilling unter Vertrag nehmen zu dürfen. Nach 11 Spielen suchte Danijel dann aber wieder Dalibors Nähe.

Es bleibt genügend Zeit, sich auf solche Details zu konzentrieren. Der Fußball auf dem grünen Rasen wird zur Nebensächlichkeit. Die Sonne scheint, die Hosenbeine sind hochgekrempelt, die Socken ausgezogen. Jahn Hiesfeld startet ambitioniert in die Partie, versucht sein Heil auffällig oft über die Flügel, doch viele schöne Durchbrüche über die Außenbahnen führen nicht zum Erfolg, da der letzte Pass in die Mitte bzw. die Flanken zu ungenau sind. So muss ein fragwürdiger Elfmeterpfiff in der 25. Minute herhalten, um die Gäste zu der verdienten Führung zu verhelfen. Kevin-Dean Krystofiak verwandelt sicher.

Wenige Minuten später verpassen zwei Gästestürmer nach einer geschickten Freistoßflanke den Ball in aussichtsreicher Position nur äußerst knapp. Der nächste Angriff der Gäste verzeichnet dank einer Außenristflanke und einem Flugkopfball einen gewissen Aha-Effekt, jedoch nichts zählbares für die Anzeigetafel. Heimcoach Manni Wölpper hat dennoch genug gesehen und entscheidet sich nach 30 Spielminuten für einen Doppelwechsel. Erst jetzt kommt Starstürmer Marvin Ellmann in die Partie, der mit 28 Toren die Schützenliste der Oberliga anführt.

In der 32. Spielminute macht Schiedsrichter Szewczyk seinen kleinlichen Elfmeterpfiff wieder wett und beschenkt auch den ETB mit einer klassischen Konzessionsentscheidung. Torjäger Ellmann lässt sich nicht zwei Mal bitten und verwandelt eiskalt zum 1:1. In der letzten Viertelstunde der ersten Halbzeit verzettelt sich der ETB oft in kleinteiligen Aktionen, doch wenigstens gelingt es den Schwarz-Weißen, die schnellen Offensivaktionen der forschen Gäste besser zu unterbinden.

Nachdem die Dinslakener Reisegruppe hinter uns in der Halbzeitpause ausführlich über die zu hohen Preise des Katholikentags in Münster debattiert hat, setzt die „hübsche Schwedin“, wie ich sie mittlerweile nenne, ihre überdimensionierte Sonnenbrille ab. Ich bin einigermaßen geschockt. Um es mit so wenig Verachtung wie möglich zu formulieren: Die Brille hat ihr gut getan. Oder aber: Schade um das Bier.

Am Stadtwald setzt ein mittelschwerer Pollenflug ein. Ich kämpfe gegen allergische Begleiterscheinungen, auf dem grünen Geläuf vor uns kämpfen alle Akteure vogelwild gegeneinander, ohne auch nur ansatzweise irgendeine Linie für das eigene Spiel zu finden. Schwarz-Weiß verzeichnet zwei-drei schlecht ausgespielte Halbchancen – mehr hat das Spiel nicht zu bieten. Einzig und allein das Wetter bleibt stabil und straft die Wetterfrösche Lügen, die heute wesentlich mehr Wolken und sogar Regen erwartet hatten.

Nach und nach wächst der Druck des ETB, der heute unbedingt einen Dreier einfahren mag und sich auch nach dem 30. Spieltag „die beste Heimmannschaft der Liga“ nennen will. Athanasios Tsourakis, Spitzname „Malaka“, lässt in der 85. Minute eine 100%ige Torchance liegen. Kurz darauf setzt dann endlich der versprochene Regen ein, der Pollenflug wird eingedämmt und Fechner verwandelt nach einer mustergültigen Flanke per Kopf (89.). Der Torjubel der Spieler vor der Kurve ist weniger von der Freude über das Tor an sich, sondern eher von der Freude über trainingsfreie Tage bis Donnerstag gekennzeichnet. Kurz muss Manni Wölpper, der vielleicht insgeheim auch auf ein paar Tage Zeit für sich und seine Heiopeis in der Trinkhalle gehofft hatte, noch einmal zittern, doch ein Jahn-Angreifer scheitert in der Nachspielzeit aus vier Metern freistehend vor dem Tor.

Das Spiel wird abgepfiffen. Die ohnehin „nicht mehr so hübsche Schwedin“ zieht sich einen furchtbaren Mantel über und die Verwandlung vom Topmodel zur biederen Landpomeranze ist innerhalb von lediglich 90 Minuten abgeschlossen. Junge, der Ruhrpott kann einen schon kaputt machen…

… genau, wie es der Fußball kann. Wenn der eigene Herzensverein verliert, kann einem das schon das Wochenende versauen. Eine interessante Taktik hiergegen scheint ein Essener Fußballfreund entwickelt zu haben, der an seinem Auto auf dem Stadionparkplatz gleich sechs Vereinsembleme angebracht hat. Schalke, Bayern, Hannover, Bremen, Köln UND Darmstadt 98. Ja, freu dich halt, du… du… du… Opportunist!

Wir hingegen versuchen es fortwährend mit der Ablenkungstaktik. Sich nicht unterkriegen lassen. Erlebnisse sammeln. Es zieht uns daher nach Oberhausen, wo am 30.04. die Biergarteneröffnung des „(Jugend-)Kulturzentrums Druckluft“ ansteht. Leider macht das Wetter dem Ganzen einen gehörigen Strich durch die Rechnung, da bei gefühlten 8 Grad und Windstärke 9 wenig Biergartenstimmung aufzukommen vermag, trotzdem bleibt uns das Konzerterlebnis am Abend. „Super Besse“ aus Minsk bringen die Bude mit netten 80’er-Jahre-Beats zum Kochen und mein heißgeliebter youtube-Zufallsfund „Human Tetris“ aus Moskau nutzt die überraschend gute Soundqualität des kleinen Schuppens in Perfektion. Wirklich ein gelungener Konzertabend, der obendrein den rumänischen Kassenwart in Verzückung versetzt. Eintritt: 0 €.

Am 01.05. steht die Weiterreise zur „Revolutionären 1. Mai Demo“ in Berlin auf dem Programm. Da ich als „Altlinker“ (→ Jugendkulturzentrum Druckluft) in der Zwischenzeit gehörig in die Jahre gekommen bin und der Weg aus dem Ruhrgebiet nach Berlin wirklich weit ist, entscheide ich mich für eine Anreise im Flugzeug. Kampf dem Kapital, nieder mit der Deutschen Bahn! Recht schnell fällt mir dieser Plan am Flughafen Düsseldorf auf die Füße, da niemand geringeres als Jens Spahn zu den Mitreisenden zählt. Selbstverliebt blättert der wohl schlimmste Schmierlappen, den die CDU je hervorgebracht hat, durch die Gazetten und liest Artikel über sich selbst. Wenn’s am 01.05. irgendeine Motivation braucht, um auf die Straßen zu gehen – ein Blick in die Visage dieses asozialen Konservativen sollte genügen.

In Berlin angekommen, brauchen der Hoollege und ich erst einmal ein Bier, um diesen Schock zu verdauen. Ich schlage vor, am Kurt-Schumacher-Platz einzukehren und an einer Imbissbude ein „Schultheiss“ zu verköstigen, während die Flugzeuge im Sinkflug auf den innerstädtischen Flughafen Tegel einem so nahe kommen, dass man das Gefühl hat, man könnte diese mit ausgestreckten Armen berühren.

Mit ebenso ausgestrecktem Arm sitzen zwei Wutbürger ebenfalls Bier trinkend am Nachbartisch und spulen die ganze Palette des biodeutschen Vollversagers ab. Flüchtlinge, Ferkel, Führer, früher hätte es das nicht gegeben. Wir schütten das kleine Bier gequält und so schnell wie möglich in uns hinein und erklären die Znojmo-Wiener Neustadt-Wien-Wels-Aschaffenburg-Darmstadt-Düsseldorf-Essen-Oberhausen-Reise abrupt für beendet. Was uns just in diesem Moment nicht bewusst ist: Jellineks Punkt 35 wäre somit endlich abgehakt – wir haben mit Menschen unter unserem Niveau getrunken! Punkt 36 beinhaltet dann die „Zuflucht zu technischen Produkten wie Haarwasser, Rheumamittel oder Brennspiritus“. Und, Freunde, da bin ich raus! /hvg

27.04.2018 Sportverein Viktoria Aschaffenburg – SC Eltersdorf 3:0 (1:0) / Stadion am Schönbusch / 2.434 Zs.

Noch nicht all zu viele Stunden sind ins Land gegangen, seit sich unser Bengel mit dem langen Schwengel abschätzig über einige freche Tschechen äußerte, die schon am frühen Morgen dem Alkohol verfallen waren. Wie dünn dieses Eis war, stellt sich bereits am Folgetag heraus, als die Schaufensterkrankheit in Wels erbarmungslos zuschlägt. Wie gelähmt erstarrt der Hoollege vor dem Bierregal und sabbert sich in die Barten. Der Kopf ist flachgedrückt, das Maul breit (Quelle: Wikipedia) und die Weiterfahrt nach Aschaffenburg wird angesichts der „25% auf Bier“ kurzzeitig in Frage gestellt.

Es ist 8:09 Uhr in Oberösterreich. In Berlin verbleiben noch 90 Minuten bis zur Abfahrt meines Zuges. Dank einer eingelösten Freifahrt hatte der rumänische Kassenwart die Anreise nach Darmstadt mit Aufenthalt in Aschaffenburg bedenkenlos durchgewunken und glücklicherweise hat die Deutsche Bahn in der Zwischenzeit eine kleine Baustelle inmitten meiner Reiseroute platziert. So komme ich in den Genuss des heiß und innig geliebten „Zugbindung aufgehoben“-Stempels und kann meine Anreise dank der freien Zugauswahl mit der des Hoollegen synchronisieren.

In Aschaffenburg werden wir am Abend Gäste eines „Rekordspiels“ sein. Über 1000 Karten hat die gastgebende Viktoria bereits im Vorfeld der Partie abgesetzt. Neben des Aufstellens eines neuen Zuschauerrekords der beiden Bayernligen soll heute auch ein vorentscheidender Schritt in Richtung Meisterschaft und Aufstieg in die Regionalliga gegangen werden. Den bisherigen Rekord hält übrigens der DJK Vilzing mit 1.850 Zuschauern, was Vorstandssprecher Stenger dazu animiert, in eine Wette mit Bürgermeister Herzing einzutreten. Kommen weniger als 2.018 Zuschauer, muss Bürgermeister Herzing einen Tag lang im Trikot der Aschaffenburger arbeiten, kommen mehr als 1.901 Zuschauer, erhalten alle Fans eine „Überraschung“. Fetti wedelt aufgeregt mit dem Ringelschwanz: Freunde, hier riecht’s nach Freibier!

Vorher gilt es jedoch noch die Fahrkartenkontrolle der mürrischen Zugbegleiterin zu überstehen. Die Funktion des Stempels kennt sie nicht, sodass ich Rechenschaft darüber ablegen muss, warum ich mit meiner Freifahrt im falschen Zug sitzen würde. Beim Augenrollen aufgrund ihrer Inkompetenz fällt mein Blick auf ihr Namensschild am Revers. Ich habe es also mit „Frau Doktor“ zu tun. Ob sie in ihrem Leben wohl schon einmal schlechte Scherze über sich ergehen lassen musste?

Nach hartem Kampf mit mir selbst habe ich es geschafft, die gute Frau passieren zu lassen, ohne mich für die Behandlung zu bedanken. In Nürnberg nehme ich den Hoollegen in Empfang. Da dieser ein echter Kumpel ist, führt er einen gut gefüllten Sechsterträger mit österreichischen Bierspezialitäten mit sich, die er paritätisch teilt. Wels eine Freude! Auch in Aschaffenburg reißt meine Glückssträhne nicht ab und nur wenige Sekunden nachdem das Reisegepäck verschlossen worden ist, finde ich in einem Nachbarschließfach einen Euro in bar. Der Plan, alles hinzuschmeißen und eine Karriere als Obdachloser zu starten, wird als nicht wasserdicht genug verworfen und schon zieht es FUDU zwecks Sightseeing in die unterfränkische Stadt, die sich im Volksmund „Aschebersch“ schimpft.

70.000 Einwohner, Fachwerkhäuser, Altstadtgässchen, Kirchtürme. Etwas irritierend ist der Hamburger Fischmarkt, der rund um das Schloss Johannisburg aufgebaut und durch die Bürger und Bürgerinnen Ascheberschs abnorm gut besucht ist. Uns spielt jedoch genau das in die Karten, da die wesentlich attraktivere Schlossanlage sowie die Uferpromenade entlang des Mains somit beinahe menschenleer sind und zum Verweilen einladen.

Kurz darauf packt uns jedoch der Bierdurst samt Mittagshunger. Nachdem uns die „Brauerei Schlappeseppel“ auf’s Übelste dadurch enttäuscht, entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung lediglich „Faust“ auszuschenken, finden wir im benachbarten „Biersepp“ einen schönen Sitzplatz in der Sonne. Hier gibt es das lokale „Schlappeseppel“ in mehreren Varianten vom Fass und kurz darauf machen sich die beiden schlappen FUDU-Seppel über Pils und Kellerbier her. Hmm, das geht runter wie ein dickes Kind auf der Wippe! Und endlich hat also auch der hühnerbrüstige Teil FUDUs seinen Biersponsor gefunden…

Beim „Biersepp“ habe sie u.a. „Käs und Oliv“ auf der Kart und während ich den einen oder anderen Buchstaben schmerzlich vermisse, klärt uns der Wirt auf Nachfrage auch schon über die Provinzposse in der Nachbarschaft auf. Die „Faust“-Brauerei aus dem unterfränkischen Miltenberg erobert mit Dumpingpreisen den Aschaffenburger Markt. Leider bestimmt in der „Brauerei Schlappeseppel“ nicht der Wirt darüber, welches Bier er ausschenkt, sondern der Vermieter. Die Besucherzahlen des benachbarten Lokals sprechen Bände, was die Aschaffenburger von dieser Praxis halten. Während unsere Terrasse bis auf den letzten Platz besetzt ist, herrscht nebenan gähnende Leere.

Gut gesättigt nehmen wir im Anschluss den Schlossherren in Empfang und klappern die Sehenswürdigkeiten erneut ab, ehe wir uns fußläufig in Richtung des Stadions am Schönbusch begeben. In der waldigen Umgebung des Stadions belästigt mich kurz die Arbeit und erinnert daran, sich bitte an einem Brainstorming zu beteiligen. Gesucht wird ein Slogan für eine Luftballonaktion anlässlich eines Nachbarschaftsfests im Juni. Die Kreativköpfe FUDUs nehmen sich der Sache an und keine zehn Minuten später sind zwei Favoriten auserkoren: „Buch – zwischen Plattenbauten passt nur Engstirnigkeit“ und „Buch? Da buch‘ ich lieber Urlaub!“ werden demnächst Erfolg versprechend in den Wettbewerb geschickt.

Das Lachen bleibt uns kurz darauf im Halse stecken, als wir nach Zahlung des Eintrittsgeldes dazu gedrängt werden, blaue Plastiktröten an uns zu nehmen. DAS also soll die groß angekündigte Überraschung sein? Trotz mehrmaliger Verneinung jedweden Interesses an dem Geschenk unsererseits gibt ein Helfer des SPVA alles und rennt uns mit den nervtötenden Stimmungselementen so lange hinterher, bis wir uns erbarmen, ihm diese abzunehmen und wenige Meter weiter fachgerecht in einem Mülleimer zu entsorgen. Gegen Freibier hätten wir uns nicht so lange gewehrt, ihr Amateure.

Im recht weitläufigen Stadionareal entsteht bei bestem Sonnenschein schnell eine angenehme Biergarten-Atmosphäre. Der Hoollege, seinerseits ausgewiesener Musikfachmann, entscheidet sich für den Einkauf einer Schallplatte für 2,00 €. Stolz berichtet der Verkäufer, dass diese erst vor wenigen Tagen beim Aufräumen in einem Keller gefunden worden wäre und nur noch 200 Exemplare hiervon existieren würden. „We are blue, we are white, we are Schönbusch Dynamite!“

Das wunderbare Stadion, bestehend aus zwei freistehenden Tribünen hinter dem einen Tor, einer sandigen Stehplatz-Gegengeraden, weiteren Stehplätzen hinter dem anderen Tor, einer zeitlos schönen LED-Lichtpunkt-Anzeigetafel im Stile des „Bundesliga Manager Hattrick“ an der Eckfahne und einer langweiligen Stahlrohrtribüne, die offenbar irgendwann einmal aus Kostengründen eine echte Haupttribüne ersetzen musste, füllt sich zusehends.

Damit die Vorfreude auf das Spiel nicht überzogen groß wird, fordert der Stadionsprecher die Zuschauer dazu auf, die vermaledeiten blauen Tröten zu nutzen und erinnert an die WM 2010. Ja, ich erinnere mich auch. War damals schon scheiße. Noch schlimmer wird es kurz vor Anpfiff, als der Stadionsprecher zur einmütigen „Klatschchallenge“ mit dem TV Großwallstadt bittet und im Anschluss an das halbherzig durchgeführte Applaudiere die Rhein Neckar Löwen und das Helene-Fischer-Publikum in Mannheim nominiert, selbigen Unsinn zu tun.

Von all den Qualen und Grausamkeiten erlöst uns dann ein anhaltend gutes Musikstück der Kinks, welches hier als gelungene akustische Untermalung des Einlaufs der Heimmannschaft dient. Als Schiedsrichter Grimmeisen die Partie freigibt und es endlich um das Wesentliche geht, sind wir schnell mit allem versöhnt. Es gibt einfach nichts schöneres, als unseren geliebten Sport bei Sonnenschein in einem richtigen Fußballstadion mit Bier in der Hand stehend zu bewundern.

Nach sieben Minuten geht Aschaffenburg durch Daniele Toch aus stark abseitsverdächtiger Position mit 1:0 in Führung. Die 2.434 Zuschauer (Rekord eingestellt!) sind vollends aus dem Häuschen und pushen ihre Viktoria zu weiteren guten Gelegenheiten. Nach 13 Minuten verfehlt Top-Torschütze Schnitzer (30 Saisontore in 30 Einsätzen) sein Ziel nur knapp, vier Minuten später rettet Eltersdorf-Keeper Akbakla dank eines blitzartigen Reflexes in höchster Not und spätestens nach 33 Minuten hätte Viktoria nach einer Doppelchance höher in Führung liegen müssen.

Das regelrecht überrannte Eltersdorf versucht sich mit Mühe und Not in die Halbzeitpause zu schleppen, scheitert aber auch mit diesem Unterfangen. Daniele Toch schraubt das Ergebnis in der 41. Minute hochverdient in die Höhe. Die Gäste werden nur einmal auffällig, als es ihnen mit dem einzigen Torabschluss des ersten Spielabschnitts gelingt, den Ball über das Hintertortribünendach zu jagen.

Die Halbzeitpause nutzt Gästetrainer Bernd Eigner (FC St. Pauli, Arminia Bielefeld, Hannover, Braunschweig, Paderborn) dazu, seine Mannen neu zu sortieren. In Folge wird der SCE offensiver und mutiger agieren, jedoch ohne zu nennenswerten Abschlüssen zu kommen. Die Heimelf von Trainer Jochen Seitz (Unterhaching, VfB Stuttgart, Schalke, Kaiserslautern, Hoffenheim) verliert dennoch ihre Linie und braucht gut 30 Minuten, ehe sie wieder alles fest im Griff hat. Eine eher maue zweite Hälfte trudelt so vor sich hin, während die untergehende Sonne für angenehme Lichtspiele und schöne Fotomotive sorgt. Aufgrund des fehlenden Flutlichts finden die letzten 15 Minuten der Partie im Halbdunkel statt, was Aydin nicht daran hindert, den einzigen klaren Angriff Viktorias der zweiten 45 Minuten zum 3:0 abzuschließen. Torjäger Schnitzer zeigt sich von den Lichtverhältnissen deutlich verunsicherter und verpasst es, per 11 Meter in der Nachspielzeit auf 4:0 zu erhöhen.

Nach Abpfiff leert sich das Stadion recht zügig. Obwohl der Aufstieg in die Regionalliga Bayern so gut wie sicher ist, ist heute wenig Euphorie zu spüren. Die Spieler feiern dann auch eher mit ihren Frauen auf der Haupttribüne als mit ihren Fans auf der Geraden, während einige übermotivierte Kinder die letzten Töne aus den blauen Tröten quetschen.

FUDU zieht es vor der Weiterfahrt noch schnell in die „Stadtschänke“, die gar nicht bayrisch uriger aussehen könnte. Nur die asiatischen Kellnerinnen in Trachtenkleidung sowie der chinesische Bierzapfer dürften dann doch eher als atypisch für eine solche Lokalität bezeichnet werden. Ein Gast kann diese Verwirrung nicht aushalten und erfragt, wie die Familie in den Besitz dieser traditionellen deutschen Gaststätte gelangt sei. Die Antwort könnte aus einem „Tatortreiniger“-Drehbuch stammen: „Altel Besitzel tot – wil jetzt hiel!“. Wunderbare Realsatire. Wir kommen wieder. Spätestens, wenn es hier 25% auf Bier gibt… /hvg

25.04.2018 1.SC Znojmo FK – FK Fotbal Třinec 0:2 (0:2) / Městský stadion v Horním parku / 380 Zs.

Leicht lädiert geht es am Mittwoch weiter in Richtung Südmähren. Für umgerechnet sehr faire 7 € – natürlich gebucht über die tschechische Bahn – heißt mein Ziel Znojmo. Billig heißt zwangsläufig leider auch immer früh und mit Umstieg. So verlässt der EC 104 nach Gdynia um 8:10 Uhr mit mir an Bord den Wiener Hauptbahnhof und bereits 54 Minuten später steige ich in Břeclav auch schon wieder aus.

Diese Stadt ist dem Wiener nicht unbekannt, immerhin steht hier die Ziegelei, welche die Ziegel für den Stephansdom lieferte. Meine Umstiegszeit von einer halben Stunde nutze ich, um die nähere Umgebung des Bahnhofs zu erkunden. Neben dem Denkmal zur Befreiung Břeclavs von den Nationalsozialisten, dem Postamt, einem Kreisverkehr und einer Kapelle (Anmerkung der Redaktion: Man, wovon diese Stadt alles befreit werden musste…), gibt es noch die Bahnhofspinte „Lokálka“ zu begutachten. Zwei freche Tschechen sitzen auch schon in der Morgensonne und genießen frischgezapftes „Starobrno“. Zum Glück bin ich dann doch nicht der Alkoholiker, für den mich alle halten – oder den ich gern gebe – denn ich verzichte auf ein Pivo und suche lieber mein Gleis.

Dies ist auch gut so, denn der Zug fährt früher los als geplant und auch nur bis Valtice und ab da geht es per Bus weiter. Ich bin zum ersten Mal in der Region Südmähren und damit erstmalig in der wichtigsten Weinanbauregion des Landes. Hier dominiert definitiv der Rebstock, die Hopfendolde hat hier nichts zu melden. Sei es im Landschaftsbild (Weinberge) oder auch im Bezug auf die „Restaurace“, welche vor den Läden lieber mit Schildern auf die üppige Weinauswahl hinweisen als auf Bier. Von der Seite her gar nicht mal schlecht mit dem Bus übers Land zu fahren, hätte man sonst wohl so nicht mitbekommen. Ab Novosedly geht es dann per Ferkeltaxe wieder auf die Schiene für die letzten Kilometer Richtung Znojmo.

Auch in Znojmo lässt man mich wieder deutlich früher ins Zimmer. Als erstes checke ich natürlich die Musiksenderauswahl. „Ockro Gold“ gibt es, passt. Aber bis auf „Downtown“ von Macklemore & Ryan Lewis kommt nicht viel brauchbares, daher entscheide ich mich für die Einkehr in das Hotelrestaurant. Nach Forelle, Kartoffelsalat und zwei „Bernard“ Piva laufe ich in die Stadt. Nachdem FUDU-Tours in Jihlava schon in der Stadt war, in der sich die zweitlängsten unterirdischsten Labyrinthe befinden und da wir uns bekanntermaßen nicht mit der Nummer Zwei zufrieden geben, bin ich heute in der Stadt mit den längsten unterirdischen Gängen (~ 27 Kilometer lang, auf vier Ebenen), welche witzigerweise mit Unterstützung von Bergleuten aus Jihlava entstanden. Aber auch über der Erde hat die Stadt einiges zu bieten und da das Wetter, wie gestern in Wien, mit frühlingshafter Kurzer-Hosen-Wärme überzeugt, bleibe ich lieber in der Sonne. Der erste Weg vom Hotel weg führt mich durch den Stadtpark. Eine lange Baumallee führt durch den Park, über diesen Weg erreicht man in schöner Umgebung aus der Unterstadt die Oberstadt, die ab dem Komenský-Platz beginnt. In der Mitte steht ein Obelisk zu Ehren von Karl von Kopal (Offizier, Teilnehmer an der Völkerschlacht, ging in Znojmo zur Schule) mit der Siegesgöttin Nike auf der Spitze. Allerdings ist viel wichtiger, dass hinter dem ansehnlichen Eckhaus am Platz, ein Flutlichtmast in den Himmel ragt.

Hinter dem Platz befindet sich das „Městský stadion v Horním parku“ (sinngemäß auf Deutsch: Städtisches Stadion im oberen Park), dieses ist unverschlossen und so verschaffe ich mir bereits drei Stunden vor Anpfiff einen Überblick. Das Stadion verfügt über eine überdachte Hauptribüne, eine unüberdachte Hintertor-Kurve, die bis zur Mittellinie reicht und einen gut gesicherten Gästekäfig auf der Gegengerade, man weiß ja schließlich nie wann die notorische Fahrstuhlmannschaft Banik Ostrava mal wieder mit allen Mann vorbeischaut. Das Stadion wurde vor 60 Jahren eröffnet und 2014 komplett saniert. Sanierungsgrund war, dass die Mannschaft 2013/14 erstmals in der ihrer Geschichte erstklassig spielte, aber das Stadion nicht den Anforderungen der Gambrinius Liga genügte. Daher musste der 1.SC Znojmo seine Heimspiele im Srbská-Stadion in Brno und in Jihlava austragen. Das Stadion war am Ende der Saison erstklassig, die Mannschaft nicht, drei Punkte fehlten zum Klassenerhalt und so stieg man wieder in die FNL ab, in welcher man seitdem zweitklassig spielt. Die Besonderheit in diesem Stadion sind die Flutlichtmasten, welche sich seitlich abklappen lassen, ähnlich wie im Karl-Liebknecht Stadion in Babelsberg und vielleicht aus demselben Grund. In Brandenburgs Landeshauptstadt gehört der Park Babelsberg zum UNESCO-Weltkulturerbe und die Flutlichtmasten stören die Sichtachse vom Flatowturm auf den Park und die Stadt. Sehe ich natürlich komplett anders. Flutlicht? Ein „Mast have“! Der unvermeidliche Unionbezug zum 1.SC Znojmo ist übrigens Jiří Balcárek, welcher fünf Jahre Spieler bei Union und bis 31.1.18 für ein halbes Jahr Trainer in Znojmo war.

Ich laufe durch den restlichen Park dann noch in nördlicher Richtung und durch das Stadtzentrum. Wirklich ansehnlich, alte Stadtbefestigungen, diverse Kirchen und Klöster, Renaissancebauten, sozialistische Bauten wie das „Obchodní dům DYJE“, die für tschechische Städte typische Pestsäule, der Rathausturm und das alles ohne irgendwelche Touristenhorden. Eine scheinbar völlig und zu Unrecht unterschätze Stadt, aber mir soll es recht sein, nur vereinzelt sieht man den einen oder anderen Fahrradtouristen in zu engen Radlerhosen.

Danach kehre ich zum Stadion zurück und erhalte für 70 Kč eine hübsche Eintrittskarte. Am Versorgungsstand wird meine mit sehr viel Liebe auf Tschechisch vorgetragene Bestellung auf Deutsch abgewürgt und beantwortet. Als Dank gibt es eine sehr tote, aber trotzdem schmackhafte Klobasa und ein „Hostan“ Pivo. Dieses Bier wurde bis 2009 in Znojmo in den Stallungen der Vorburg auf dem Gelände der Přemyslidenburg gebraut. Die Produktion wurde nach Brno verlegt, weil der Weg zur Brauerei durch die enge (mittelalterliche) Altstadt unzumutbar für die Bierkutscher und Zulieferer wurde. Schmecken tut es trotzdem und ich suche mir einen schönen Platz zum obenrum blank ziehen in der Sonne.

Vier Fans haben den dreistündigen Weg aus Třinec nach Znojmo auf sich genommen. Die Mannschaft wiederum legte die Strecke mit dem Bus ihres örtlichen Eishockeyteams, dem HC Oceláři Třinec, zurück. Den Gästefans stehen auch nur sechs mehr oder weniger aktive Fans der Heimmannschaft gegenüber, beziehungsweise stehen sie eher nebenan. Ansonsten ist hier auch nicht so viel los, nur 380 Zuschauer befinden sich im Stadion und eigentlich fällt mir nur ein rothaariger Tschechenbengel mit Dynamo Dresden Klamotte negativ auf, allerdings irgendwie passend zum ehemaligen Polizei- und Armeeclub aus Znojmo. Den Anstoß begleiten die Gästefans mit einem Trommelwirbel und Schlachtrufen und auch sonst kann man ihnen eine gute Mitmachquote attestieren, meist liegt sie zwischen 75% – dann ist einer Bier holen – und 100%, wenn alle am Start sind.

Die Heimmannschaft beginnt gut und hat in Person von Jakub Teplý die erste Chance, allerdings zeigt der Třinec-Keeper einen starken Reflex. Kurz danach schießt Javůrek neben das Tor und etwas später trifft er den Pfosten. Třinec lässt sich die Heimmannschaft 20 Minuten lang austoben, ehe Samiec den Stürmer Lukáš Buchvaldek auf die Reise schickt, dieser seine Hüfte gegen den Verteidiger gut einsetzt und dann den Ball zum 1:0 versenkt. Der Gast hat jetzt alles im Griff und durch Vaněk aus guter Freistoßposition die Chance zu erhöhen, allerdings über das Tor. Besser macht es mal wieder Buchvaldek, diesmal allerdings als Vorbereiter für den Slowaken Ilko. Dieser erhöht mit einem strammen Schuss auf 2:0, wobei der Ball dem Torhüter irgendwie komisch durchrutscht. Die zwei-Tore-Führung nach einer halben Stunde ist kaum gefährdet bis zum Halbzeitpfiff, nur eine Halbchance bekommen die Hausherren noch kreiert.

Neben dem obligatorischen Weg zum Bierstand, verbringe ich die Halbzeitpause damit, die letzten Sonnenstrahlen zu erhaschen und ein wenig zu dösen, während die Sonne nach und nach leider durch die angrenzende Sporthalle verdeckt wird.

Třinec hingegen ist auch in der zweiten Halbzeit wacher, weiß was es kann und spielt schnörkellos weiter und hat auch relativ fix die Chance zum 3:0. Der Schuss wird noch von der Linie gekratzt, vorher hatte Juřena den Keeper schon umkurvt. Viel mehr als nötig machen die Gäste offensiv dann aber auch nicht, stehen hinten recht sicher und so hat Znojmo auch nur noch eine Chance, besser gesagt eine Doppelchance, bestehend aus Lattentreffer und anschließendem Seitfallzieher. Die Heimfans nehmen es eher gelassen, viel erwartet man hier scheinbar nicht von der Heimelf. Selbst die beiden Typen vor mir im MANOWAR „Warriors of the world united“- und im ITACS (Israeli Tactical And Combat System) Shirt bleiben eher relaxt. Nach der verhinderten Vorentscheidung, Masař scheitert an Znojmos Keeper Koukala, schwächt sich die Heimmannschaft selbst, als Teplý nach einer Tätlichkeit mit Rot vom Platz fliegt und keine weiteren Chancen dazukommen. Das war es dann auch, die Gastmannschaft macht noch ’ne Welle vor ihren Fans und ich verlasse das Stadion.

Nach dem Spiel laufe ich zur Přemyslidenburg, auf dessen Gelände sich die frühmittelalterliche Rotunde St. Katharina befindet. Diese ist für ihre romanischen Fresken berühmt und somit eines der wertvollsten Denkmäler der Stadt. Zuerst erreiche ich die Vorburg mit der ehemaligen „Hostan“ Brauerei und siehe da, es wird wieder fleißig auf dem Brauereigelände geb(r)aut. Denn die „Znojemský městský pivovar“ (Stadbrauerei Znojmo) hat die Gebäude übernommen und stellt dort vier verschiedene Biere her. Allerdings wird auf dem Brauereigelände noch recht viel gebaut und man kommt nicht wirklich nah ran. Aber dafür gibt es auf dem Burgareal noch das „teraZa u Rotundy“, ein Bistro mit einer großen Terrasse.

Von dort hat man einen wunderschönen Blick auf die Stadt, den Fluss Dyje und das Znojemský Viadukt, über welches ich mich morgen mit dem Zug wieder in Richtung Österreich und dann weiter nach Aschaffenburg bewegen werde. Vorher aber soll genügend Zeit bleiben, um das örtliche Pivo und den Sonnenuntergang zu genießen… /hool

24.04.2018 SC Wiener Neustadt – Austria Lustenau 2:2 (1:1) / Wiener Neustädter Stadion / 750 Zs.

„Es is zum Krenreibn“, denke ich mir, als endgültig feststeht, dass niemand mit mir das Vorspiel – oder besser gesagt die „Vorspiele“ – vor dem Auswärtsspiel in Darmstadt besucht. So muss ich Wien und Znojmo als Solonummer bestreiten. Hoolger werde ich erst am Freitag in Aschaffenburg treffen, er braucht die Tage davor um den Fortbestand seiner Präventionsgruppe zu sichern. Da ich in meiner Urlaubsplanung für 2018 nicht beachtet habe, dass es bei Nadjuschka Veranstaltungen gibt, die nur in den geraden Jahren stattfinden, muss sie leider ebenso passen. Mein Vater, frisch pensioniert, bricht sich nach dem Spiel VSG Altglienicke – Chemie Leipzig den Fuß. Auf der Suche nach dem richtigen Abfahrtsgleis während der Umbaumaßnahmen am U-Bahnhof Alexanderplatz war er umgeknickt. Eine weitere Hiobsbotschaft: das FAC Team für Wien hat sein Spiel schon am gestrigen Montag gegen Ried (2:4) ausgetragen und so bleibt als relevantes Spiel nur noch Wiener Neustadt gegen die Austria aus Lustenau übrig. Als Alleinreisender kommt also eine unattraktive Spieloption hinzu und das in der optionsreichen Stadt Wien und seinem Umland. Gut, das FAC Team und das dazugehörige Stadion sind auch keine Wonne, aber der Club hat wenigstens einen geilen Namen und das Stadion liegt in Wien.

Diese Wiener Neustadt führt auch zu einem mittelschweren Skandal am Infoschalter des ÖPNV am Flughafen Wien-Schwechat, denn auf die Frage, ob ich in die ominöse Neustadt mit einer Tageskarte der Wiener Linien fahren kann, gibt sie mir nur die angewiderte Antwort: „Dies ist schon Niederösterreich!“. Ich hebe nur entschuldigend die Arme, denke „FAC you“, zahle den Mehrbetrag und setze mich in den Zug in Richtung meines Hotels in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs. Dort werde ich weitaus freundlicher empfangen und kann schon deutlich vor der Eincheckzeit in mein Zimmer.

Da im Rahmen des Union Sommertrainingslagers 2014 in Wien zu tropischer Hitze die typischen Touri-Ziele abgeklappert wurden, kann ich mich am heutigen Tag auf das Wesentliche konzentrieren. Da erst um 18:30 Uhr im gar nicht mal so attraktiven Stadion Wiener Neustadt der Anpfiff ertönt, möchte ich vorher noch die Naturarena Hohe Warte (First Vienna FC) und den Wiener Sport-Club Platz besichtigen (oder neu„deutsch“: spotten).

Die Naturarena liegt in Döbling (19. Bezirk) und um dorthin zu gelangen, laufe ich durch den Karl-Marx-Hof. Diese Wohnanlage wurde 1930 fertiggestellt und galt damals als Antwort auf die fehlenden, oder zumindest sehr kleinen und schlecht ausgestatteten Arbeiterwohnungen. So verfügten die Wohnungen der Höfe über Wasserentnahmestellen und WCs, was sonst nicht üblich war zu dieser Zeit. Die Siedlung gilt mit 1100 Metern als das längste zusammenhängende Wohngebäude der Welt. Nachdem FUDU in Sheffield die Siedlung „Park Hill“, welche heute als der größte denkmalgeschützte Gebäudekomplex Europas gilt, von außen gespottet hat, kann Fetti heute also ein weiteres Kreuz hinter architektonische Superlative machen.

Das Stadion liegt, wie der Name schon sagt, auf der Hohen Warte (Höhe rund 220 Meter), dies heißt für mich, dass es erst einmal bergauf geht. Die Temperatur ist für den April, den ich sonst so kenne, recht warm und so komme ich ins Schwitzen. Zusätzlich ist ein Blick von oben eher unspektakulär, weil begrünte Bäume und Sträucher einen Einblick von oben verhindern. Da es aber am Ende des Rundwanderwegs natürlich auch wieder nach unten geht und die Tore der Arena, dank stattfindender Bauarbeiten am Stadiondach, offen stehen, kann ich noch einen Blick ins Innere werfen. Noch nie hat Stahlrohr majestätischer gewirkt, wie auf der Böschung der Naturtribüne, dazu eine etwas brüchig wirkende Haupttribüne, schöne freistehende Flutlichtmasten, viel Grün und im Hintergrund der Radarturm. Da glüht die SD-Karte und ich überlege, ob FUDU-Tours eine Bildagentur eröffnen sollte und auch eine Idee für den Namen kann ich anbieten: Wie wär’s mit fettyimages?

Danach heißt es kurz mal für Gemüsesuppe, Original Wiener Chili con Carne und zwei Gösser ins Bistro einkehren, bevor ich die Bahn in Richtung des 17. Bezirks besteige.

Am S-Bhf Hernals schnell orientiert und nach kurzem Weg entlang der Hauptstraße sieht man hinter den wunderschönen Altbauten schon einen Flutlichtmast des Wiener Sport-Club Platz. Kurz darauf habe ich den „SPAR-Markt“ erreicht, der sich im Vorderhaus des Stadions befindet und so in die Hintertortribüne integriert ist. Das Eingangstor steht offen und schon stehe ich auf der Stehplatz-Gegengrade. Ja, dieses Stadion ist so schön wie in Günters Geschichten! Vier mit Patina überzogene Tribünen in verschiedener Größe und Bauart, architektonisch echt chaotisch, aber genauso schön. Ich hinterlasse noch einen Fetti auf einem Wellenbrecher auf der Friedhofstribüne, besuche noch die Keramikabteilung, vor der sich kein Stadionklo in Tschechien verstecken muss und nur kurz darauf sitze ich bereits in der Bahn Richtung Florisdorf. Von dort geht es weiter mit dem Regio in Richtung Wiener Neustadt.

Auf dem Weg hätte ich wetten können, gemessen an dem Stadionerlebnis, dass es der Wiener Sport-Club ist, der Pleite ist. Aber tatsächlich ist es die First Vienna. Dem deutschen Pokalsieger von 1943 geht es aktuell nicht gut, so wurde er in der laufenden Saison von der drittklassigen Regionalliga Ost in die fünftklassige 2. Landesliga versetzt und übernimmt dort den Platz der zweiten Mannschaft. Grund ist der Tod des Investors Martin Kristek und die damit einhergehende Insolvenz.
Eine Stunde vor Anpfiff komme ich an, passiere auf dem halbstündigen Weg zum Stadion touristische Highlights wie den Reckturm, die Erlöserkirche, die Mariensäule und den Liebfrauendom. Wirklich hübsch, hätte ich so von einer Neustadt in Niederösterreich nicht erwartet.

Am Stadion angekommen folgt die erste Enttäuschung, die Spielstätte heißt nicht mehr „Teddybären- und Plüsch Stadion“, sondern wird jetzt von einer steierischen Brauerei gesponsert. Die augenblickliche Recherche ergibt, dass das Stadion seit der Rückrunde an jedem Spieltag einen anderen Sponsorennamen trägt, bisher unter anderem „Scherz-Kogelbauer TZ-Baumanagement-Arena“, „#wirsindanders-Arena“ und „The Power Company-Stadion“.

Das Stadion kann natürlich nicht mit dem bereits am heutigen Tage Gesehenem mithalten. So gibt es eine überdachte Haupttribüne, gegenüberliegend eine Gegengrade mit unüberdachten Steh- und Sitzplätzen, die heute aber geschlossen ist und, wenn es denn welche gibt, den Gästen vorbehalten ist. Sichtbar dahinter befinden sich ein Einkaufszentrum und ein Parkhaus. Hinter dem einen Tor gibt es einen Graswall und hinter dem anderen einen Grünstreifen und etwas zurückgesetzt der Umkleidetrakt und den Imbiss. Das Stadion ist nicht bundesligatauglich und so müsste der Klub bei einem Aufstieg in die Landeshauptstadt nach St. Pölten umziehen. Daher soll bis Frühjahr 2019 ein bundesligataugliches Stadion an anderer Stelle errichtet werden. Finanziert werden soll es durch den Verkauf des Areals des aktuellen Stadions, hier sollen 400 Wohnungen entstehen.

Der erste Weg geht natürlich zum Bierstand, wobei sich der Zapfer präventiv für’s steirische Bier entschuldigt, haben halt keine städtische Brauerei. Das sehe ich als „Deitscha“ entspannt, die Hauptsache ist, dass ich kein Bier aus der Heimat im Ausland trinken muss, so wie es in Italien durchaus gängig ist, ich erinnere mich mit Grauen an „Lübzer“ in Monza und „Hacker-Pschorr“ in Modena.

Auf dem Grünstreifen, strategisch günstig in der Nähe des Zapfers, haben sich die drei Gästefans aus Vorarlberg positioniert. Zusätzlich in deren Nähe zwei SKBs, die verzweifelt nach ihrer Berechtigung suchen. Etwas dahinter, am Sockel einer Statue, stehen die örtlichen Grantler älteren Semesters. Die restlichen Zuschauer und einige Tauben befinden sich mit mir auf der Haupttribüne.

Die Haupttribüne trägt den Namen KR (Kommerzialrat) Friedrich Schmid-Tribüne, dieser ist Gründer der Firma BAUMIT (Grüße nach Jablonec nad Nisou!), welche auch der aktuelle Brustsponsor ist. Bei den Gästen hatte der (Viertelfinal-)Pokalheld und Ex-Unioner Daniel Ernemann bis 2017 einige Jahre zu tun (Spieler, Spielertrainer, Trainer) und aktuell ist der ehemalige Deutschland-Legionär Gernot Plassenegger Trainer. Dieser hat scheinbar die Mannschaft gut eingestellt, denn kaum habe ich meinen Platz eingenommen und einen Schluck getrunken, steht es schon 1:0 für die Austria aus Lustenau. Torschütze ist in der zweiten Minute Jodel Dossou (Jahödeldidü!). Danach wird die Heimmannschaft stärker, ohne erst einmal groß gefährlich zu werden. Gerade der Torjäger der Wiener Neustadt, Hamdi Salihi, hat einige gute Szenen und so ist er es, der nach einem geblockten Schuss an der Strafraumgrenze den Ball ins Eck schlenzt. Dies ist sein 18. Saisontreffer, damit ist er aktuell allerdings nur Zweiter im Kampf um die Torjägerkanone, denn sein Konkurrent Chappi (SV Ried) traf gestern dreimal und steht bei 20 Treffern. Kurzzeitig ist dadurch mal kurz Stimmung in der Bude, ansonsten steht am anderen Ende der Tribüne eine Handvoll Anhänger, die mich mit den übliche Melodien und Texten à la „…unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz…“ und „ ….schießt ein Tor für uns“ langweilen. Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit ist die Heimmannschaft besser, hat noch einige Chancen, aber es bleibt beim 1:1.

In der Halbzeitpause gibt es dann Neues aus der Kategorie C(ateringverlierer). Denn merke dir, depperter Piefke: eine Knacker mit Gebäck, ist übersetzt nicht mehr als eine kalte Bockwurst mit Schrippe. Recht widerlich, aber mit „Puntigamer“ lässt es sich einigermaßen gut herunterspülen und so geht in dieser Kategorie der Titel, auch mangels weiterer Anwärter, dieses Mal an mich.

Nach dem kulinarischen Schock wird auch die Heimmannschaft geschockt, denn in der 54. Minute geht die Austria wieder in Führung. Canadi haut den Ball per direktem Freistoß unter die Latte. Kurz danach wechselt die Heimmannschaft einen weiteren Stürmer ein und kann so nochmals den Druck erhöhen und fünf Minuten später geht Grucic mit der Hand im Strafraum zum Ball – Elfmeter! Natürlich tritt Salihi an und verwandelt eiskalt (19. Saisontor). Zwischen der 60. und 70. Minute wird das Spiel intensiv geführt, beide Mannschaften wollen den Führungstreffer, Lustenau ist auch mal wieder näher dran, aber Dorn vergibt eine 100%ige Chance und trifft nur das Außennetz. In den letzten 20 Minuten hat die Wiener Neustadt noch beste Chancen (76., 80.), aber die Luft ist irgendwie raus. Der Ex-Neustädter Sandro Djuric dann ebenfalls, denn er schafft es innerhalb der letzten drei Spielminuten zwei taktische Fouls zu begehen und fliegt mit der gelb-roten Karte runter. Dann ist Schluss, die Gästespieler, einige haben scheinbar familiären Bezug zu Wien, plauschen noch mit ihren Angehörigen; Plassenegger schwatzt mit den drei Gästefans.

Nach dem Spiel überklebe ich noch ein Dynamo Dresden Pickerl, während ich zum Bahnhof hetze. Den Zug (21:11 Uhr) schaffe ich locker, aber mein primäres Ziel: den Bahnhofsshop (schließt um 21:00 Uhr) erreiche ich erst um 20:56 Uhr und erst nach kurzer Diskussion darf ich noch ein „Egger Bier“ kaufen. Im Zug entdecke ich in einer liegengeblieben Zeitung, dass Ex-Unioner Markus Kernal und Brieffreund von Heinzi beim Schlusslicht der 1. Fußball-Landesliga (dem ASV Spratzern) nach nur sieben Spielen entlassen wurde.

Zusätzlich gibt es noch die Meldung, dass ab Freitag am Praterstern öffentliches Trinken verboten ist. Als wenn dies nicht schon schlimm genug wäre, muss ich einer Konversation – mutmaßlich – zwischen einer jungen Musikerin und ihrer Lehrerin beiwohnen. Der nachvollziehbaren Schwärmerei der Schülerin von Metallica und ihres Wunsches, die Band einmal live zu erleben, kann die Alte nur „Warum können sie nicht zu Hause bleiben? Warum müssen es alle wie die Rolling Stones machen?“ entgegnen und auch den Enthusiasmus gegenüber Pearl Jam kann sie nur bedingt teilen. Sie mag nur die erste Platte, der Rest sei nur langweilig. Ich merke, wie desinteressiert ich an Menschen und deren Meinung bin, deshalb will ich mich nicht einmischen, obwohl ihnen meine Meinung bestimmt gut getan hätte. Nach diesem Erlebnis überlege ich kurz, dem Praterstern und den dortigen Kampftrinkern einen Besuch abzustatten, lass es dann aber doch lieber sein. Am Wiener Hauptbahnhof angekommen, hole ich mir als Schlummertrunk noch ein 16er Blech und gehe, passend zum morgigen Reiseziel, etwas angetschechert ins Bett. /hool

22.04.2018 1.FC Lok Stendal – FC International Leipzig 0:4 (0:1) / Stadion am Hölzchen / 365 Zs.

Am Samstagabend scheint das Sportwochenende eigentlich bereits gekrönt. Nach dem eher durchwachsenen Auftritt des 1.FC Union (1:1 gegen Heidenheim) hat die deutsche Eishockeynationalmannschaft vor mehr als 4.000 Zuschauern im altehrwürdigen „Wellblechpalast“ die Auswahl Frankreichs mit 2:1 nach Verlängerung bezwungen. Erstmals lief Leon Draisaitl als Kapitän in der WM-Vorbereitung für den DEB auf das Eis und überragte alle anderen Akteure um Längen. Was für eine Puckkontrolle. Was für eine Geschwindigkeit. Und das Ganze nach zwei Wochen ohne Spielpraxis. Mit Jetlag in den Beinen. Da bleiben der Hoollege und meine Wenigkeit mit offenen Mündern zurück: Das war Eishockey von einem anderen Stern!

Aber noch verbleibt ja ein Tag auf der Wochenenduhr, um ein weiteres (sportliches) Highlight zu erleben. An diesem sonnigen Sonntag ruhen meine Hoffnungen, irgendwann einmal eine unterhaltsame Geschichte über einen Ausflug schreiben zu können, auf folgenden Bausteinen: Wochenendticket, Altmark, Stendal, Spargel, Fahrradtour, Hölzchen.

Eingeladen zu dieser Tour ist neben mir auch der „Fürst von Lichtenberg“ (letzte urkundliche Erwähnung im Dezember 2012), der sich heute endlich einmal wieder ein Fußballstadion von Innen ansehen wird. Gastgeber ist ein gemeinsamer Freund, der mit Fußball so rein gar nichts an der Pepita hat, aber einige Jahre seiner Kindheit in Stendal verbringen durfte und uns heute bei seinen Großeltern zum Mittagessen angemeldet hat.

Anlässlich dieses Unterfangens trifft man am sonnigen Sonntag des 22. April am Berliner Hauptbahnhof aufeinander. Der Treffpunkt wirft erste Fragen auf, da der „Lange“ das „Regierungsviertel“ als auserwählten Ort benennt, was Fetti, den Reichsbürger, vor schier unlösbare Probleme stellt. Wenn man die Regierung nicht anerkennt, dann kann es ja wohl auch kein Regierungsviertel geben. Er schlägt daher vor, sich auf der „Nichtregierungsviertelseite“ zu treffen. Da vermutlich wie jedes Mal auch irgendwelche Sicherheitsbehörden mitlesen, kann es auf jeden Fall nie schaden, ein wenig Verwirrung zu stiften, auch wenn diese Aussage dafür sorgt, dass man auch innerhalb der Reisegruppe noch 2-3 Mal über kreuz „simsen“ muss, ehe man zusammengefunden hat.

Letztlich sitzen wir dann doch zu dritt in der Regionalbahn via Rathenow nach Stendal. Obwohl die Großeltern angeblich sehr liberal und weltoffen sind, entscheiden wir uns dagegen, ihnen zur Begrüßung die Geschichte aufzutischen, der „Lange“ hätte sich von Frau und Kind losgesagt, um mit uns eine schwule WG zu gründen. In Stendal angekommen, werfen wir zunächst einen Blick auf das Krankenhaus, in dem unser heutiger Stadtführer das Licht der Welt erblickte. Im Anschluss geht es entlang der Uchte durch gähnend leere Parkanlagen, vorbei an menschenleeren Spielplätzen. Schon damals, als der „Lange“ noch ein „Kurzer“ war, unternahmen seine Großeltern mit ihm regelmäßig Ausflüge in das Freibad Wolfsburg, wo sich die Kinder Stendals auch heute mutmaßlich knäueln dürften. Hat sich in all den Jahren offenbar nichts geändert. Übel stößt uns auf, dass die Kneipenlandschaft Stendals vollkommen zum Erliegen gekommen ist. Auf dem langen Fußweg bietet sich nicht eine einzige Möglichkeit zur Einkehr.

Um so dankbarer sind wir, dass uns der Opa mit einem Bier in Empfang nimmt. Dieses müssen wir nun schnell im Innenhof leeren, damit die Oma nichts davon mitbekommt. Da wir echte Kumpels sind, lassen wir den Herren des Hauses nicht hängen und schütten uns das Willkommensgetränk bei einem gepflegten Smalltalk über Stendal hinter die Binden. Gerade eben ist der letzte Tropfen unsere Kehlen hinuntergeperlt, da reißt die Oma das Fenster auf: „Essen ist fertig!“.

Es gibt Koteletts. Für jeden mehr als genug. Und weil sich die Oma nicht sicher war, ob wir lieber Kartoffeln, Pilzsoße, Mischgemüse oder Spargel zum Fleisch hätten, hat sie der Einfachheit halber alles zubereitet. Obwohl der Tisch so kaum noch Kapazitäten lässt, bekommt der „Fürst von Lichtenberg“ noch seine Extra-Wurst. Ihm eilt bekanntlich der Ruf voraus, kein Fleisch am Stück konsumieren zu wollen und so hat es sich auch bis Stendal herumgesprochen, dass man ihm eher mit einer guten Rostbratwurst Freuden bereiten kann. Nach Abschluss der Völlerei begleiten wir den Großvater in seinen Hobbykeller, in dem er gleich drei Fahrräder präpariert hat, mit denen wir zum Stendaler „Hölzchen“ fahren wollen. Ein bisschen Sport kann ja nie schaden – aber nicht, bevor wir mit dem gesundheitlich angeschlagenen Senior noch ein zweites Bier getrunken haben. Zwischen Werkzeugen und Kalendern mit barbusigen Frauen hat der Fuchs noch vier Pullen Hasseröder versteckt. Was die Oma nicht weiß, macht sie nicht heiß. Oder wie der „Lange“ vermutet: „Sie weiß genau, was hier passiert. Aber alles, was unter Tage geschieht, wird geduldet.“

Wir passieren radelnd die „größte digitale Werbetafel der Altmark“. Jede Stadt hat wohl so ihren ganz eigenen Superlativ. Am Stadion haben wir dann schnell Parkplätze für unsere drei Drahtesel gefunden. Ganz offensichtlich sind wir nicht die einzigen, die in Stendal auf dieses Fortbewegungsmittel setzen, doch der Verein hat ausreichend Abstellgelegenheiten bereitgestellt.

Nachdem wir noch ein Bier im Vereinsheim verzehrt und im Stadion Platz genommen haben, stelle ich fest, dass ich mein Handy irgendwo vergessen habe und im Laufe des Spiels die gewohnten Notizen leider nicht anfertigen können werde. Hinter uns bläken sich zwei Babys die Seele aus dem Leib und ich bin nach Rundumblick durch das modernisierte „Stadion am Hölzchen“ ganz in Gedanken bei einem youtube-Video, das nicht nur das „Hölzchen“ in seiner einstigen Verfassung zeigt, sondern auch der ewig jungen und stets adrett gekleideten „Sport Im Osten“-Ikone Bodo Boeck ein Gesicht gibt.

Heute – gerade einmal 23 Jahre nach diesem legendären Pokalviertelfinale gegen Leverkusen – ist der 1.FC Lok Stendal 14. der NOFV-Oberliga-Nordost-Süd. Die Gäste aus Leipzig liegen auf dem zweiten Tabellenrang und duellieren sich mit „Schiebock“ aus Bischofswerda um den Aufstieg in die viertklassige Regionalliga. In den ersten fünfzehn Minuten wehren sich die Außenseiter tapfer. Hochmotiviert starten die Stendaler in die Partie und gehen beherzt in jeden noch so belanglosen Mittelfeldzweikampf. Doch nach nur 19 Minuten ist Schluss mit der Herrlichkeit. Kimmo Hovi bringt den Favoriten mit seinem 19. Saisontor mit 1:0 in Führung. Und wer in seiner Karriere mit lediglich 23 Lenzen bereits in Finnland, Malta und Spanien gespielt hat, der hat sich wohl einen Startplatz im Kader des FC International Leipzig redlich verdient…

In Folge kann der FC Inter sein gefürchtetes Spiel problemlos aufziehen. Kurz nach dem Führungstreffer verpasst Hovi die große Chance auf das 0:2, doch auf dem Weg in das leer Tor steht dem Ball nur noch der Pfosten im Weg. Wann immer Stendal sich in die gegnerische Hälfte wagt, steht Verteidiger Petar Trifonov zum Abräumen bereit. So gut muss man erst einmal sein, dass man als Defensivspieler in der Oberliga den Hass des Heimpublikums auf sich zieht.

Weniger beeindruckend sind jedoch die Starallüren, die die Spieler des FC Inter mit in ihr Spiel einflechten. Es gibt kaum Duelle, nach denen die „Interisti“ nicht auf den Boden fallen und wild gestikulierend markerschütternde Schmerzschreie von sich stoßen. Dazu wird nach jedem noch so kleinen Zweikampf der Schiedsrichter angefleht, lamentiert, diskutiert. Schade, dass all dieses Gebaren offenbar dazugehört, wenn man sich zu höherem berufen fühlt als lediglich zu Fünftligafußball…

In der Halbzeit reiben sich 2/3 der Reisegruppe über die noch immer gut gefüllten Bäuche, während der „Lange“ aus Reminiszenz an seine alten Stendaler Tage einfach einen Klops vom Grill essen muss – ob er will, oder nicht. Nachdem er den Hackfleischball heruntergequält hat und wir gemeinsam auf der Toilette eine leichte Spargelmarke hinterlassen haben, wechseln wir von der Haupttribüne hinter das Tor, um der Stendaler „Waldseite“ etwas näher sein zu können. Gerne wollen wir uns einen Überblick verschaffen, welche Menschen hier regelmäßig zum Fußball pilgern und den 1.FC Lok unterstützen.

Während der FC Inter die „Lokisten“ auf dem Rasen in die Schranken weist und nach 51 Minuten durch Japano-Sachse Christopher Misaki auf 2:0 erhöht, fällt die Publikumsanalyse in Sachsen-Anhalt verheerend aus. Der Gast aus Leipzig kommt mit seinem Konzept, Spieler aller Nationalitäten zu einem Team zu vereinen, gerade recht, um das schwelende Wutbürgerpotential wachzuküssen. Von „Eselfickern“, „Asylanten“ und „gefälschten Asylanträgen“ ist in diversen Pöbeleien die Rede, um die multikulturelle Truppe der Gäste zu verunglimpfen. Und wann immer es gerade überhaupt gar keinen Grund gibt, um auf einen Gästespieler sauer zu sein, muss halt der Linienrichter dran glauben und damit leben, dass ihm ständig ein Wendeverlierer auf dem Zaun im Nacken hängt und ihn als „Hurensohn“ beschimpft. Oh man. Selten hat man so viele verkochte Klopse auf einem Haufen gesehen.

Nach 53 Minuten wird Vincent Kühn unberechtigt mit einer gelb-roten Karte des Feldes verwiesen. Klar, dass dies nicht unbedingt zur Beruhigung des Heimpublikums beiträgt, welches nun dem Unparteiischen an die Wäsche will. Sportskamerad Trifonov („die langhaarige Zecke!“) gelingt es in diesem Tohuwabohu unbemerkt das Feld zu verlassen, ohne dass er mit Bier beschmissen wird. Guter Zeitpunkt für eine Auswechslung.

In Folge wird die nun noch offensiver eingestellte Gästemannschaft ihre drückende Überlegenheit in Tore ummünzen können. Die beiden Treffer durch Ogün Gümüstas (Die Kochklöpse werden angesichts gleich dreier Ü’s vermutlich ausrasten vor Glück!) in der 71. und 74. Minute wären jedoch zu verhindern gewesen, doch beim ersten Gegentor schlägt ein Stendaler Verteidiger über den Ball anstatt selbigen von der Linie, während beim zweiten Gegentreffer Pfosten und Torwart in Kooperation notwendige Unterstützung leisten, um den Ball über die Torlinie zu bugsieren. Das hat sich der Heimblock redlich verdient.

Wir haben uns längst räumlich von diesem entfernt und genießen die letzten Sonnenstrahlen in der Kurve. Vor lauter Schreck falle ich beinahe von der Sportplatzbarriere, als der Stadionsprecher verlautbaren lässt, dass ein „Handy älterer Bauart“ gefunden und in der Stadionregie abgegeben worden sei. Wenige Sekunden nach dieser Durchsage wird dank Axel Foley ein ordentlicher Spannungsbogen erzeugt, ehe der Sprecher die offizielle Zuschauerzahl verkündet: 365, Rekordbesuch! Schade, da habe ich mich um genau 15 Menschen verschätzt.

Währenddessen hat der „Lange“ schon längst mit seiner Großmutter telefoniert und eruiert, dass mein Handy wirklich auf dem Mittagstisch verblieben ist. Genau wie meine Sonnenbrille. Da müssen sich die zwei schnellen Bier mit Opa’chen sicherlich eine Teilschuld eingestehen.

Mit dem Fahrrad geht es zurück in die Innenstadt. Wir besichtigen das Rathaus mit Roland und stellen uns folgende Frage: Welche Städte schmücken sich mit einem solchen und welche Bedingungen gilt es zu erfüllen, um genau jenes zu dürfen? Die Antwort auf die Frage, welcher bundesdeutsche Ort am weitesten von der Autobahn entfernt ist, lautet „Salzwedel“. Zwar auch eine Stadt in Sachsen-Anhalt, aber streng gesehen nicht exakt der passende Moment, um das unnütze Wissen des Fürsten zu platzieren. Die Antwort auf die erste Frage werde ich irgendwann einmal recherchieren, wenn sich ein Zeitfenster hierfür auftut. Möglicherweise unternehme ich ja zu diesem Zwecke eine Fahrt mit dem Standaler Rathausaufzug, der es wegen seiner Nichtgeschwindigkeit unlängst gar in das Fernsehen geschafft hat…

Anschließend erweisen sich das Uenglinger Tor und die Fachwerkhäuser der Altstadt als sehenswert. Am Ende des Tages kehrt der „Lange“ am Winckelmannplatz ins „Café Müller“ ein, in dem einst seine Oma arbeitete und die eine oder andere Kugel Eis auf’s Haus springen ließ. Heute muss er jedoch zahlen und abermals steht die Erkenntnis im Raum, dass früher alles besser war.

Zum Beispiel der Fußball in Stendal. Das Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen von 1995 ist allgegenwärtig. Der Großvater macht uns darauf aufmerksam, dass sich der 1.FC Lok erstmals seit 1996 (Erstrundenaus gegen Hertha BSC) wieder für die erste Runde des DFB-Pokal qualifizieren konnte und er sich Union als Gegner wünscht. In wenigen Wochen erfolgt die Auslosung. Wenn es die Glücksfee gut mit uns meint, sind wir nach unserer Erstrundenniederlage also zum Essen eingeladen. Und vielleicht gibt es ja dann endlich Kochklops für alle. /hvg

19.04.2018 VSG Altglienicke – BSG Chemie Leipzig 0:0 (0:0) / Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark / 811 Zs.

Häufiger werde ich gefragt, ob ich in einem „Sozialen Brennpunkt“ arbeiten und was genau einen solchen denn ausmachen würde. Um in Zukunft auf eine Antwort verzichten und lediglich etwas Bildmaterial zur Verfügung stellen zu können, plane ich, einen der nächsten dienstlichen „Familiennachmittage“ filmisch zu begleiten. Dann dürften keine Fragen offen bleiben. Heute muss ich jedenfalls einen Vater der Veranstaltung verweisen, weil er mit seinem Gehstock auf den neuen Freund seiner größten Tochter losgehen wollte. Es ist 18.00 Uhr und ich atme erleichtert auf, als auch dieser Arbeitstag überstanden ist. Was könnte man jetzt nur tun, um schleunigst auf andere Gedanken zu kommen?

Gedankenverloren öffne ich die „Livescore“-App meines Handys. In der Regionalliga Nordost steht unerwartet eine Partie auf dem Programm. Plötzlich fällt mir ein, gelesen zu haben, dass das heutige Spiel um einen Tag verlegt werden musste, da gestern an selbigem Ort das Berliner Pokalspiel zwischen Tennis Borussia und dem BFC Dynamo ausgetragen wurde. Die Sonne scheint, das Thermometer zeigt 23 Grad und der Gegner der Volkssportgemeinschaft Altglienicke ist niemand geringeres als die BSG Chemie Leipzig. Na, dann mal den Gehstock geschwungen und nichts wie ab zur Eberswalder Straße!

Den aus Unionersicht verhassten, aber aus Hoppersicht recht attraktiven Jahn-Sportpark mit seinen opulenten osteuropäischen Flutlichtmasten erreiche ich gerade noch rechtzeitig, um den singenden Stadionsprecher Ronny Rothé miterleben zu dürfen/müssen. Man kann dieses Erlebnis nur schwerlich in eine Schublade einsortieren, da man doch etwas Zeit benötigt, um für sich zu eruieren, wie man das denn jetzt nun finden soll, dass ein alter Mann Schlager singend auf der Laufbahn spazieren geht. Irgendwie pendelt die Nadel zwischen lustig, kultig, peinlich und unnötig hin und her, während Rothé seinem Bewusstseinsstrom folgend singend mitteilt, wie viele Minuten noch bis zum Anpfiff verbleiben und dass er nun den Platz betreten würde. Insbesondere letzteres ist für Menschen, die über Augenlicht verfügen, natürlich eine besonders wichtige Botschaft und so hofft man inständig, dass dem guten Mann in den kommenden Minuten nicht auch noch der Einkaufszettel für den Wochenendeinkauf durch den Kopf gehen möge.

Nachdem die trashige Vereinshymne der Volkssportgemeinschaft noch gerade eben so mit Hängen und Würgen überstanden ist und der Frank Sinatra für Arme den Innenraum verlassen hat, eröffnet Schiedsrichter Schipke die Partie. Ich werfe einen Blick in das weite Rund. Gut 400 „Chemiker“ haben sich unter der Woche auf den Weg nach Berlin begeben und auch die Haupttribüne ist mit ebenso vielen Menschen recht ansehnlich gefüllt, wobei eine nicht unerhebliche Zahl Fußballtouristen darunter befindlich sein dürfte. Ich lasse mir mein wohlverdientes Feierabendbier schmecken. Es ist ein lauer Frühlingsabend, im Hintergrund singt Chemie und ich sacke unbekümmert in meine grüne Sitzschale – Football is the only Love!

Obwohl sich beide Mannschaften in den Niederungen der Tabelle bewegen, entsteht ein recht lebendiges und unterhaltsames Spiel mit schnellen Abschlüssen aus allen Lagen. Zum Problem wird dies in den Anfangsminuten vor allen Dingen für Chemies Keeper Lattendresse, der in Ermangelung von Balljungen bereits einige Kilometer abgespult hat, um vorbeigeschossene Bälle aus den weitläufigen Kurvenbereichen zurückzuholen. Bei gleißendem Sonnenlicht und des daraus resultierenden Einsatzes meiner Sonnenbrille habe ich hingegen in erster Linie damit zu kämpfen, die dunkelblauen Altglienicker von den dunkelgrünen „Chemikern“ optisch zu unterscheiden.

In der 6. Spielminute trifft Alexander Bury, der fleischgewordene Hoffnungsträger im Abstiegskampf aus Leipzig-Leutzsch, lediglich den Pfosten. Auch dies kann den melodiösen Dauersingsang der „Diablos“ nicht nachhaltig irritieren. Kein Spieler der Welt kann das. Keine Aktion der Welt kann das. Einzig und allein die „Diablos“ entscheiden, wann sie aufhören zu singen und das Tempo anziehen. Und so verstreichen weitere zehn Minuten, ehe sie mit einem durch Paukenschläge dreigeteilten „Vorwärts!“ – „Chemie!“ – „Ultras!“ den Prenzlauer Berg im Mark erschüttern. Wirklich absolut großartig!

Nach einigen weiteren guten Abschlussgelegenheiten auf beiden Seiten hat man das Gefühl, dass sich die Partie nach 25 Minuten so langsam beruhigt. Doch plötzlich taucht Bundesliga-Legende Boubacar in Diensten der VSG Altglienicke völlig freistehend im Strafraum auf und setzt einen Kopfball nur knapp neben das Gehäuse (28.) – Sanogoal! Den letzten Höhepunkt des ersten Spielabschnitts – mit weiterhin überraschend vielen offensiven Impulsen beider Clubs – setzt Alexander Bury, der im Anschluss eines sehenswerten Solos nach 36 Minuten zum zweiten Mal am Pfosten scheitert.

Für Freunde der gepflegten Sportwette, die keine moralischen Bedenken hegen, wenn sie Insidertipps erhalten, könnte folgende Information womöglich gewinnbringend sein: Im Tribünenbauch treffe ich während der Halbzeitpause auf Petrik Sander, der offenbar seine Kreise in der Regionalliga Nordost dreht und fleißig Partien beobachtet. Da man munkelt, dass Altglienickes Trainer Jagatic nicht besonders fest im Sattel sitzt, kann man hier vielleicht den einen oder anderen Euro setzen. Jede Wette, dass sich Sander demnächst Trainer der VSG Altglienicke nennen wird.

Auf dem beanspruchten Geläuf des Jahn-Sportparks dreht derweil Ronny Rothé singend seine Runden. Den Versuch, die Wörter „Feld“ und „fällt“ zu reimen, darf man getrost als mutig bezeichnen – und gleichzeitig kann man dem armen, alten Mann ja nur Recht geben. Wäre wirklich schön, wenn hier bald das „goldene Tor“ fallen würde, wenn die Mannschaften zurück auf das Feld kommen.

Die 23 Grad sind inzwischen hinter dem Tribünendach verschwunden. Abendkühle setzt ein, während Alexander Bury seinen Pfosten-Hattrick komplettiert (48.) und im Anschluss wutentbrannt auf selbigen eintritt. Deppertes Oarschlochstangerl. Nach einer gespielten Stunde wirkt die BSG griffiger und gewillter als die VSG, hier etwas ins Risiko zu gehen, um drei Punkte einfahren zu können. Nach 68 Minuten verlässt Sanogo das Feld, was die französischsprachige Hoppergruppe hinter mir zu lautstarken „Boubacar, Boubacar, Boubacar“-Sprechchören hinreißt. Soviele Emotionen auf einen Schlag bleiben im Jahn-Sportpark selbstredend nicht ohne süffisanten Kommentar und so lässt es sich ein Senior nicht nehmen, die Sachlage augenrollend zusammenzufassen: „Dit passiert, wennde Franzosen zwee Bier jibst!“.

Die offizielle Zuschauerzahl wird durchgegeben und von den Anwesenden frenetisch bejubelt. Feiertag für den Schatzmeister! Pierre „Kanzler“ Merkel verzieht für die BSG freistehend aus elf Metern, auch Ludwig schlenzt den Ball am langen Eck vorbei und VSG-Coach Jagatic schlägt angesichts des Durcheinanders in seiner Defensive die Hände über dem Kopf zusammen. So langsam muss man den guten und mutigen Auftritt der „Chemiker“ aufgrund der mangelhaften Qualität der Abschlussversuche dann doch etwas relativieren. Mit dieser Chancenverwertung ist es wohl leider ausgeschlossen, die Liga zu halten…

Alexander Bury wird in der 90. Minute ausgewechselt und tritt vollkommen frustriert gegen eine Pylone, die weit durch die Gegend fliegt und zu jedermanns Überraschung nicht am Pfosten landet. Oder wie der Senior, jederzeit Herr der Lage, auch dieses Mal treffend pointieren kann: „Na, wenigstens dit Ding triffta!“.

30 Sekunden nachdem Schiedsrichter Schipke die Partie abgepfiffen hat, verdunkelt sich der Jahn-Sportpark. Bei eingeschalteter Notbeleuchtung verlasse ich die Spielstätte. Im Hintergrund singt Chemie im Halbdunkel und so lange hier niemand die Lampen gänzlich löscht, werden die „Diablos“ damit wohl auch nicht aufhören.

Mein Magen grummelt. Ich beehre einen türkischen Imbiss, bestelle ein Berliner Pilsner und einen Sucuk-Döner mit Knoblauchsoße. Als ich die allseits beliebte „Salat komplett?“-Frage verneine und die Zwiebeln ausschließe, reagiert der Systemgastronom geschickt: „Aaaaah, da geht heute noch was!“. Knoblauchwurst mit Knoblauchsoße. Ja, genau, da geht noch was. Nennen wir es einfach „orientalische Logik“ oder berufen uns darauf, dass der gute Mann schlicht und ergreifend einfach nicht wissen kann, worauf es wirklich ankommt. Football. Football is the only Love! /hvg

15.04.2018 Weißenseer FC – BSC Rehberge 1945 2:2 (1:1) / Stadion Buschallee, Nebenplatz / 150 Zs.

Heute halte ich es mit Ilse Aichinger und genieße zum Frühstück eine Aufführung des Friedrichshainer Fenstertheaters. Mit dem Unterschied, dass zu meinem Amüsement keine Hanswurstiade eines älteren Herren beiträgt, sondern zwei leichtbekleidete junge Damen gegenüber. Das muss also dieses „wohnen in bester Lage“ sein, von dem in Berlin jetzt ständig die Rede ist. Bei allerschönstem Sonnenschein fühle ich mich jedoch nur kurz privilegiert, kremple dann die Ärmel hoch und schwöre mich auf das ein, was heute kommen wird: Abstiegskampf in der Landesliga, Staffel 2.

Um 12.00 Uhr wende ich mich von der ansprechenden Präsentation ab, noch bevor die beiden Protagonistinnen zum Finale Furioso ansetzen können. Beschwingt durch das gute Wetter und den gestrigen 1:0 Auswärtssieg beim FC St. Pauli ist der Plan in mir gereift, die knapp sieben Kilometer bis zum „Stadion Buschallee“ zu Fuß zurückzulegen.

Den „Simon-Hedlund-Gedächtnis-Schädel“ bekämpfe ich erfolgreich mit einem kühlen Konterpils und so nimmt dieser „Sonntagmorgenspabiergang“ doch recht schnell angenehme Züge an. An alten Vespas und am Thälmann-Denkmal vorbeilaufend, beginne ich, Zusammenhänge zu begreifen. In Berlin komme ich eigentlich immer nur per Bahn von A nach B und hätte es bis eben vermutlich nicht geschafft, im Auto sitzend von Friedrichshain nach Weißensee zu finden. Nun ergeben Straßenverläufe plötzlich einen Sinn und ein Fixpunkt nach dem nächsten wird passiert und ehe ich mich versehe, habe ich um 13.07 Uhr auch schon das Ortseingangsschild passiert. Willkommen in „White Lake City“!

Die ersten Eindrücke sind überaus positiv. Die Fassade des „Tønsberg“ wurde angemessen gestaltet, wobei ich nicht gänzlich sicher bin, ob der Kampf bereits endgültig gewonnen ist und das Geschäft dauerhaft schließen muss. Kann man im Nachgang auf jeden Fall heilfroh darüber sein, dass die Metastase „Tromsø“ in der Petersburger im Jahre 2013 nach vier quälend langen Jahren aufgeben musste. Kurz muss ich mich schütteln. Unfassbar, dass das nun auch schon wieder zehn Jahre her ist, dass man vor der eigenen Wohnungstür gegen rechtes Gesocks demonstrieren musste…

Angesichts der etwas qualmenden Füße entschließe ich mich, die letzten Meter in der Straßenbahn zurückzulegen. Vor dem „Kino Toni“ hält nur einige Augenblicke später die M4 und nur wenige Sekunden nach dem Einsteigen bereue ich bereits die Entscheidung, eingestiegen zu sein. Zwei Mangamädchen sitzen mir gegenüber, wischen über ihre Handys und noch bevor die beiden anfangen, sich miteinander zu unterhalten, bin ich bereits von tiefer Trauer ergriffen. Bedauerlich, dass sich immer mehr Menschen aus der Realität in Parallelwelten flüchten müssen, um irgendwelche Scheinidentitäten aufzubauen, nur um das Gefühl zu haben, wenigstens irgendjemand oder irgendetwas zu sein. Dabei könnte man seine Zeit doch viel sinnvoller nutzen und Anstrengungen unternehmen, eine eigene Meinung oder eine Haltung zu entwickeln und beispielsweise gegen Naziläden kämpfen, anstatt sich zu verkleiden und die Wirklichkeit auszublenden. Egal. So lange die Cosplayer, Mittelaltertrottel, Rollen- und Computerspieler nicht in meine Parallelwelt Fußball eindringen, werde ich schon einen angemessenen Umgang mit all diesen gescheiterten Existenzen pflegen können. Das eine Mangamädchen hebt den Blick vom Handydisplay und spricht zum anderen:

<< Ey, warum ist das so? Warum werde ich immer so gejudged? >>

Ich frage mich auch angesichts dieser sprachlichen Auswüchse wieder einmal, wann genau die Menschheit falsch abgebogen ist, doch bevor ich mich in zu deprimierenden Gedankenspielen verheddern kann, habe ich glücklicherweise bereits das „Stadion Buschallee“ erreicht.

Die weitläufige Anlage kann zunächst ohne Zahlung eines Eintrittsgeldes betreten werden. Leider ist der Hauptplatz nicht präpariert, sodass schnell Klarheit eintritt, dass das heutige Fußballspiel lediglich auf dem Kunstrasen-Nebenplatz stattfinden wird. Schade. Dafür bietet ein Turnier des Rugby Klub 03 (Teilnehmer der 1. Rugby-Bundesliga!) auf einem weiteren Nebenplatz beste Unterhaltung. Etliche Kleinfelder sind hier abgesteckt, um mehrere Kinder-Mannschaften zeitgleich gegeneinander antreten zu lassen. Nach jeweils 20 Sekunden Ballbesitz fallen die lieben Kleinen übereinander her und stapeln sich imposant übereinander. Da ich als alleinreisender junger Mann mit Fotokamera im Anschlag in der Nähe der fremden Kinder für keinerlei Missverständnisse sorgen mag, ziehe ich mich dann aber doch recht bald zurück in den Catering-Container des Weißenseer FC, in dem ich jetzt nicht unbedingt ein Trikot des BSC Preussen Berlin erwartet hätte. Die hübsche Dame hinter dem Tresen hätte es nicht zwingend gebraucht, um mich zu motivieren, im Laufe des Tages noch zwei-drei Mal wiederzukehren…

Der Abstiegskrimi des 22. Spieltages beginnt mit sieben Minuten Verspätung. Die Heimelf von Trainer Marino Ballmer konnte zuletzt drei Siege in Serie einfahren und den Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz, der aktuell von den Gästen des BSC Rehberge belegt wird, auf immerhin sieben Punkte ausbauen. Heute könnte der Aufsteiger sich also bereits entscheidend absetzen – wenn man auf dem Sportplatz nicht munkeln hören würde, dass die Gäste in der Winterpause die Mannschaft nahezu komplett ausgetauscht hätten und nun über ganz andere Qualitäten verfügen würden.

Ich finde einen angenehmen Sitzplatz auf dem Boden am Rand des Spielfeldes. Die Sonne scheint nach wie vor, das Bier ist kühl und das Spiel kurzweilig. Rehberge trifft nach fünf Minuten die Latte, der WFC verzieht nach elf nur knapp. Die neu formierte Abwehr der Gäste ist noch nicht sonderlich sattelfest und so kommt es bis zur 20. Spielminute zu vier Eckstößen und drei weiteren hochkarätigen Torgelegenheiten. Der Gast lässt nur einmal aufhorchen – nach einem klugen Pass des Spielmachers Uluk vergibt Marvin Fedorovic Lemischko aus spitzem Winkel kläglich, was einer seiner Teamkameraden wie folgt kommentiert:

<< Lege doch ab, lan! >>

In der 20. Minute geht Weißensee durch seinen Kapitän Seckler mit 1:0 in Führung. Just in diesem Moment tauchen zwei Herren vor mir auf und haben nun die besten Argumente, vier Euro Eintritt von mir verlangen zu können. Ich reiße irgendeinen blöden Spruch über die Höhe des Preises und erhalte eine schlagfertige Antwort.

<< Das ist so teuer, weil bei uns der Präsident noch selbst um den Platz geht – aber dafür ist die Sonne umsonst! >>

Das Spiel bleibt offen und unterhaltsam. Rehberge sucht sein Heil in der Offensive, bleibt hinten aber ein Torso und kann sich bei Abou-Abbas bedanken, der dank seiner athletischen Fähigkeiten den einen oder anderen Raum noch gerade eben so zulaufen kann. Die wohl heißeste Mutti der Weltgeschichte dreht derweil in blau-weiß gestreift ihre Runden um den Platz und bekommt ihre Kinder glücklicherweise zu keiner Zeit des Spiels in den Griff. „Schiiiiiiiiiiiiiiiiieß!“ ruft jemand aus dem Publikum, der das offenbar immer ruft, wenn Rehberge in 35 Metern Tornähe den Ball am Fuß hat. Dieses Mal schießt Krause wirklich und der Ball zappelt nach 27 Minuten zum Ausgleich im Dreiangel. Sehenswerter Treffer aus der Drehung, Sportsfreund!

In den letzten Minuten der ersten Hälfte lässt die Qualität des Spiels nach, dafür steigt die der Konversation zwischen Ersatz- und Stammtorwart Rehberges in unfassbare Dimensionen.

<< Du sollst höher stehen bei langen Bällen! >>
<< Aber ich krieg die nicht! >>
<< Weiß nicht, ist nicht meine Idee, ich soll Dir das bloß sagen! >>

In der Halbzeitpause ist das Bierfass leer. So hat halt jeder seine Probleme. Wobei ich natürlich von Glück reden kann, dass ich von der hübschen Zapferin wenigstens nicht <<gejudged>> werde, während ich da so in ihrem Container herumlungere, auf das Getränk warte und dem Eishockey-Trikot mehr Aufmerksamkeit schenke als ihr.

Im zweiten Spielabschnitt hat sich der Platz deutlich gefüllt. Gut 40 Kiebitze sind offenbar in dem Wissen darin, dass der Präsident seine Ehrenrunde beendet hat, noch dazugestoßen und treiben die offizielle Zuschauerzahl auf 150 in die Höhe. Die Gäste sind nun deutlich sattelfester aufgestellt, das Spiel wird fahrig, die Aktionen nickelig. Waldemar Huhn hat nicht nur einen super Namen, sondern auch einige fußballerische Qualitäten auf der rechten Außenbahn, die er nun als Einwechselspieler für den WFC in die Waagschale wirft. Die eine oder andere gute Aktion ist ihm bereits gelungen, ehe er in der 78. Minute unnachahmlich davonzieht und Richtung Strafraum drängt. Serkan Akkas versucht Huhn aufzuhalten, doch selbst mehrere Foulspiele auf dem langen Weg Huhns aus dem Mittelfeld in den Strafraum können ihn nicht stoppen. Erst das vierte Vergehen – mittlerweile im Strafraum angekommen – nimmt Huhn an. Notbremse, rote Karte, Elfmeter. Clever. Kapitän Seckler verschießt, Rotsünder Akkas wird mit Geleitschutz vom Feld geführt, noch zehn Minuten zu spielen, hier ist was los!

Wenige Augenblicke vor dem Ablauf der regulären Spielzeit scheitert der WFC nach einem Querpass in den Strafraum in aussichtsreicher Position kläglich. Kurz darauf gibt der Schiedsrichter die Nachspielzeit akustisch gut wahrnehmbar bekannt. Vier Minuten! Rehberge tankt sich über den Flügel durch, Hereingabe und der defensiv überragende Abou-Abbas steht parat und netzt zum 2:1 ein. Jetzt nur noch 2-3 Minuten durchhalten…

… denken sich die Männer aus den Rehbergen, während ihr filigraner Zehner Uluk den folgenschweren Fehler begeht, einen Ball in der eigenen Hälfte vollkommen unnötig und sinnlos zu vertändeln, anstatt ihn in den Weißen See zu schießen. Pass in die Mitte, Seckler steht frei, bumm, 2:2. Abpfiff. Die Spieler in Grün und Weiß fluchen und Uluk ist just in diesem Moment nicht der allerbeliebteste Mitspieler.

Ich begebe mich fußläufig auf den Rückweg in den sieben Kilometer entfernten Friedrichshain. Bei „Buddys Burger“ stärke ich mich für läppische 3,70 € mit der BBQ-Variante, werfe noch einen Blick auf den gegenüberliegenden See im Sonnenlicht und ärgere mich kurz darauf über all die Affen, die mir in Frei.Wild-Oberbekleidung – auf dem Weg zu einem Konzert – begegnen. Vermutlich genau die selben Irrläufer, die ich auf dem Hinweg in Dynamo-Kutten angetroffen hatte und die sich im Laufe des Nachmittags offenbar umgezogen haben. Naja, wat soll man sonntags auch machen, wenn das „Tønsberg“ geschlossen hat…

Der Rückweg gelingt ohne Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels. Ich belohne mich am Frankfurter Tor mit einem weiteren Bier und einem letzten Sonnenbad des Tages. Am nächsten Morgen kaufe ich mir eine „Fußball-Woche“, um die offizielle Zuschauerzahl für das Blog in Erfahrung zu bringen. Als „Bester Spieler des Spiels“ wird Deniz Uluk genannt. Kann sein, dass der Redakteur zwei Minuten zu früh gegangen ist. Aber gut, bevor ich mit dem Finger auf andere zeige: Möglich, dass ich beim morgendlichen Fenstertheater selbigen Fehler begangen habe… /hvg

08.04.2018 SP.VG. Blau-Weiß 1890 Berlin – SV Tasmania Berlin 2:1 (0:1) / Sportplatz an der Rathausstraße, Nebenplatz / 188 Zs.

Seit zwei Tagen kann man die Großwetterlage Berlins getrost als „schön“ bezeichnen. Der Frühling hat Einzug gehalten und die Sonne sorgt langsam dafür, dass man freiwillig das Haus verlässt, ohne dass eine Reise ansteht. Da ich schon lange nichts mehr mit Fußball und Bier unternommen habe, entscheide ich mich an diesem sonnigen Sonntag dafür, endlich einmal wieder etwas mit Fußball und Bier zu unternehmen. Heute steht in der fünftklassigen Berlin-Liga das Duell der Traditionsvereine Blau-Weiß 90 und Tasmania Berlin an.

Um noch etwas mehr von der Sonne zu haben, entschließe ich mich zu einem Spaziergang von meiner Wohnung bis zum Alexanderplatz. Auf der Karl-Marx-Allee kommen mir recht bald einige Athleten in nummerierten Trikots entgegen. Medaillen um den Hals, Hefeweizen in den Händen. Kombiniere, kombiniere. Da habe ich wohl nicht mitbekommen, dass in Berlin heute ein Halbmarathon stattfindet. Den Vogel schießt dann ein Typ im Litauen-Trikot ab, der nach 21,0975 Kilometern sinnlosem Rumgerenne offenbar noch nicht genug hat und nun noch neben einem Fahrradfahrer her joggen muss, um mit sich in den Einklang zu kommen. Selbstredend sind große Teile der Hauptstraße abgesperrt, weil der Marathon noch in vollem Gange ist und sich die Breitensportler durch die Hitze quälen, während hunderte Freunde und Helfer im Weg herumstehen und gelangweilt in die Gegend starren. Ich muss also einen größeren Umweg über mich ergehen lassen, um mein Ziel zu erreichen und weiß gar nicht, was mich in diesem Moment trauriger stimmen sollte: All die Bullen, die hier Steuergelder und Zeit verschwenden und einen terroristischen Angriff eh nicht verhindern könnten oder all das alkoholfreie Bier, das am Wegesrand ausgeschenkt wird.

In der S-Bahn vom Alexanderplatz zur Friedrichstraße wimmelt es von weiteren Marathon-Ottos, die alle aus irgendwelchen provinziellen Käffern angereist sind, nur um einmal quer durch Berlin rennen zu dürfen. Selten hat man außerhalb eines Bio-Marktes so viele Bumsdialekte wild durcheinander hören müssen, ehe ein Schwabe zum endgültigen K.O.-Schlag ansetzt: „Berlin isch gar net so arg stressig als wie isch gedenkt hätt!“, lässt er verlauten. Das ist einfach dieser Moment, in dem man panisch schreien und wild um sich schlagen mag. Berlin ist stressig. Und zwar genau wegen solcher Trottel, die jetzt aber aufgrund ihrer vierstelligen Startnummer wenigstens zu personalisieren sind. In irgendwelchen Geheimschränken muss die Teilnehmerliste (→ „Idiotenkatalog“) ja zu finden sein…

Für unsereins kann die Rettung nur heißen: Raus aus dem Tageslicht, ab unter die Erde! Die U-Bahnlinie 6 ist heute gänzlich marathonfrei und befördert Fetti die letzten 16 Minuten der Reise stressfrei bis zum U-Bahnhof Ullsteinstraße. Dort angekommen, stromert er nach seinem Besuch des Mariendorfer SV endlich einmal wieder um den Tempelhofer Hafen herum, ehe er sich durch gepflegte Westberliner Wohnblocklangeweile quer durch einen klassischen Herthakiez auf den Weg in die Rathausstraße begibt. In einem Spätverkauf erwirbt eine ältere Dame eine Packung Milch, die Verkäuferin mit türkischem Migrationshintergrund verrechnet sich drei Mal, hat allerdings aufgrund der klimatischen Ausnahmesituation das vollste Verständnis der deutschen Kundin sicher: „Is ja och heiß heute!“

Kurz darauf brettert ein Ferrari mit laut tosendem Motor an der Martin-Luther-Gedächtniskirche vorbei. Der alte Herr und Fahrer ist dabei so freundlich, dies mit heruntergelassenen Scheiben zu erledigen und eine Old-Spice-Wolke sondergleichen zu hinterlassen. Oder wie es die Kinder vor mir auf den Punkt bringen: „Ey, haste den peinlichen Opa im Ferrari gesehen?“ – so will ich nicht enden. Dann doch lieber Bier trinkend in der „Rathausritze“.

So wird die Spielstätte der Blau-Weißen heutzutage liebevoll genannt. Ausbauten gibt es bis auf einige wenige bewachsene Stehstufen keine und so kommt das Stadion mit seinen angeblich 3.000 Plätzen ziemlich unspektakulär daher, kann aber auf eine bewegte Vergangenheit verweisen. Die Rasenfläche ist wesentlicher Bestandteil einer der ältesten noch existierenden Fußballplätze in Deutschland. 1905 trug Union 92 Berlin seine Heimspiele an der Rathausstraße aus und feierte in diesem Jahr nicht nur die Berliner, sondern auch die Deutsche Fußballmeisterschaft. 1911 fand an Ort und Stelle gar ein Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und England statt und seit 1927 spielt Blau-Weiß 90 mit kleineren Unterbrechungen (beispielsweise das Bundesligajahr 1986/87 und die Spieljahre in der zweiten Bundesliga, für welche man in das Olympiastadion umzog) auf diesem Platz. Sollte Blau-Weiß 90 der Aufstieg in die Oberliga gelingen, dürfte hier nur mit einer Ausnahmegenehmigung weiter Fußball gespielt werden.

Heute ist der Rasenplatz jedoch gesperrt und die Partie gegen „Tas“ muss auf dem belanglosen Kunstrasen-Nebenplatz ausgetragen werden, auf dem fleißige Helfer gerade ein rot-weißes Flatterband spannen, um die Zuschauer vom Betreten des Spielfelds abzuhalten. Ich informiere den Hoollegen über diese traurige Nachricht und tröste mich in dem wirklich schönen Vereinsheim erst einmal mit einem kühlen Blonden. Vor dem Vereinsheim weht die Blau-Weiß 90 Flagge trotzig im Wind, wohingegen der Deutschland-Lappen daneben nur noch in Fetzen hängt. Mein Gefühl für Heimat und Nationalstolz ist hier also bestens repräsentiert, denke ich mir, während ich mir – getarnt als linksgrün-versiffter Student – Eintritt für ermäßigte 4,50 € erschleiche.

Zwar wird einem auf dem Nebenplatz die großartige Vereinshymne von Bernhard Brink  vorenthalten, nichtsdestotrotz scheinen die Fans „heiß auf Blau-Weiß“ zu sein. Einige Zaunfahnen schmücken die Anlage und eine Handvoll Schlachtenbummler und ein Hund mit Schal haben sich an der Eckfahne zusammengefunden, erzeugen Stimmung mit der Trommel und der Stimme, erhalten aber schnell Abzüge in der B-Note wegen politisch grenzwertiger Symbole.

Das „Derby“ (nur 4,3 Kilometer liegen zwischen den Spielstätten beider Clubs) wird eröffnet. Nur wenige Sekunden nach Anpfiff kratzt „Tas“ einen Ball noch gerade eben so von der Torlinie. Für einen kleinen braunen Vierbeiner, gezüchtet aus toupierten Fellresten in den Hinterzimmern eines Hundesalons, ist das bereits jetzt alles zu viel. Aufgeregt bellt er sich die Seele aus dem Leib und wird dann von Frauchen, gezüchtet aus künstlichen Fingernägeln und Permanent-Make-Up-Überbleibseln in den Hinterzimmern eines Beautysalons, vom Feld geführt. Kurz darauf erscheint in Persona des Hoollegen die nächste alte Töle, doch stellt dieser schnell seine Bedeutsamkeit für den heutigen Ausflug unter Beweis, indem er mich fünf Minuten nach Anpfiff darauf hinweist, dass ich neben Ronny Nikol stehe und dass Blau-Weiß heute gar nicht in blau und weiß, sondern in weiß und rot spielt und die erste Chance der Partie demnach die blauen Tasmanen hatten. Man, das wäre ja ein Bericht geworden.

Ab jetzt bin ich im Bilde und kann kurz zusammenfassen, dass Tasmania eine halbe Stunde lang spielbestimmend bleiben und hochverdient in Führung gehen wird. Nach 37 Minuten kann Romario Hartwig für seine Farben (die eigentlich eher die des Gegners sind) nach einem schönen Steckpass in die Schnittstelle der Abwehr das 1:0 für die Gäste erzielen. Ein fotografierender Hopper tritt unachtsam gegen ein gut mit Bier gefülltes Tablett, welches nun in den Abflüssen des Kunstrasens versickert. Seine Entschuldigung ist halbherzig und der Blau-Weiß 90 Anhänger unzufrieden: „Von der Entschuldigung wird dit Bier jetzt och nich wieder voll!“. Wenige Augenblicke darauf haben die Neuköllner die nächste große Gelegenheit und nur dank der Reaktionsschnelligkeit Kilian Pruschkes retten sich die Favoriten aus Mariendorf mit dem knappen 0:1 Rückstand in die Pause – der hätte mutmaßlich sogar noch das Tablett aufgefangen…

In der zweiten Halbzeit setzt ein starker Wind ein, der nicht nur das Flatterband und den einen oder anderen leeren Bierbecher über den Platz tanzen lässt, sondern auch die Auswechselbänke der Teams umweht. Auf dem Rasen bleibt Tasmania stabil und drängt weiter auf das 2:0, lässt aber in der 50., 71. und 79. Minute drei einhundertprozentige Chancen ungenutzt. Kilian Pruschke rettet Blau-Weiß 90 fulminant und bleibt auch in 1:1 Situationen jederzeit Herr der Lage.

Tasmania versucht die knappe Führung nun über die Zeit zu bringen. Auffällig oft wälzen sich die Akteure verletzt auf dem künstlichen Grün, wofür FUDU angesichts der hübschen blonden Physiotherapeutin ein Höchstmaß an Verständnis aufbringen kann. Weniger verständnisvoll zeigt sich der pöbelnde Blau-Weiß-90-Mob an der Eckfahne, der nun immer weiter an Niveau einbüßt. Der Problem-Fan mit Reichsadleraufnäher mit BW-90-Logo in den Krallen (und schmissiger SS-Losung darunter) schmeißt wutentbrannt seinen Bierbecher auf das Feld und der Rest der Bande gibt singend zum Besten: „Der Schiri ist ein Hertha-Schwein!“

Blau-Weiß, das zuletzt 15 Spiele in Serie siegreich gestalten konnte (die letzte Niederlage datiert vom 15.10.2017 in Mahlsdorf), wird nun etwas aktiver und die offensiven Wechsel (u.a. Union-Jugendspieler Kevin Giese) von Trainer Gebhardt kommen endlich zum Tragen. Obwohl Tasmania mit einigen Konternadelstichen gefährlich bleibt, ist es doch der große Staffelfavorit, dem der nächste Treffer gelingt. In der 80. Minute kann Czekalla nach einer schönen Eckball-Direktabnahme-Variante zum Ausgleich abstauben. Und wer mit Rückenwind aus 15 Siegen in Folge unterwegs ist, der gibt sich selbstredend mit einem 1:1 Remis zu Hause nicht zufrieden. Es folgt: Der Schlussakkord. 90+4 (die hübsche Blonde ist Schuld!), Blau-Weiß tankt sich über die linke Seite durch, Pass in den Rückraum, trockener Flachschuss von Kevin Gutsche, 2:1! Der Mob eskaliert, „Tas“ sackt auf dem Rasen zusammen, Schlusspfiff.

Der Hoollege geht seinem Lieblingshobby nach und klatscht mit den Spielern ab. Lucas Rehbein beschwert sich noch über den furchtbar stumpfen Kunstrasen und die „Tas-Ultrás“ geben uns auf Nachfrage zu verstehen, dass sie ihren Flügelstürmer Nicola Thiele auf keinen Fall abgeben wollen. Warum man uns immer und überall für Scouts halten muss, nur weil wir fußballerische Qualitäten erkennen…

Das „Erlebnis Mariendorf“ lassen wir im Anschluss im „Restaurant Aristoteles“ bei griechischer Kost und „Berliner Molle“ angemessen sacken. Als der letzte Ouzo auf’s Haus geleert ist, schlägt es 6 Uhr und das Restaurant füllt sich. Es ist Abendbrotzeit in Kartoffelland! Und somit der perfekte Zeitpunkt für FUDU, Mariendorf den Rücken zuzukehren. Bevor es wieder zu arg stressig wird! /hvg

06.04.2018 FSV Bernau – SG Union Klosterfelde 3:2 (2:0) / Stadion Rehberge / 388 Zs.

Berlin ist der Ort, an dem man bei schlechtem Wetter wegen des Wetters schlecht gelaunt ist und bei gutem Wetter wegen der abscheulichen Menschen, die dann gutgelaunt und furchtbar angezogen die Friedrichshainer Straßencafés säumen. Grund genug für mich, an dem ersten sonnigen Tag des Jahres 2018 Reißaus zu nehmen und meinen freien Ferienfreitag andernorts zu verbringen.

In der Stichwahl setzt sich Bernau knapp gegen Bonn durch und der Besuch des „Sportpark Nord“ wird noch ein wenig auf Eis gelegt. Heute führt mich mein Weg in die Brandenburger Kleinstadt am nordöstlichen Stadtrand, die man aufgrund ihrer fast 40.000 Einwohner genaugenommen gar nicht mehr „Kleinstadt“ nennen darf, sondern gemäß „Gabler Wirtschaftslexikon“ offiziell als „Mittelstadt“ führen muss.

Im Herzen der Stadt nimmt man mich im Tourismusinformationsbüro herzlich in Empfang. Selbstverständlich gehört ein Besuch einer solchen Einrichtung zur perfekten Urlaubssimulation und zum geschickten Selbstbetrug unweigerlich dazu. Versorgt mit einem hübsch gestalteten Flyer („Bernauer Stadtrundgang – Innenstadtplan mit Sehenswürdigkeiten!“) wird es mir schon gelingen, die gleich 49 Höhepunkte der Stadt zu erkunden.

Steintor, Stadtmauer und Pulverturm bieten recht schnell ein ansehnliches mittelalterliches Ambiente, in welchem sich das alljährliche „Hussitenfest“ sicherlich gut feiern lässt. Ein jedes Jahr taucht Bernau am zweiten Juniwochenende in seine Stadtgeschichte ein und verwandelt sich in einen mittelalterlichen Jahrmarkt. Weniger stolz kann man auf die Stadtgeschichte der 1970er Jahre sein, in der Großteile der Altstadt vernichtet worden sind. Anstatt die sanierungsbedürftigen Fachwerkhäuser zu restaurieren, entschied man sich aus Kostengründen zu einem Abriss und schaffte Wohnraum im Stile einer „sozialistischen Musterstadt“. Die entstandenen Plattenbauten fügen sich mit lediglich vier Stockwerken wenigstens in der Höhe in das Gesamtbild ein, dennoch entstehen beispielsweise in der „Hohe Steinstraße“ einige surreale Anblicke – auch, wenn die Plattenbauten in der Zwischenzeit renoviert und farblich etwas aufgehübscht worden sind.

Dr. Wilhelm Külz hat auch in Bernau seine Spuren hinterlassen und noch beim Betreten des nach ihm benannten Parks klingelt mir Günters Referat aus Fürstenwalde in den Ohren. Um 16.30 Uhr habe ich den Stadtspaziergang erfolgreich abgeschlossen – von wegen keine „Kleinstadt“. Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Ich kehre in den „Gasthof zum Zickenschulze“ ein, nehme auf der sonnigen Terrasse Platz und lasse mich in meiner Simulation nicht einmal vom „Berliner Pilsner“ irritieren. Kurzzeitig erwächst der Wunsch in mir, diesen ersten Sonnentag des Jahres mit einem hübschen Menschen zu teilen und so nehme ich Kontakt zur Frauenwelt der näheren Umgebung auf und erhalte die erwartete Antwort. „Habe ich ja eigentlich total Lust drauf, aber…“ – und wie wir alle wissen, negiert dieses kleine unschuldige „aber“ bekanntlich ein jedes Mal alles vor dem Komma Gesagte…

Ich zum Beispiel bin ja eigentlich kein Trinker und kein Sonnenfreund, aber heute nutze ich die Gelegenheit und lasse mir bei einem weiteren Bierchen einen frühlingshaften Teint verpassen. Dabei werde ich Zeuge eines einigermaßen spektakulären Schauspiels, als ein Senior vor der Gaststätte parkt, sich einen Parkschein löst und nach der Lektüre des Zettels in den Rumpelstilzchen-Modus verfällt. Schon bitter, wenn um 17.58 Uhr der letzte Groschen in den Automaten und erst kurz darauf der wesentlich wichtigere Groschen fällt, dass man hier ab 18.00 Uhr umsonst hätte parken können. Mit einem beherzten „Die ham doch wohl ’ne Macke!“ schließt er die Szene. Da auch von einer später einsetzenden Selbstreflektion nicht ausgegangen werden kann, ruhen die Hoffnungen nun in seiner Frau. Hoffentlich wird sie ihm am Abendbrottisch auf seine Schimpftirade einfach entgegnen: „Biste doch selber Schuld, wennde da noch kurz vor Feierabend dein Jeld reinsteckst, Heinz!“, während er im Hintergrund weiter „die ham doch ’ne Macke, die ham doch ’ne Macke, die ham doch ’ne Macke…“ in seinen Bart grummeln wird.

Das „Stadion Rehberge“ des FSV Bernau e.V. befindet sich in 2,5 Kilometern Entfernung und lädt zu einem weiteren Stadtspaziergang ein. Kurz nachdem der „Sportplatz am Wasserturm“ und somit die Spielstätte des Lokalrivalen TSG Einheit passiert ist, rettet ein „Getränke Hoffmann“ mein Leben. Mit einem kühlen Wegbier ausgestattet geht dann auch die letzte Etappe leichter von der Hand, die mich noch weiter an den Stadtrand führt. Im Gewerbepark Bernau-Rehberge rotten sich die Bernauer Ronnys und Mandys mit ihren röhrenden Boliden an der Tuning-Tanke zusammen und ich werde dank des Holzbödenfachgeschäfts „Berliner Dielen“ erstmals am heutigen Tage an meine Heimat erinnert. Ja, weeß ick doch. Uff der Warschauer Brücke zum Beispiel.

„Fünf Euro wegen zwei Euro Topspielzuschlag“, pfeffert einem der Kassierer entgegen, noch bevor man „Hallo“ sagen kann. Es ist „Derbytime“ in Bernau und bereitwillig zahle ich das geforderte Eintrittsgeld, um der Partie gegen die SG Union Klosterfelde beiwohnen zu können. Die Spielstätte ist mit ihren 200 überdachten Tribünenplätzen und gut 1.800 Stehplätzen am Spielfeldrand durchaus ansehnlich und knapp eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff bereits recht gut gefüllt. Im Stadionheft, welches aus vier Seiten besteht, gibt es neben Werbung und einer Tabelle genau 16 Zeilen Text, die Bernaus Präsident Krüger dazu nutzt, einen Rückblick auf das Stadtderby („nach dem Derby ist vor dem Derby“) gegen die TSG am vergangenen Wochenende zu werfen und Seitenhiebe auszuteilen. Es ist von „dem anderen Bernauer Fußballverein“ die Rede und selbstredend darf der Verweis darauf nicht fehlen, dass die „jahrelange Rivalität“ mit Klosterfelde „vornehmlich geprägt durch Respekt und Achtung über das Erreichte des jeweils anderen Vereins“ ist. Übersetzt heißt das soviel wie: Diese Scheißkerle von der TSG sind von der Kreis- bis in die Brandenburgliga marschiert und meinen jetzt, auf ihrem dämlichen Kunstrasenplatz den dicken Max markieren und uns an den Karren pinkeln zu müssen. Das schreibe ich jetzt so ins Stadionheft – und sonst gar nichts!

Bei hausgemachter Boulette und frischem Pils vom Fass beobachte ich von der Terrasse der Stadiongaststätte die Akteure beim Erwärmen. Zwar erweckt der Rasen dank seiner saftig grünen Farbe zunächst den Anschein eines echten Teppichs, doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Spieler beim Führen des Balles vor erhebliche Probleme gestellt werden. Jeder Pass wird auf diesem holprigen Feld zu einem Vabanquespiel und der Torwarttrainer der Gäste versucht seinen Schützling adäquat vorzubereiten, verstolpert aber jedoch selbst jeden springenden Ball.

Zu Spielbeginn haben sich stolze 388 Zuschauer auf der Anlage eingefunden und fiebern der Partie zwischen dem Tabellenzweiten aus Bernau und dem Achten aus Klosterfelde entgegen. Ich habe meinen Platz neben der Tribüne bezogen und freue mich darüber, dass es sogar sichtbaren Gästeanhang hinter einigen Fahnen zu bestaunen gibt. Im Tor der Bernauer steht Ex-Unioner Eric Niendorf und Verteidiger Töpfer begrüßt mich und die anderen Zuschauer bei seinem ersten Einwurf mit einem herzlichen „Moin“. Hier wird einem noch etwas geboten für sein Geld.

Nach 15 Minuten geht der FSV dank einer schönen Kombination, mit der die gesamte Klosterfelder Abwehr und auch ihr Torwart ausgehebelt werden, mit 1:0 in Führung. Georg Machut lässt sich als Torschütze feiern. Insgesamt wirkt der FSV wacher und hat viel schneller in das Spiel gefunden als die Gäste aus dem 15 Kilometer entfernten Wandlitz, Ortsteil Klosterfelde. Nach 21 Minuten schallt bereits das zweite Mal „Scooter“ durch das weite Rund. Machut hat dem Boden getrotzt und sich nicht davon aus der Ruhe bringen lassen, dass der Ball kurz vor dem Abschluss falsch aufgesprungen war. Alleine auf den Torhüter zulaufend wartet Machut einfach in aller Seelenruhe, bis der versprungene Ball wieder auf dem Boden ruht, um ihn dann einzuschieben. Döp döp döp de de döp döp döp!

Dreißig Minuten sind gespielt, als meine Kamera nach einer Doppelchance des FSV Bernau ihren Geist aufgibt. Da war es wohl zu lange am Stück zu warm und zu trocken für das „englische Fabrikat“ aus Birmingham. Der Ausfall ist jedoch zunächst zu verschmerzen, da es sich nun doch deutlich verdunkelt hat und die jämmerlichen Flutlichtfunzeln für keine fototauglichen Lichtverhältnisse sorgen können. Zeitgleich sorgt die einsetzende Abendkühle für etwas Feuchtigkeit und der Boden leidet zusätzlich. Holprig. Tief. Seifig. Das wird Kräfte kosten!

Erst nach 37 Minuten sendet Klosterfelde ein Lebenszeichen und kann in die deutliche Überlegenheit der Gastgeber eindringen. Wie aus dem Nichts feuert Morten Jechow, der schon bei allen unsympathischen Clubs Berlins gespielt hat, einen satten Fernschuss ab, der nur knapp links über die Latte streift.

In der zweiten Hälfte hat Bernau weiterhin Feldvorteile, bis Schiedsrichter Kai Kaltwasser entscheidend in die Partie eingreift und den ersten Angriff Klosterfeldes nach 70 Minuten mit einem sehr fragwürdigen Elfmeterpfiff belohnt. Jechow lässt sich nicht zwei Mal bitten und verwandelt sicher zum Anschluss.

Niendorf sieht schwere Zeiten auf sich zukommen und versucht sich als Lautsprecher der Mannschaft. „Ruhig bleiben, Männer“ schreit er fünf Mal hintereinander über den Sportplatz, kontinuierlich lauter werdend. Genauso wenig ruhig verhält sich Trainer Städing, der sich wegen der Elfmeterentscheidung mit Kaltwasser anlegt und in Folge der Diskussion einen Verweis erhält, den Innenraum verlassen muss und sich nun vermutlich genauso drangsaliert führt wie Warmbier.

Direkt im Anschlus des Innenraumverweises gelingt Klosterfelde durch Yaman der Ausgleich. Nur zwei Minuten sind zwischen Anschluss und Ausgleich vergangen und auf der Haupttribüne geben sich knapp 30 weitere Klosterfelder jubelnd zu erkennen.

Das vielzitierte „Momentum“ liegt nun bei Klosterfelde, die sich anschicken, die Partie zu drehen. In der 74. und 77. Minute lassen sie jedoch gute Gelegenheiten liegen, dem Spiel die letztlich ziemlich unfassbare Wendung zu geben. Ich bin bereits zu diesem Zeitpunkt vollends auf meine Kosten gekommen und glücklich darüber, mich nicht für eine Reise nach Bonn entschieden zu haben, als Bernau die nächste Pointe des Spiels setzt. Mit dem allerersten Angriff seit der Schockstarre des doppelten Gegenschlags erzielt Jean-Pierre Dellerue nach 78 Minuten das 3:2. Das Stadion Rehberge wird nun endgültig zu einem Tollhaus, in dem auch die Akteure die Sicherungen rausfliegen. Eine Rudelbildung endet nach 82 Minuten mit einem Platzverweis für Tobias Marz, der sich weigert, den Platz zu verlassen und von einem Ordner Bernaus von selbigen geschoben werden muss. Das wiederum missfällt nun den übrig gebliebenen zehn Klosterfeldern, die auf den Ordner zurennen und ihn auffordern, Kollegen Marz loszulassen. Der alte Mann mit Ordnerweste ruft nun seinen Kollegen Wolfgang zu Hilfe, der aber in etwa genauso alt und schnell ist, wie es sein Name vermuten lässt und so dauert es ein wenig, bis ein zweiter neonfarbiger Mensch auf dem Rasen erschienen ist. Langsam löst sich die Situation in Wohlgefallen auf und das Spiel kann fortgesetzt werden – nachdem die beiden alten Männer, die glücklicherweise ohne gesundheitliche Schäden aus der Eskalation herausgekommen sind, sich sichtlich erschöpft vom Feld geschleppt haben. Hab doch gesagt, das hier wird Kraft kosten!

Nach einer letzten Ausgleichschance in der Nachspielzeit erlöst Schiedsrichter Kaltwasser die Bernauer mit seinem Schlusspfiff. Ich begebe mich zu Fuß durch das dunkle Bernau in Richtung S-Bahnhof und fühle mich plötzlich wie in einem verschlafenen polnischen Dorf, nur, dass es nicht nach Kohleöfen riecht. In der S-Bahn kümmere ich mich um meine Kamera und wende alle Reperaturtricks an, die man so kennt. Auf Höhe Zepernick funktioniert sie dann plötzlich wieder. Na, dann kann das nächste Derby ja kommen! /hvg